Der Titel des vorliegenden Themenheftes "Kirchenräume - Kirchenträume" verweist auf das Buch des Theologen Klemens Richter: "Kirchenräume und Kirchenträume. Die Bedeutung des Kirchenraums für eine lebendige Gemeinde". Ihm verdankt dieses Themenheft viele Informationen, Anregungen und Ideen.
Der Titel wird bei ihnen wie auch bei den Schülerinnen und Schülern wahrscheinlich sehr unterschiedliche, ja ambivalente Gedanken und Gefühle hervorrufen. In einer Zeit, in der die katholische Kirche in Deutschland eher über die Schließung von Kirchen und deren weiteren Verwendungszweck nachdenken muss und in der die Zahl der Kirchenbesucher weiterhin rückläufig ist, erscheint ein solches Thema weit hergeholt. Doch andere Nachrichten verweisen auf aktuelle Ereignisse, die einen Gegenpol zum gerade skizzierten Sachverhalt darstellen: Seit dem Ende des Kommunismus hat zum Beispiel die katholische Kirche der Slowakei 600 neue Gotteshäuser gebaut. In Deutschland berichtet die Presse von neuen Kirchenbauten in Großstädten, wie die Herz-Jesu-Kirche im Münchener Stadtteil Neuhausen, die als Hoffnungszeichen des Glaubens in unserer Welt und als Zeichen der Ermutigung gedeutet werden. Solche Nachrichten sind Hinweise, dass Menschen auch heute noch Kirchenträume haben, die sie veranlassen, neue Gotteshäuser, moderne Kirchenbauten zu errichten. Diese modernen Kirchen sprechen von der Gegenwart Gottes unter den Menschen; und dies verbindet diese neu entstehenden Gotteshäuser mit den alten Kirchen, die Zeugnisse der Gegenwart Gottes unter den Menschen darstellen.
In den Lehrplänen und Inhalten von Religionsbüchern war der Bau und die Einrichtung von Kirchen immer schon ein Thema; jedoch stand bei der Behandlung dieses Themas oft die kunstgeschichtliche Sichtweise, die Stilkunde im Vordergrund der Auseinandersetzung. Die Theologie des Kirchenbaus wurde eher vernachlässigt. In dem vorliegenden Themenheft soll aber gerade dieser Aspekt im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen: die "Innenseite der Außenseite" (H. Halbfas), d. h. Kirchenbau als symbolische Abbildung des jeweiligen Selbstverständnisses christlicher Gemeinden verstanden. Die Architektur hat somit die Aufgabe, eine bestimmte Theologie zu vermitteln, darzustellen, baulich umzusetzen und zu gestalten. Diese Sichtweise ist keineswegs neu, man denke nur an die Renaissance-Architektur, die vom Gedanken der göttlichen Harmonie geprägt ist und für die Symbolik empfänglich war. Die Theologen der Renaissance vertraten die Meinung, das Weltall und die ganze Schöpfung seien ein mathematisches und harmonisches Gebilde. Die ganze göttliche Schöpfung sei von den Gesetzen der harmonischen Zahlen durchdrungen, somit auch die menschliche Seele. Daher empfinde der Mensch, wenn er eine Kirche betrete, die im Einklang mit den Gesetzen mathematischer Harmonie erbaut worden sei, diese Harmonie der göttlichen Schöpfung. Aufgrund dieser Überzeugung favorisierten die Architekten der Renaissance die religiöse Symbolik der Zentralbau-Kirche. Dieses konkrete historische Beispiel zeigt, dass der Kirchenbau schon immer Symboldidaktik war. Daher ist das Ziel dieses Themenheftes, das Verständnis von Grundfunktionen zu vermitteln, die den gestalteten Räumen zukommen. Ausgangspunkt ist die "Hauskirche", da sie die Frage aufwirft: "Was macht eine Kirche zur Kirche?". Dieser Frage müssen wir uns immer wieder neu stellen, da die vorhandenen Kirchenbauten, ob romanisch, gotisch, barock oder modern, diese Frage keineswegs für alle Zeiten gültig beantworten. Ort der Feier des Glaubens von Kirche und Gemeinde ist der gottesdienstliche Raum. Das Selbstverständnis einer Gemeinde, die Art wie sie ihren Glauben zum Ausdruck bringt, ist nicht nur an der Gestaltung der Feier, sondern ebenso an der Raumgestaltung zu erkennen. Die Korrelation zwischen Glauben und Gotteshaus hat Klemens Richter folgendermaßen festgehalten: "Der liturgische Raum prägt den Glauben und bringt diesen Glauben durch seine Gestaltung zum Ausdruck". Der liturgische Raum ist Spiegelbild eines bestimmten Kirchenverständnisses, somit ist die Geschichte des, Kirchenbaus auch immer Kirchengeschichte und erzählt konkret von der Umsetzung der Liturgie als kommunikativer Handlung zwischen Gott und Mensch einerseits und zwischen Mensch und Mensch andererseits, d. h. von den Versuchen, Kirchenträume Wirklichkeit werden zu lassen.
