Vorwort
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Entstehung der Bibel vollzieht sich in einer Zeit und in Gesellschaften, für die patriarchalische Rechtsnormen und Lebensformen charakteristisch, ja selbstverständlich waren. Von dieser Tatsache sind die biblischen Texte geprägt. Es ist davon auszugehen, dass die Verfasser und Redaktoren der Bibel allesamt Männer waren. Im Mittelpunkt der biblischen Überlieferung steht aber trotzdem nicht der Mann, sondern Gott: der Lebensspender, der Retter und der Befreier. Diese Botschaft geht alle an, ganz Israel, Mann und Frau. Erkennbar ist dies schon daran, dass in der Bibel diese Botschaft nicht nur durch Männer, sondern auch durch Frauen weitergetragen wird. Doch damit nicht genug. Die Bibel scheint - trotz der patriarchalischen Prägung - ein Gegengewicht in sich zu enthalten, das nicht zwingend als Patriarchalismuskritik verstanden werden muss, aber gleichwohl ein Korrektiv einer vordergründig sich aufdrängenden Männerdominanz darstellt: An den entscheidenden Wendepunkten der Glaubensgeschichte stehen Frauen. Die Glaubensgeschichte des Alten Testamentes beginnt mit dem Glaubenszeugnis der Mirjam. Sie - eine Frau - ist es, die als Erste die Rettung am Schilfmeer nicht als "Glück" interpretiert, sondern als wunderbare Tat Gottes erkennt. Eine Frau ist es, die Israel den Weg weist. Eine Frau leitet mit ihrem Lied den großen Wendepunkt in der Geschichte Israels ein. Aus einer kleinen Gruppe verängstigter und verunsicherter Menschen, aus Flüchtlingen, die knapp dem Tode entronnen, die Großmacht Ägypten im Rücken, die Wüste vor sich, nicht ein noch aus wissend - aus diesen Menschen wird das auserwählte Volk Jahwes, Israel. Eine Frau namens Mirjam leitete diese Wende tanzend, trommelnd und singend ein.
Mit dem Auferstehungsglauben beginnt die Geschichte des neutestamentlichen Gottesvolkes. Auch hier sind es Frauen, die diese große Wende, die den Beginn der Kirche bedeutet, zuerst bezeugt haben. Die Namenslisten der Evangelien nennen teilweise unterschiedliche Frauen; aber immer steht ein Name an der Spitze: Maria von Magdala.
Andere biblische Frauengestalten bezeugen das unerwartete Wirken Gottes. Dabei fällt auf, dass immer wieder Frauen aus dem vorgegebenen gesellschaftlichen Rahmen ausbrechen, Tendenzen ihrer Zeit widersprechen. Diese Frauen zeigen paradigmatisch auf, dass Gott frei ist, sein Heil zu wirken, wann, wo und wie er will. Göttliches Handeln ordnet sich nicht den menschlichen Vorstellungen, ihren Sitten und Bräuchen unter. Hier ist beispielsweise an Sarai, Hagar und Hanna zu denken.
Auch neutestamentliche Frauengestalten verweisen auf diesen Kontext, wenn sie Anspruch erheben, gehört zu werden, oder wenn sie das Recht einklagen, unterstützt zu werden. Als Frau Position zu beziehen hieß damals das Risiko eingehen, den Zorn und Spott der männlich dominierten Gesellschaft auf sich zu ziehen, da man die bestehenden Konventionen missachtete.
Alle biblischen Frauengestalten verbindet, dass sie aus Konventionen ausbrechen, dass sie mutig und engagiert zu Werke gehen und: dass Gott auf ihrer Seite steht.Jede Frau besitzt ihre eigenen, sie charakterisierenden Eigenschaften und Verhaltensweisen. Sie treten aus dem Schatten und gewinnen Profil. Doch dieses Hervortreten steht immer im Dienst der biblischen Botschaft, die immer wieder das Urwunder und die Urerfahrung der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten als Heilstat Gottes bestätigt: Dass Gott einen Namen hat, der da lautet Jahwe, d.h. "ich-bin-da-für-euch" oder neutestamentlich formuliert, Jesus Christus ist der Auferstandene; der Glaube an ihn bedeutet "Auferstehung mitten im Leben".
