Himmelsstürmer, Fans und Kathedralen
Zum Inhalt und zur Zielsetzung dieser Ausgabe
„Ein Leben ohne Fußball kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball spielen kann!“ (Pelé, geh. 1940, von der FIFA als „ Welfußballer des 20. Jahrhunderts“ausgezeichnet)
„Die Menschen auf den Fanmeilen werden in Millionen zu zählen sein, Milliarden rund um den Globus an den TVs, Emotionen, südamerikanische Leidenschaft, aber auch der unerträgliche Druck der Seleçao als Rekordmeister im eigenen Land endlich gewinnen zu müssen. Die ganze Welt wird auf den Zuckerhut, Christusstatue und Copacabana blicken und vom Ballzauber vereinnahmt werden. Keiner wird sich diesem Sportereignis entziehen können. König Fußball spielt seine Weltmeisterschaft im Land des Rekordweltmeisters!“ (Deutsches Fußball-Institut: Fußball-WM 2014 in Brasilien, Regensburg, 31.5.2013 )
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die 20. FIFA Fußball-Weltmeisterschaft, die vom 12. Juni bis zum 13. Juli 2014 in Brasilien stattfindet, in Deutschland sehr viele Menschen in ihren Bann ziehen wird. Die Vorfreude auf das größte Sportereignis aller Zeiten ist riesengroß, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Diese kicken - wie der 13-jährige Gabriel aus einem Armenviertel in Rio de Janeiro (m5) oder die 16-jährige Maike aus einem Villenvorort südlich von Frankfurt (m11) - selbst oft stundenlang auf der Straße oder spielen Fußball in einem Verein. Viele Teenager träumen davon, später ein richtiger Fußballstar zu werden und vor großem Publikum auf dem „heiligen Rasen“ ins Stadion einzulaufen. Immer mehr Jugendliche „bekennen“ sich zur Fußballnationalmannschaft oder zu ihrem Lieblingsverein. Sie „pilgern“ mit ihren Eltern oder Altersgenossen in die Stadien, die modernen „Kathedralen“ gleichen. Der jugendliche Fußballfan kleidet sich (um) - je nach Festkalender zieht er das Heim-, Auswärts- oder Nationaltrikot an. Alle tragen das gleiche Trikot als Ausdruck von Gemeinschaft und Gleichheit. Andächtig, voller Hoffnung und Glauben singen sie die Vereinshymnen und -lieder. Mit den Fangesängen drücken sie aus, „was sie tief im Herzen für ihren Verein empfinden“ (H. Törner-Ross 2006, 2f.).
Zahlreiche Jugendliche sind zugleich in einer Kirchengemeinde oder in der christlichen Jugendarbeit aktiv. Nicht wenige von ihnen engagieren sich nach einer bundesweiten, repräsentativen Umfrage der Universität Würzburg unter 14-/15-Jährigen (2010/ 11) in ihrer Freizeit zudem z.T. mit viel Herzblut freiwillig und unentgeltlich für andere Menschen. „Viele Jugendliche verspüren eine Sehnsucht nach sinngebender Orientierung und damit auch nach religiösen Angeboten. Sie machen in ihrem Leben Kontingenz-Erfahrungen, die gedeutet werden wollen“ (Rat der EKD: Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven, Gütersloh 2010, 26). Einige stellen dezidiert (jugend-)theologische (z.B.: „Darf man für den [WM-]Sieg des eigenen Vereins/Landes beten?“) oder sozialethische Fragen (z.B.: „Wieso geht die Schere zwisehen Arm und Reich im Fußball immer weiter auseinander?"), die auf eine Antwort warten. Mancher Schüler und manche Schülerin ist Mitglied eines christlichen Fanclubs (vgl. m12). Fußballfan und „Anhänger“ von Jesus Christus zu sein, muss sich für diese Jugendlichen nicht ausschließen.
