Neue Religiöse Gemeinschaften oder Sekten oder was?
Zur Zielsetzung dieser Ausgabe
Durch die „Globalisierung der Welt" ist es heute jedem Menschen möglich, durchs Internet oder durch Reisen Vorstellungen und Praktiken anderer Kulturen, Gesellschaften und religiöse Traditionen kennenzulernen und zu übernehmen. Die Art und Weise der Lebensführung wird immer weniger gesellschaftlich verbindlich gemacht. Immer mehr Menschen suchen nach religiösen Erfahrungen außerhalb der etablierten Glaubensgemeinschaften. 1970 waren fast 92% der Bevölkerung Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Im Jahr 2000 sind es nur noch 67% (3,5 % gehören dem Islam an), also 1/3 der Bevölkerung Deutschlands gehört weder einer Kirche noch dem Islam an. (Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland, 2001). Andererseits erleben wir ein enormes Wachstum fundamentalisti¬scher Gruppierungen innerhalb des Islam und des Christentums. Der Psychomarkt boomt, die Umsät¬ze auf dem Esoterik-Markt steigen. Es gibt inzwischen einen breiten Markt religiöser Lebenshilfe-An¬gebote. Hier wird Religion als Mittel zum Zweck benutzt, als Mittel zur Lösung eigener anstehender Probleme und stellt keine Form der kollektiven Lebensführung dar. Religiöse Fragen sind mehr an das Individuum als an die Gemeinschaft gebunden. Gesucht wird nicht eine religiöse Antwort auf Existenzfragen, sondern praktische Lebenshilfe für den Alltag. Die sich zuspitzende gesellschaftliche Lage, verbunden mit wachsender sozialer Kälte, gibt immer mehr Menschen das Gefühl, ihr Leben nicht mehr allein bewältigen zu können. Dies ist ein weiterer idealer Nährboden für religiöse Lebenshilfeangebote und charismatische Heilsbringer. Die Vielfalt weltanschaulicher Angebote hat in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Jedoch ist es für Laien nur sehr schwer möglich, festzustellen, ob es sich um ein se¬riöses Angebot handelt oder ob hinter diesem Angebot eine sogenannte „Sekte oder Psychogruppe" steht.
Allerdings gehören die Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach der Transzendenz zu den Wesens¬merkmalen menschlichen Daseins und können nicht übergangen werden. Diese ernst zu nehmen und ein kritischer und selbstbewusster Umgang mit religiösen Angeboten muss gelernt werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, bereits in der Schule präventiv das Thema aufzugreifen. Lernziele:
1. Die Schüler sollen lernen, kritisch mit religiösen Anwerbungen und Verlockungen umzugehen.
2. Sie sollen verschiedene Verheißungen eines „Übermenschen" und einer heilen Welt kennenlernen
und die Gefährlichkeit dieser Lehren entdecken.
3. Sie sollen Beurteilungskriterien kennenlernen, um sich über Angebote religiöser Organisationen,
die Lebenssinn anbieten, eine Meinung bilden zu können.
4. Sie sollen unterschiedliche weltanschauliche Gruppen kennenlernen und sich kritisch mit deren Lebens¬
weisen auseinandersetzen, indem sie vorgegebene psychologische Beurteilungskriterien anwenden.
5. Sie sollen sensibel werden für die fließende Grenze zwischen einem starken Gemeinschafts- und
Loyalitätsgefühl und der möglichen Abhängigkeit durch Gruppendruck; es soll deutlich werden,
dass es wichtig ist, sich in bestimmten Situationen abzugrenzen.
6. Sie sollen einschätzen können, an wen man sich wenden kann, wenn man selbst Betroffener oder
Angesprochener ist oder von Betroffenen weiß und sich einmischen will: Welche Stellen können
sofort helfen und in (religiösen) Krisen aufgesucht werden und professionell weiterhelfen?
Die Verfasser dieses Heftes bestreiten grundsätzlich nicht, dass in den hier genannten Gemeinschaf¬ten echte spirituelle und andere wichtige Erfahrungen gemacht werden können. Wäre dies anders, dann gäbe es diese Gemeinschaften wahrscheinlich gar nicht. Gleichwohl spiegeln sich in unserer Be¬ratungsarbeit viele konfliktträchtige Merkmale wider. Diese zu beschreiben, ohne die authentischen (spirituellen) Erfahrungen zu bestreiten, ist unser Ziel.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1
2. UNTERRICHTSVERLAUF 2–9
3. MATERIALIEN 10–31
Einführung 10–13
m1 Was macht Menschen unsicher? – Assoziative Sammlung von Befindlichkeiten und Ängsten.
m2 Vielversprechende Angebote? – Köder für das Interesse in aktuellen Auszügen.
m3 Religion, Sekte, Weltanschauung oder was? – Begriffe (vor-)sortieren; Gruppierungen
unterscheiden lernen.
m4 Religion/Sekte/Weltanschauung … ? – Definitionen finden und auswerten.
m5/1 Gemeinschaft kann gefährlich werden (Folie 1) – Checkliste für kritische Anzeichen – Teil 1.
m5/2 Gemeinschaft kann gefährlich werden (Folie 2) – Checkliste … – Teil 2.
Zu den thematisierten Gruppierungen 14–28
m6/1 Tim – aufgewachsen bei den Zeugen Jehovas – Sachtext mit Fallbeispiel.
m6/2 Wem oder was bin ich nahe – wohin orientiere ich mich? – Positionen beziehen.
m6/3 Wer oder was sind die Zeugen Jehovas? – Beschreibung und Problematisierung.
m6/4 Tod einer Zeugin Jehovas – Sachtext mit Fallbeispiel.
m7/1 Ein hochrangiger Scientology-Aussteiger berichtet – Sachtext mit Fallbeispiel.
m7/2 Wer oder was ist die Scientology-Organisation? – Beschreibung und Problematisierung.
m7/3 Nachhilfe – ein Angebot ohne Hintergedanken? – Analyse von Anwerbungsstrategien.
m8/1 Wer oder was ist „Universelles Leben“? – Beschreibung und Problematisierung.
m8/2 Martin – seit 20 Jahren Mitglied von „Universelles Leben“ – Sachtext mit Fallbeispiel.
m8/3 „Ich flehe dich an: Schweig!“ – Sachtext mit Fallbeispiel.
m9/1 Maharishis umstrittene Rede zum „Goldenen Jubiläum“ am 16. Juli 2000 – Sachtext.
m9/2 Transzendentale Meditation (TM) – Totalitäre politische Ideologie? – Beschreibung …
m9/3 Auf dem Erleuchtungstrip – Erfahrungen mit TM – Sachtext mit Fallbeispiel.
Wenn Hilfe nötig wird 29–31
m10 Beobachtungen für die eigene Recherche – Zusammenfassung der Informationen.
m11 Menschen, Institutionen, Einrichtungen – Wer kann helfen, wenn …? – Hilfe zur Selbsthilfe.
m12 Ist doch klar – oder doch nicht?! – Überprüfung durch Positionierung.
4. IDEENBÖRSE 32