Geschichten von Brot und Wein
Einführung
Bedeutungswandel bei Essen und Trinken
„Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts wehrten sich auf Neuseeland die kriegerischen Maori erbittert gegen die britischen Streitkräfte. A/s ihr Kampf schon verloren schien, führten Propheten sie in einen heiligen Krieg gegen die Weißen. Damals lief ein britischer Soldat zu den Maori über. Weil zum Feind Überlaufen etwas ganz Neues für die Maori war, musste der Flüchtling stündlich um sein Leben bangen, bis er einem Propheten begegnete. Der nahm eine Süßkartoffel, von den Maori als heilige Pflanze verehrt, brach sie in zwei Hälften, ließ die eine Hälfte den Überläufer essen und aß selber die andere. Von Stund an brauchte sich der Fremde nicht mehr zu fürchten; es war, als sei er einer der Ihren geworden, wie ein Stammesbruder" (Hans-Jürgen Greschat: Essen und Trinken; Religionsphäno-menologisch, in Manfred JosuttisjGerhard Martin Marcel: Das heilige Essen. Kulturwissenschaftliche Beiträge zum Verständnis des Abendmahls, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1980, S. 32).
In der Gesellschaft, in der wir leben, empfinden wir zwar Essen und Trinken als nicht mehr so exis-tenziell, doch wir widmen diesen scheinbar banalen Dingen — ähnlich wie dem Schlafen — einen großen Teil der Lebenszeit. Vieles von dem, das verdient wird, wird dafür ausgegeben. Dagegen ist die Gemeinschaft bei gemeinsamem Essen und Trinken zunehmend aus unserem durchorganisierten und effizienten Alltag verschwunden: im Namen flexibler Arbeitszeiten, im Namen der Eile, im Namen von wichtigen und unaufschiebbaren Terminen — Essen und Trinken zur Abspeisung verkommen? Ist die westeuropäische Gesellschaft schon auf dem Weg, eine Fastfood-Gesellschaft zu werden (die Ausbreitung entsprechender Fastfood-Ketten und ihr wirtschaftlicher Erfolg geben zu denken)? Wie anders ist dagegen ein Essen mit Freunden in einer angenehmen, ruhigen Atmosphäre, an einem liebevoll gedeckten Tisch mit guten Gesprächen. Gemeinsam essen erhält die Bedeutung der Zusammengehörigkeit.
Biblische Befunde
In der Hebräischen Bibel finden wir schon im Ersten Buch Mose Geschichten, die die Bedeutung von Essen und Trinken herausstellen: Als Jahwe Abraham in Mamre erscheint, werden die drei Männer von Abraham auf das Beste bewirtet (1 Mose 18, 6ff.). Isaak will Esau bei bzw. nach einem besonderen Essen segnen (vgl. 1 Mose 27). Im Buch des Predigers finden wir fünfmal eine fast ähnliche Aussage zu Essen und Trinken: „Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes" (Prediger 3,13; vgl. auch 2,24; 5,17; 8,15; 9,7).
Die Evangelien berichten, dass Jesus immer wieder Tischgemeinschaft gesucht hat; dabei aß er nicht nur mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, seine Tischgemeinschaft bezog auch — und damit erregte er Anstoß — ausbeuterische Zöllner und Prostituierte ein. Im Johannesevangelium wirkt Jesus sein erstes Wunder bei der Hochzeit zu Kana; als die Menschen ihm in die Wüste folgen, sorgt er dafür, dass alle satt werden; mit einem Mahl verabschiedet er sich von seinen Jüngerinnen und Jüngern. Wie gern Jesus mit den Menschen aß, zeigt nicht zuletzt der Vorwurf seiner Gegner: „dieser Fresser und Weinsäufer" (Mt 11,19). Auch viele der Gleichnisse Jesu thematisieren die Tischgemeinschaft: Das Mahl als das bevorzugte Bild für das Reich Gottes. In seiner Rede im Johannesevangelium, die in dem Satz „Ich bin das Brot des Lebens" gipfelt, veranschaulicht Jesus, was er selbst für die Menschen bedeutet (Joh 6,26-59). Schließlich taucht das Motiv des Essens auch in den Auferstehungsberichten
auf: Erst als der Auferweckte das Brot bricht, erkennen die Jünger in Emmaus ihn (Lk 24,31). Jesus grenzt niemanden aus, er will alle Menschen miteinander verbinden. Auf diesem Hintergrund können wir ansatzweise das Geschenk verstehen, das er uns im Abendmahl als Vermächtnis hinterlassen hat.
Das Abendmahl
„Der biblische Befund zum Abendmahl steigt sowohl eine breite Übereinstimmung in den Kernaussagen als auch individuelle Akzente einzelner Autoren und Gemeinden: Nach den biblischen Zeugnissen vergegenwärtigen die Abendmahlsfeiern den gekreuzigten Christus und die durch ihn für alle Menschen eröffnete neue und ewige Gemeinschaft mit Gott. Die Vergebung der Sünden ist Grund und Ausdruck dieser neuen Gemeinschaft. Sie kann wie bei Matthäus explizit gemacht oder eher angedeutet werden. Ungeachtet aller theologischen Akzentunterschiede und liturgischen Differenzen sind sich die neutestamentlichen Berichte auch darin einig, dass im Abendmahl diese neue Gemeinschaft durch das Essen und Trinken erfahrbar wird, weil es der lebendige Christus selbst ist, der sich in dieser Mahlzeit denen schenkt, die Gäste an seinem Tisch sind" (Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Das Abendmahl, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003, S. 15).