Das vorliegende Heft nähert sich dem Thema „Fußball und (christliche) Religion“ in einem mehrdimensionalen Zugang. Zunächst (I.; Anpfiff) wird erörtert, was die Faszination des globalen Massenphänomens Fußball/ Fußballweltmeisterschaft ausmacht und welche Vorerfahrungen und -kenntnisse mit dem „runden Leder“ und dem Fan-Sein Jugendliche in den Unterricht mitbringen.
Ein eigener, ausführlicher Themenschwerpunkt (II.) ist Brasilien als Gastgeberland der 20. FIFA Fußball-Weltmeisterschaft sowie den deutschen Gruppengegnern (Ghana, Portugal, USA) gewidmet. Fußball wird im Land am Zuckerhut, das als eines der „katholischsten Länder“ der Welt gilt, wie eine Religion gelebt und zelebriert. Etliche brasilianische Ballkünstler (z.B. Kaká, Lucio, Cacau, Ronaldinho) bekennen sich öffentlich und missionarisch-offensiv zum christlichen Glauben („Tore für Jesus“). Zugleich sind gravierende gesellschaftsdiakonische und sozialethische Probleme (Armut und Reichtum, Umweltzerstörungen und -Vergiftungen, Fußball und Kommerzialisierung, Gewalt) im Land der „Himmelsstürmer“, das mittlerweile zur sechstgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen ist, nicht zu übersehen. In Lateinamerika entworfene befreiungstheologische Ansätze und biblische Grundideen, wie etwa die Option für die Armen und die Einheit von Glaube und Praxis, versuchen zur Lösung dieser großen gesellschaftlichen Herausforderungen beizutragen.
Wundersame Wechselwirkungen von Fußball und christlicher Religion können aber auch in Deutschland gut beobachtet werden (III.). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden hier - für manche irritierend - in drei Bundesligastadien (Berlin, Frankfurt und Gelsenkirchen) Stadionkapellen errichtet, in denen Menschen an besonderen Stationen des Lebens etwa kirchlich heiraten oder ihr Kind taufen lassen können. Es gibt zahlreiche Bundesligaprofis, -manager und -trainer, die sich bewusst als Christen verstehen (z.B. David Alaba, Jürgen Klopp, Jakub „Kuba“ Blaszczykowski, Arne Friedrich, Christoph Metzelder). In den deutschen Fußballarenen sind immer häufiger christliche Fanclubs (z.B. in Hamburg) zu finden, die sich für eine von Respekt, Toleranz, Friedfertigkeit und Fröhlichkeit geprägte Fankultur einsetzen und dabei auf die grenzüberschreitende und verbindende Kraft des Evangeliums vertrauen. „You´ll never walk alone, when you walk through the storm ...“ (aus der Hymne des FC Liverpool und des FC St. Pauli u.a.), „Leuchte auf, mein Stern Borussia, leuchte auf, zeig mir den Weg ...“ (aus der Hymne von Borussia Dortmund) - auf die religiösen Implikationen von Fangesängen, in die bis zu 80.000 Fans im Stadion einstimmen und die für viele Fußballfans weit mehr sind als profanes Gegröle, wird ebenfalls eingegangen.
Ein vierter Teil des Heftes thematisiert verschiedene Definitionen des Begriffs „Religion“ und erläutert zwei wichtige religionswissenschaftliche Fachtermini (den funktionalen und den substanziellen Religionsbegriff). Das grundsätzliche Verhältnis von „Fußball und Religion“ wird - gerade auch aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler - näher beleuchtet, insbesondere die Fragen: Ist Fußball Religion, Religionsersatz oder keine Religion? Was verbindet und was trennt Fußball-Fantum und christlichen Glauben? Was können der moderne Fußball und die christliche Religion resp. die Kirche voneinander lernen?
Ein letzter Teil (V.; Abpfiff) bündelt das Erarbeitete auf eine spielerisch-kreative Weise (Spiel: „Der große Preis“).
