Thematik
Der Titel "Unser Pfarrer ist eine Frau" ist schon symptomatisch für unsere gesellschaftliche Wirklichkeit, denn es sollte und müsste korrekt "Unsere Pfarrerin ..." heißen. Das Betonen der weiblichen Endung ist keine bloße Sprachspielerei, sondern deutet auch darauf hin, dass wir noch nicht internalisiert haben, dass Frauen auch in leitenden und öffentlichen Positionen selbstverständlich sind; denn geläufig ist für uns nur die weibliche Form von Arbeiterin, Verkäuferin, Friseurin usw.
Eine Untersuchung des Frauen- und Wissenschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen ergab, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen nur vier Prozent beträgt. An dieser Stelle kann nicht den verschiedenen Ursachen dafür nachgegangen werden, aber die Tatsache als solche bleibt festzuhalten.
Diese gesamtgesellschaftliche Situation spiegelt sich auch in der Kirche wider: in der katholischen ist es offenkundig, doch auch in der evangelischen Kirche wurde erst 1974 in allen Gliedkirchen die Gleichstellung von Mann und Frau im Pfarramt kirchengesetzlich geregelt. Bis dahin galt: "Das Dienstverhältnis der Pastorin endet, wenn sie heiratet." 1992 wurde in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche Maria Jepsen zur ersten lutherischen Bischöfin der Welt gewählt. Diese Wahl führte auf verschiedenen Ebenen zu einer öffentlichen Diskussion, inwieweit die Kirche noch auf biblischen Aussagen basiere. Doch auch die biblischen Aussagen spiegeln den damaligen gesellschaftlichen, von patriarchalischen Lebensformen bestimmten Kontext wider. Verstärkt wird diese Tendenz durch eine patriarchal geprägte Traditions-, Redaktionsund Auslegungsgeschichte. Gleichberechtigung muss auf der Grundlage einer wechselseitigen Beziehung verstanden werden; sie bedeutet nicht "Uniformität, abstrakte Gleichheit, sondern entgegenkommende Anerkennung von inhaltlich bestimmten Verschiedenheiten unter den Menschen. Es heißt, Gemeinschaft aus dem gemeinsamen Leben verschiedener und in dieser Verschiedenheit aufeinander bezogener Menschen hervorgehen zu lassen." (Trutz Rendtorff: Ethik, Band 2, Stuttgart/Berlin iggi, S. 122)
Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen müssen sich Lehrerinnen und Lehrer bewusst machen, inwieweit sich Schülerinnen und Schüler religiöse Inhalte und Haltungen geschlechtsspezifisch aneignen. Nach dem heutigen Stand der Forschung sind zumindest folgende Thesen unumstritten (für den deutschsprachigen Raum u. a. von Prof. Dr. Agnes Wuckelt, Katholische Fachhochschule Paderborn, erforscht):
Mädchen und Frauen sind an Themenbereichen, die Religion, Kirche und Glauben betreffen, interessierter als jungen und Männer.
Da das Selbst- und Weltverständnis zwischen den Geschlechtern unterschiedlich ist, sind auch Glaube und Religion geschlechtsspezifisch ausgeprägt.
Diese Unterschiedlichkeit führt zu - bewussten oder unbewussten - geschlechtsspezifischen Vermittlungen und Aneignungen, denn die individuelle biografische Glaubensgeschichte hat Auswirkung auf die aktive und passive Verkündigung.
Besonders relevant und empirisch belegt sind die Ausführungen der Amerikanerinnen Lyn Brown und Carol Gilligan (Lyn Brown/Carol Gilligan: Die verlorene Stimme, Frankfurt 1994 / München 1997): Brown und Gilligan gehen von der Kritik an der Theorie Kohlbergs aus, der seine Untersuchungen auf männliche Versuchspersonen beschränkte und die Interpretation - besonders bei den Antworten auf Dilemma-Geschichten - auf beide Geschlechter übertrug. Entgegen dem Stufenmodell von Kohlberg haben Brown und Gilligan in einer Untersuchung für Mädchen die Bindungskrise als zentrales Thema der Adoleszenzphase nachgewiesen (im Gegensatz zu dem besonders in der Religionspädagogik noch weit verbreiteten Konzept der Autonomicentwicklung; vgl. Erik Erikson: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt 1971).
Aufgrund dieser Ergebnisse hat die Frauenarbeitsgruppe der ALPIKA (Allgemeine Leitungskonferenz der Pädagogischen und Katechetischen Ämter) "Frauen in Schule und Gemeinde" u. a. folgende .Anregungen für Unterrichtende, die zur Chancengleichheit von Mädchen und Jungen beitragen", entwickelt (vgl. Ehrenfeuchter/Hilger/Pithan: ALPIKA-AG "Frauen in Schule und Gemeinde", 1998, S. 20):
Bewusstmachen: Ich unterrichte als Frau oder Mann.