Die evangelischen Gemeinden orientieren sich zuerst und vor allem an den neutestamentlichen Berichten über das letzte Mahl Jesu (Mk 14,12-25, par. Mt 26,17-30 par. Lk 22,7-23 und 1 Kor 11,23-25). Diese Texte sind einerseits durch grundlegende Gemeinsamkeiten verbunden, andererseits erlauben sie auch unterschiedliche Deutungen des Abendmahls.
Folgende Akzentuierungen des Abendmahlsverständnisses lassen sich unterscheiden: In der reformierten Tradition wird das Abendmahl unter Berufung auf Augustins Rede vom „verbum visibile (vom „sichtbaren Wort") als nicht unbedingt notwendige, aber gute Visualisierung des Wortes verstanden. Das Abendmahl als heiliges Essen im allgemein-religiösen Sinne ist dagegen die Extreme des lutherischen Ansatzes. Das Abendmahl eröffnet, unabhängig vom Glauben der Beteiligten, Lebensgewinn bzw. beinhaltet die Gefahr des Lebensverlustes. In der katholischen Kirche wird von Eucharistie gesprochen - „Eucharistie" (griech.) heißt Dank und bezieht sich auf die neutestamentlichen Berichte („er nahm das Brot, sagte Dank ..."). So wird betont, dass die Christen Gott für sein Handeln in Jesus Christus danken. Die Kirchen stimmen darin überein, dass in den Symbolen von Brot und Wein die Wirklichkeit des Heilgeschehens in Jesus Christus gegenwärtig ist.
Intentionen
Die gegenwärtige Diskussion zwischen Katholiken und Protestanten um ein gemeinsames Abendmahl wird in den vorliegenden Materialien nicht thematisiert.
Ausgehend von Alltagserfahrungen können die Schülerinnen und Schüler entdecken, dass Brot und Wein nicht nur real verstanden, sondern auch mehrdimensional gedeutet werden können. Dazu werden neben Geschichten und Bildern auch ganzheitliche Zugänge aufgezeigt. Ein Hauptaspekt der Mehrdimensionalität von Brot und Wein ist die entstehende Gemeinschaft, die letztlich im Abendmahl den religiös-christlichen Bezug erhält: Die Gemeinschaft miteinander kann zur Gemeinschaft mit Gott führen. An dieser Stelle ist es möglich, auf die Bedeutung des Abendmahls einzugehen.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Ein Brot ist mehr als ein Brot
m 1 Fragebogen zum Thema Essen - Unterschiedliche Essenssitten
m 2 Unser tägliches Brot gib uns heute - Meditationstext: „Erlebnisse eines Brotes".
m 3 Wir backen ein Fladenbrot - Anregung zum Brotbacken
m 4 Was ist Brot? - Brot als Chiffre für Lebensnotwendiges
m 5 Wolfgang Bordiert, Das Brot - Verzicht aus Liebe
m 6 Waltraud Hagemann, Ein Brot ist mehr als ein Brot - Mehrdimensionalität von Brot
m 7 Udo Jürgens, Griechischer Wein - Erinnerung an Gemeinschaft
Alle sollen satt werden
m 8 So werden alle satt
m 8.1 Himmel und Hölle - Teilen macht satt
m 8.2 Die Speisung der 5000 - Erster Hinweis auf die Abendmahlstradition
m 8.3 Luise Rinser, Er teilt Brot und Fische - Teilen für das Lebensnotwendige
m 9 Aus einem Brief aus Basankusu (Kongo) - Menschen sind aufeinander angewiesen
m 10 Konflikt in Korinth - Thematisierung des Abendmahlsstreites in Korinth
m 11 Hochzeit in Kana - Hochzeit als Zeichen für den Beginn der Heilszeit
m 12 Walter Habdank, Emmaus (Holzschnitt) - Die Emmausgeschichte als Abendmahlsgeschichte m 13 Volker Stelzmann, Gastmahl in Emmaus (Folie 1) - Gemeinsames Essen schafft Veränderung
„Das tut zu meinem Gedächtnis"
m 14 Das Abendmahl (Erzählung) - Ursprung des Abendmahls
m 15 Leonardo da Vinci, Das Abendmahl (Folie 2) - Verschiedene Methoden der Bildbetrachtung
m 16 Einsetzungsworte - Kennenlernen unterschiedlicher Einsetzungsworte
m 17 Aussagen zum Abendmahl - Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Abendmahl
m 18 Robert Hammerstiel, Das Abendmahl (Holzschnitt) - Die Bedeutung des Segnungsgestus
m 19 Bilder vom Abendmahl - Eigene bildnerische Gestaltungen zum Abendmahl
m 19.1 Andy Warhol und Ben Willikens
m 19.2 Andy Warhol, The Last Supper (Folie 3)
m 20 Abendmahlsdarstellungen von „Brot für die Welt" (Folie 4) - Bildvergleich führt zur
„Einen-Welt-Problematik"
m 21 Ein Gemeinschaftsmahl in der Klasse - Vorschläge für die Gestaltung eines Gemeinschaftsmahls