Die vorliegende Ausgabe möchte einen Beitrag dazu leisten, Schülerinnen und Schüler in das in vielen Bundesländern in den Kernlehrplänen z.T. verpflichtend vorgesehene Themenfeld „Religiöse Phänomene in Alltag und Kultur“ einzuführen. Die Arbeitsaufträge zu den Materialien sind dabei so gestaltet, dass sie ihre eigene Lebenswirklichkeit einbringen und ihre eigenen Deutungen und Übertragungen entwickeln können. Methodisch zeichnet sich das Heft durch ein breites Repertoire an handlungsorientierten Arbeitsformen wie Bild- und Liedanalysen, kreativen Mal- und Schreibprozessen oder Internetrecherchen aus.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1–2
2. DIDAKTISCHE HINWEISE 3–11
3. MATERIALIEN 12–32
Anpfiff 12–13
m1/1 Fußball und Cristo Redentor? (inkl. Folie m1/2)
– Bildanalyse, Austausch über eigene Erfahrungen.
m2 Faszination Fußball: „Die größte Sache der Welt“
– Die Faszination des Fußballspiels erläutern.
Fußball und Religion in Brasilien 14–20
m3 Brasilien – Land des Fußballs
– Textarbeit: Die Wichtigkeit des Fußballs in Brasilien erkunden.
m4 Sehenswertes in Brasilien [nur auf der CD-ROM]
m5/1 Gabriel – der neue Nationalspieler? (inkl. Folie m5/2)
– Bild- und Textarbeit mithilfe von Impulsfragen.
m5/3 Gabriel – der neue Nationalspieler?
– Sportliche Begeisterung auf biblische Texte beziehen.
m6 Die deutschen Gruppengegner: USA [nur auf der CD-ROM]
m7 Die deutschen Gruppengegner: Portugal [nur auf der CD-ROM]
m8 Die deutschen Gruppengegner: Ghana [nur auf der CD-ROM]
m9 Hat das Maracanã-Stadion seine Seele verloren?
– Rollenspiel zu einem akuten politischen Konflikt.
m10 Theologie der Befreiung: Was die Kirche Lateinamerikas heute bewegt
– Ein Interview auswerten.
Fußball und Religion in Deutschland 21–28
m11 Fußballfan und Christusfan
– Problemstellung/Dilemma verstehen und konstruktiv bearbeiten.
m12 Fußballer und christlicher Glaube
– Christliche Statements bekannter Fußballspieler analysieren.
m13/1 Mit Gott beim Fußball: Christliche Fanclubs
– Bildbetrachtung und Textanalyse.
m13/2 Mit Gott beim Fußball: Christliche Fanclubs [nur auf der CD-ROM]
m14/1 Fanrivalität vs. Derby-Gottesdienst (inkl. Folie m14/2)
– E-Mail schreiben/Collage erstellen.
m14/3 Fanrivalität vs. Derby-Gottesdienst
– Fotos interpretieren, eine Botschaft ermitteln.
m15/1 Kirche im Stadion: Arena-Kapelle „auf Schalke“ (inkl. Folie m15/2)
– Interview analysieren.
m15/3 Kirche im Stadion: Arena-Kapelle „auf Schalke“ [nur auf der CD-ROM]
m16/1 Fangesänge: Die „heiligen Texte“ der Fußballfans
– Fangesänge kennenlernen und deuten.
m16/2 Fangesänge: Die „heiligen Texte“ der Fußballfans
– Vergleich mit biblischen Texten.
Fußball als Ersatzreligion? 29–32
m17 Was ist Religion?
– Definitionen von „Religion“ selbst formulieren, interpretieren und vergleichen.
m18 Funktionen von „Religion“ [nur auf der CD-ROM]
m19 Fußball – Meine Religion?!
– Einen Liedtext analysieren und weiterschreiben, Stellung beziehen.
m20 Ist Fußball Religion, Religionsersatz oder keine Religion?
– Eine kontroverse Frage erörtern.
m21 Darf ich für den Sieg des eigenen Teams beten?
– Argumente sichten/bewerten, Gebete schreiben
Abpfiff
m22/1–2 Endspiel: Der große Preis [nur auf der CD-ROM]