Didaktische Überlegungen/Zielsetzungen
Ziel des Themenheftes ist es, den Schülerinnen und Schülern das Verständnis von Grundfunktionen der Gestaltung von liturgischen Räumen zu vermitteln. Hierbei konzentriert sich die vorgestellte Unterrichtsreihe auf die Bedeutung von Raumgrundrissen und möglicher Einrichtungsanordnungen. Die Aspekte Kirchenfenster, sakrale Gegenstände, liturgische Geräte und Gefäße sowie Kleidung im Gottesdienst werden nicht mit einbezogen, da sie den Rahmen einer Unterrichtsreihe sprengen würden. Die konkreten Beispiele und die teilweise idealtypischen Darstellungen dienen der Veranschaulichung grundsätzlicher Bedeutungsfaktoren und können als Basis dienen, von der aus man einzelne liturgischen Räume, z. B. aus dem eigenen Lebensraum erschließen kann. Die Auseinandersetzung mit dem Thema "Gestaltung liturgischer Räume als Spiegelbild des Kirchenverständnisses" soll die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler schulen und für das Erlebnis eines "heiligen Ortes" sensibilisieren. Die "Hauskirche" als historischer Anfang sowie die Erfahrungswirklichkeit der Lerngruppe bilden den Ausgangspunkt der Unterrichtsreihe. Neben der Erarbeitung von Grundkenntnissen, die im weiteren Verlauf auch wieder abgerufen werden und auf andere Problemstellungen transferiert werden können, werden die Schülerinnen und Schüler eingeladen, ihre eigenen Vorstellungen darzustellen, zu überdenken, eventuell zu modifizieren und ihren eigenen Kirchentraum zu entwickeln. Das besonders im Mittelalter beliebte "Urbild-Abbild-Schema" wird am Beispiel des Bildes vom himmlischen Jerusalem (vgl. M9) vorgestellt. Die Folie mit Bildern der Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" in Neviges soll die Vermittlung von Eindrücken erleichtern. Abschließend werden die Fragen "Was macht einen Ort eigentlich zu einem heiligen Ort?" und "Wer oder was ist eigentlich Kirche?" thematisiert. Sie dienen als Anregung, die eigenen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Neben den "klassischen" Methoden der Texterschließung werden immer wieder kreativ-künstlerische Methoden eingesetzt. Ein Reiz der Unterrichtsmaterialien besteht gerade darin, dass die Beschäftigung mit Skizzen und Zeichnungen dominant erscheint und die Schülerinnen und Schüler die Arbeitsblätter insgesamt nicht als "textlastig" empfinden werden.
Inhaltsverzeichnis
EINFÜHRUNG
UNTERRICHTSVERLAUF
MATERIALIEN
Einstieg
M 1 Mein Zimmer
Zeig mir, wie du wohnst, und ich sag dir, wer du bist!
M 2 Erinnerungen an eine Kirche
Worte verfliegen, doch Bilder bleiben ewig haften.
M 3 Die wohl eigenwilligste Großbaustelle der Welt
Der Glaube kann Megatonnen von Beton, Ziegel, Mörtel und Eisen bewegen.
Grundlagen und Einblicke:
Von den Anfängen des Kirchenbaus bis heute
M 4/1 Was ist eine Hauskirche
Ein Haus der Gemeinde oder eine Gemeinde zu Hause
M 4/2 Die Hauskirche in Dura Europas
Der Beginn des Kirchenbaus
M 5/1 Grundtypen von Versammlungsformen
Wie sollen wir sitzen?
M 5/2 Zwei Grundtypen von Versammlungsformen
Rechteck oder Kreis- das ist hier die Frage!
M 6 Die Basilika
Weder ein Haus des Kaisers noch ein Haus fremder Götter darf es sein!
M 7 Der Zentralraum
Kreuz, Hexagon oder Oktogon - angedeutete Kreise
M 8 Der polyzentrische Raum
Handlungsmitte zwischen zwei Brennpunkten
Prägende Grundideen der Architektur und symbolische Deutungen
M 9 Leitbilder des Kirchenbaus
Das Urbild-Abbild-Schema
M 10 "Leib Christi " - LeitbiId einer Kirchenraumgestaltung
Kirche: Wirkstätte des Hl. Geistes - Ort, an dem das Miteinander der Menschen untereinander und mit Gott wächst.
M 11/1 Die Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" in Neviges
Kirche: Die Zeltstadt Gottes
M 11/2 (Folie) Die Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" in Neviges
Marktplatz Kirche
Kirchenträume damals und heute
M 12 Ein Raum - sechs verschiedene Lösungen
Die Frage nach dem Wozu
M 13/1 Tabgha - eine eigene Kirche für die Jugend
Ein spannendes Projekt in Oberhausen
M 13/2 Tabgha - eine eigene Kirche für die Jugend
Eine eigene Kirche für die Jugend
M 14 Ein heiliger Ort?
Die Frage nach der Richtigkeit und Stimmigkeit eines liturgischen Ortes
M 15 Wo wohnt Gott?
Die Menschen: Tempel Gottes und Steine, aus denen Gott ein lebendiges Haus baut.
IDEENBÖRSE
TAFELBILDER