Das Thema
Leid ist eine der Grunderfahrungen des menschlichen Lebens. Niemandem bleibt das Leid erspart. Der Rede von der guten Schöpfung stehen Naturkatastrophen, Krankheit, Tod und menschliche Grausamkeit entgegen, die allen Menschen, auch den hilflosesten und unschuldigsten, widerfahren.
Unausweichlich werden vor diesem Hintergrund die Fragen nach dem Warum: Warum gibt es das Leid? Warum müssen Unschuldige leiden? Warum lässt ein guter und mächtiger Gott das Leid zu? Ja, gibt es diesen Gott überhaupt? Alles Sprechen von Gott muss sich demnach irgendwann der Theodizeefrage stellen - gerade auch im Religionsunterricht, der sich die Reflexion über den Glauben zur Aufgabe macht und der die Dialog- und Urteilskraft der Schülerinnen und Schüler fördern will. Gemeinsam auch mit jungen Schülerinnen und Schülern nach Antworten und Umgangsmöglichkeiten zu suchen, die das Festhalten am Glauben ermöglichen und nicht scheinbar zwangsläufig zu einer Verneinung der christlichen Botschaft führen, ist deshalb eine der großen Herausforderungen des Religionsunterrichts.
Grundsätzlich ist bei der Beschäftigung mit der Frage nach dem Leid zweierlei zu unterscheiden: Leid bezeichnet zum einen das Übel, das den Menschen aufgrund der Naturgesetze ereilt (Naturübel, lat. malum physikum), und zum anderen das Böse, das der Bosheit oder Gleichgültigkeit des Menschen erwächst (moralisches Übel, lat. malum morale) (vgl. Brantschen: Warum gibt es Leid? S. 20f.).
lm Laufe der Geschichte haben sich die Menschen immer wieder mit der Theodizeefrage auseinandergesetzt und nach Antworten gesucht. Eine der eindrücklichsten biblischen Schilderungen ist die Geschichte von ljob, dem schuldlos großes Leid widerfährt. Die Erzählung zeigt, dass überlieferte Erklärungsversuche, die das Leid als Strafe Gottes in einen Tun-Ergehen-Zusammenhang stellen oder als eine Art pädagogisches Mittel Gottes deuten, nicht tragfähig sind. ljob klagt vielmehr Gott an und erfährt, dass er das Leid und damit Gott nicht begreifen kann, wohl aber in Gott ein Gegenüber hat, an das er sich mit seiner Klage wenden kann und darf.
Das Leid als Folge der menschlichen Freiheit zu verstehen, ist bereits im Buch Genesis grundgelegt. Als Gott der Liebe schenkt Gott dem Menschen die Freiheit, auch gegen seine Weisungen zu handeln. Leiden wird in diesem Sinne als Preis der Freiheit verstanden. Doch Gott hält sich deshalb nicht aus „der Schöpfung raus“. Indem Jesus als sein Sohn mitten unter den Menschen lebt und den Kreuzestod stirbt, wird Gott im wahrsten Sinne zu einem mitleidenden Gott, der um die Liebe der Menschen kämpft. Gott erweist sich so als ein Gegenüber, das im Leid beisteht, selbst leidet und die Klage der Menschen hört.
Angesichts der Unauflöslichkeit der Frage nach dem Leid, kann man nicht bei Erklärungsversuchen stehen bleiben, sondern muss sich zum Leid verhalten und nach Umgangsmöglichkeiten suchen. Drei Ansätze sind besonders in den Blick zu nehmen. Zuallererst braucht es Möglichkeiten, seine Klage zum Ausdruck zu bringen und vor Gott zu tragen. Neben der Klage ljobs und der Klage Jesu am Kreuz bieten insbesondere die Psalmen in der biblischen Tradition verankerte Formen. Ausgehend von der Klage kann Trost bei Gott gefunden werden. Doch erst wenn es gelingt, nicht bei der Klage zu verharren, sondern angesichts des Leids zu fragen, was getan werden kann, kommt es zu einem aktiven Umgang mit dem Leid. „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6, 2) Einander im Leid beizustehen, Trost zu spenden und Widerstand angesichts des Leids zu leisten, ist somit erste Aufgabe. Von hier aus kann auch ein dritter Ansatz gelingen: die Hoffnung. Als Christen dürfen wir darauf hoffen, dass das Leid nicht das letzte Wort haben wird. Auferstehungsglaube und die Hoffnung auf das Reich Gottes schenken Gewissheit: „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Off 21,4) Und so lässt sich zusammenfassen: „,Lösungen' bietet allein die gelebte Erfahrung, die Beziehung und das Gespräch.“ (Grandl: Das Buch Ijob. S. 363)
Der im Folgenden vorgestellte Unterrichtsverlauf schlägt dementsprechend den Bogen von einer Problematisierung, die das Theodizeeproblem in den Fragehorizont rückt, hin zu Antwortversuchen und Umgangsmöglichkeiten mit Erfahrungen des Leids. Abschließend wird außerdem die Frage nach dem Umgang mit Schuld in den Blick genommen.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1–2
2. DIDAKTISCHE HINWEISE 3–11
3. MATERIALIEN 12–32
Einstieg in die Unterrichtsreihe
M1 Die Welt, in der wir leben – Collage 12
Antwortversuche
M2/1 Die Geschichte von Ijob – Textanalyse 13
M2/2 Die Geschichte von Ijob – Textanalyse 14
M3 Ijob klagt über sein Leid – Bildbetrachtung 15
M4/1 Ijobs Klage wird gehört – Bildbetrachtung 18
M4/2 Ijobs Klage wird gehört (Folie 1.1) 16
M5 Wie das Böse in die Welt kam – Bibeltextanalyse 19
M6 „Lieber Gott, bitte mach ...“ – Annäherung an „Leid-Erfahrung“ über einen Comic. 20
M7/1 Der Kreuzestod Jesu – Bildbetrachtung 21
M7/2 Der Kreuzestod Jesu (Folie 1.2) 16
M8 „Jeder hat sein Kreuz zu tragen“ – Placemate und Bildbetrachtung 22
Umgang mit dem Leid
M9 Über das Leid klagen – Am Beispiel von Psalmen. 23
M10 „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Beispiel für eine hoffnungsvolle Grundstimmung. 24
M11 Gott braucht unsere Hände – Bildbetrachtung 25
M12 Rita Lausbergs Bild in der Grabeskirche Aachen (Folie 2) 17
M13 Ein Gespräch über den Tod – Erzähltext analysieren. 26
M14 „Mit der rede ich nie wieder!“ – Eine Geschichte fortschreiben. 27
M15/1 Jesus und die Ehebrecherin – Ein Flussdiagramm anlegen. 28
M15/2 Jesus und die Ehebrecherin – Sich in verschiedene Rollen versetzen. 29
M16 Meine Meinung zum Leid – Ein persönliches Statement abgeben. 30
Lernzielkontrolle
M17 Bastelanleitung für ein Gedankenbuch zur Unterrichtsreihe 31
M18 Bewertungsbogen zum Gedankenbuch – Vorlage 32