Bewusstmachen: Ich unterrichte Mädchen und Jungen.
Vielfältige Geschlechterrollen und sexuelle Orientierungen sollen im Unterricht deutlich werden.
Entwickeln offener Unterrichtsformen, die Eigenständigkeit und soziales Lernen fördern,
Verwenden und Entwickeln von geschlechtergerechteren Unterrichtsmaterialien,
Fördern des Selbstwertgefühls von Mädchen,
Ermöglichen von repressionsfreien Lernräumen in Schule und Gemeinde, damit Mädchen sich ihrer Stärke und Fähigkeiten bewusst werden und ihrer eigenen Wahrnehmung trauen lernen.
Überlegungen zu den Intentionen
Eine Frau als Pfarrerin sollte selbstverständlich sein oder zumindest werden. Dazu ist es notwendig, das Rollenbild, das wir vom Pfarrberuf haben, zu überdenken und zu korrigieren. Nicht zuletzt kann deutlich werden, dass die evangelische Kirche (mittlerweile) auch die rechtlichen Grundlagen dazu gibt, was auch durch ihren basisdemokratischen Aufbau - im Unterschied zur katholischen Kirche - verdeutlicht wird. Im Interesse eines verantwortlichen Religionsunterrichts können diese Intentionen nicht ohne biblischen Bezug verfolgt werden.
Auf diesem Hintergrund sollen die Schülerinnen und Schüler Visionen für ihre Gemeinde entwickeln - in der Hoffnung, dass auch ihr Interesse am Gemeindeleben und an der Zukunft der Kirche geweckt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Einstieg
m1 Der ideale Pfarrer - die ideale Pfarrerin
Anhand einerAnziehpuppe reflektieren die Schüler/innen ihre Einstellung zum Pfarrberuf und eigene geschlechtsspezifische Erwartungen.
Frauen in den ersten christlichen Gemeinden
M2 Frauen in den ersten christlichen Gemeinden
Die Schüler/innen erweiternihr Wissen über die urchristliche Gemeinde, indem sie Frauen, die in den ersten Gemeinden tätig waren, kennen lernen.
M3 Berichte aus den ersten christlichen Gemeinden
Mögliche Differenzierung zu M2, in der die Schüler/innen an abgedruckten Bibelstellen arbeiten können.
M4 Eine Frau aus Korinth schreibt an Paulus
Die Schüler/innen lernen anhand eines fiktiven Briefes Aussagen des Paulus über die Rolle der Frau kennen.
M 5 Hilfen für Paulus
Die Schüler/innen überlegen mögliche Antworten des Paulus auf kritische Anfragen von Frauen.
Geschichtliche Entwicklungen
M6 Maria Magdalena predigt (Folie)
Die Schüler/innen interpretieren ein mittelalterliches Bild.
M7 Maria Magdalena predigt
Interpretationshilfe zur Folie: Die Bezüge zwischen der Predigerin und den Zuhörerinnen werden besonders herausgestellt.
M8 "Mein Gott ist Frau und Mann zugleich"
Die Schüler/innen lernen anhand einer biografischen Erzählung den mühsamen Weg kennen, den Pfarrerinnen bis heute beschreiten mussten.
Wie sieht es heute aus?
M9 Interview mit Ruth Wirths, Pfarrerin in W.
Die Schüler/innen werden angeregt, sich mit geschlechtsspezifischen Funktionen einer Pfarrerin/eines Pfarrers in der Gemeinde auseinander zu setzen.
M10 "Denn der Mann ist das Haupt der Frau ... "
Anhand einer Karikatur sollen die Schülerlinnen das Verhältnis von Frau und Mann bedenken.
M11 Gegenseitige Unterordnung
Die so genannte"Haustafel" (Eph 5,21-33) und das Bild von der Gemeinde als Leib (1 Kor 12,12-17).
Wohin gehen wir?
M12 Unsere Kirchen Die Schüler/innen lernen auf der Grundlage eines Erkundungsbogens ihre Gemeinde - und die katholische Nachbargemeinde - kennen.
M13 Organisatorische Struktur
Anhand von Schaubildern erkennen die Schüler/innen den unterschiedlichen Aufbau der katholischen und der evangelischen Kirche.
M14 Zahlen, Zahlen, Zahlen ...
Zahlen und offene Thesen zur möglichen Entwicklung in der Kirche in Bezug auf das Verhältnis von Frauen und Männern.
M15 Wie soll unsere Kirche aussehen?
Die Schüler/innen denken mithilfe einer "Wertebörse" darüber nach, welche Aufgaben die Kirche in Gegenwart und Zukunft wahrnehmen soll.
4. IDEENBÖRSE
5. TAFELBILDER