Didaktische Überlegungen/Zielsetzungen
In den Jahrgangsstufen 5 und 6 ist die Behandlung der Patriarchengeschichten und/oder der Königszeit (Saul, David, Salomo) sehr verbreitet und beliebt. Dies hat zur Folge, dass weitgehend biblische Männergestalten im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Diese Ausgabe möchte eine Ergänzung anbieten und biblische Frauengestalten in den Vordergrund treten lassen. Ziel ist es, die hier behandelten biblischen Geschichten für die Schüler/innen lebendig werden zu lassen, indem sie die jeweilige Situation der einzelnen Frauen kennen lernen, um das Verhalten und die Situation dieser Frauen zu verstehen, sich in ihre Lage hineinversetzen zu können. Dabei werden die Schüler/innen immer wieder Beziehungen zu ihren eigenen Erfahrungen, ihrem Lebensumfeld herstellen können, auch wenn diese teilweise natürlich kontrastiv ausfallen werden.
Die Lerngruppe soll anhand der Beschäftigung mit ausgewählten biblischen Frauengestalten exemplarisch Grundaussagen der Bibel erarbeiten und die Bedeutung des darin veranschaulichten Glaubens für den biblischen Menschen erfassen können, der zugleich - indirekt natürlich - auch immer eine Anfrage an die eigene Glaubenssituation, an das eigene Gottesbild impliziert. Das "In-einen-Dialog-Treten" mit den Bibeltexten, die Auseinandersetzung mit den biblischen Geschichten ist von den hier vorgestellten Verfahrensweisen nicht schwerpunktmäßig an der reinen Exegese orientiert, wobei allerdings immer versucht wird, historische Kenntnisse zur Verfügung zu stellen, die sozusagen als Hintergrundfolle den Schülern/Schülerinnen ein vertieftes Eindringen und Verstehen der Bibeltexte ermöglichen soll, da vieles dann zwar für uns heute immer noch fremd erscheint, aber verständlich wird. Die Texterschließung erfolgt oft auf anderen Wegen, welche die Beschäftigung mit Bildern, die textproduktive Auseinandersetzung oder die szenische Annäherung an die jeweilige biblische Geschichte als Verfahren wählt. Hierbei wird auch die Möglichkeit der Aktuallsierung (z.B. Rollenspiel, Textumformung, Protestplakat) einbezogen.
Grundthema der Unterrichtsreihe ist das Gottesbild und die Glaubensgeschichte, wie sie die Bibel erzählt. Hierbei ist interessant, dass in entscheidenden Momenten oft Frauen eine wesentliche Rolle spielen. Frauen fallen durch ihr couragiertes Verhalten auf, indem sie sich nicht um gesellschaftliche Konventionen kümmern, sondern das Existentielle im Auge behalten, das Leben, den Menschen und vor allem Gott. Auf dieses mutige und oft riskante Verhalten bezogen erweist sich das göttliche Verhalten als Zustimmung, Bestätigung, denn Gott ist der Befreier, der Gott des Lebens, der Gott Jahwe, der "Ich-bin-da-für-euch", der auf der Seite der Benachteiligten, der Unterdrückten steht, der auf der Seite der Frauen steht, gerade dann, wenn sie ausgegrenzt, isoliert, ihrer Freiheit und Autonomie, d.h. ihres eigentlichen Lebens beraubt werden. Das mutige Eintreten für den Glauben an diesen Gott wird letztendlich belohnt.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG UND DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN/ZELSETZUNGEN
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Einführung
M1 Die beste aller Frauen - Wertvoller als alle Perlen der Welt zusammen
M2 So lebte die Frau zur Zeit Jesu - Frauenalltag in Palästina
Frauen im Alten Testament
M3 Sarai sucht nach einem lebensrettenden Ausweg -
Eine starke Frau nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand
M4 Hagar - Der Weg in die Freiheit - Eine Frau findet zu sich und Gott findet Hagar
M5 Hanna - Die Liebe des eigenen Mannes ist nicht genug -
Eine Frau tritt um ihr Leben bittend vor Gott
M6/1 Folie: Mirjam
M6/2 Eine Prophetin preist Gott - Mirjam weist Israel den Weg und verspottet die Mächtigen
Frauen im Neuen Testatment
M7 Die Mutter von Jakobus und Johannes kämpft um Ansehen und Ehre -
Eine Frau will das Beste für ihre Söhne
M8 Die blutflüssige Frau wagt viel - Die Macht des Glaubens
M9 Maria und Marta - zwei ungleiche Frauen - Alles hat seine Zeit
M10 Maria von Magdala muss loslassen - Der Auferstandene beruft als erste eine Frau
4. ZEITAUFGABEN
5. OFFENER UNTERRICHT
6. TAFELBILDER
7. ERZÄHLTEXT