Günther vom Stein
Heiliges in den Religionen der Welt
Annäherung an den Begriff „heilig"
heilig [zu neuhochdeutsch heil oder zu einem (nicht belegten) germanischen Wort haila „Zauber", „günstiges Vorzeichen", „Glück"], in den Religionen Bezeichnung dessen, was einer Gottheit angehört und/oder ihrem Dienst geweiht ist (z.B. heilige Stätten und Schriften) und durch diese Beziehung auch Ausdruck der in der Gottheit selbst (dem Heiligen) repräsentierten Heiligkeit ist. (zit. nach Brockhaus 20i997)
• In Friedrich Heilers Standardwerk der Religionswissenschaft und Religionsphänomenologie (Erscheinungsformen und Wesen der Religion, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1961) lauten die Hauptüberschriften: „Heiliger Gegenstand", „Heiliger Ort" und „Heilige Zeit", „Heilige Zahl", „Heilige Handlung", „Heiliges Wort und Heilige Schrift", „Heiliger Mensch" und „Heilige Gemeinschaft".
• Bei der Beschreibung des Heiligen kann das Numinose (Otto), die Unverletzlichkeit (Durk-heim), die Kraft (van der Leeuw) oder auch die Funktion des Vorbildes (Eliade) hervorgehoben werden. Ebenso kann das Heilige als ein Objekt der Zuwendung für das religiöse Bewusstsein verstanden werden, als ein Objekt, das von Menschen mit Attributen des Heiligen ausgestattet wurde. In jedem Fall kennt das religiöse Leben und Verhalten die Unterscheidung zwischen der heiligen und der weltlichen Erfahrung, während es für den nicht religiösen Menschen nichts gibt, was sakral oder heilig ist. (W.E. Paden, Am Anfang war Religion. Die Einheit in der Vielfalt, Gütersloh 1990, S. 64)
• Heiligkeit ist das bestimmende Wort in der Religion; es ist sogar noch wesentlicher als der Begriff Gott [...]Es gibt keine echte Religion ohne Unterscheidung zwischen „heilig" und „profan". (Nathan Söderblom, zit. nach: Udo Tworuschka, Lexikon Die Religionen der Welt, Gütersloh 1999, $.136)
• Zunehmend ist der Begriff „heilig" profanisiert worden; so wird z.B. vom „heiligen Rasen" (Wembley-Stadion in London) und von „heiligen Gegenständen" (im Sinne von Andenken) gesprochen, der Feierabend ist vielen heilig. Ebenfalls findet der Begriff Verwendung in nur scheinbar religiös begründeten Ausdrücken wie „heiliger Krieg" oder „heiligen Kriegern".
Das Heilige bei Rudolf Otto
Vor allem Rudolf Otto (1869-1937), der Marburger Religionsphilosoph und systematische Theologe, hat über den Begriff des „Heiligen" richtungsweisend gearbeitet. Einerseits spricht er vom „tremendum", dem Schauer, den die Begegnung mit dem Göttlichen auslöst. Neben zahlreichen Bezügen in der Hebräischen Bibel, in denen Menschen das Erschauern und Sich-Entsetzen erleben (am bekanntesten dürfte die Geschichte vom brennenden Dornbusch sein, Exodus 3,1 ff., dort besonders V. 6), beschreibt im Neuen Testament besonders der Evangelist Markus diese Reaktion auf die Erscheinung Jesu (z.B. Mk 4,41; 5,15; 5,33; 11,18). Andererseits wird die Andersartigkeit des Göttlichen — und damit die Fremdheit und Unberechenbarkeit -
mit der Attraktivität, dem Anziehenden, verbunden. Rudolf Otto hat dafür den Ausdruck „fascinans" verwendet: Die Nähe des Heiligen, die erlebt wird, ist auch faszinierend und anziehend, weil das Befremdende der Gottheit zugleich als ihr eigener Charakter verstanden wird. Luther sprach in diesem Zusammenhang vom „eigenen Werk", dem „opus proprium" Gottes.
Folgerungen
Die Beschäftigung mit dem. „Heiligen", die das vorliegende Heft durch die angeführten Beispiele aus den Weltreligionen verfolgt, bietet einerseits einen möglichen Einstieg in das Verständnis der Religionen, andererseits hat sie zukunftsrelevante Bedeutung. So hat neuerdings der Philosoph Hans-Georg Gadamer zu einem religiösen Gespräch über die Transzendenz aufgerufen, um die Menschheit vor der Selbstvernichtung zu bewahren: Wenn sich die Weltreligionen über die „Anerkennung der Transzendenz als das große Unbekannte" einigen könnten, sei eine Zerstörung der Erde vielleicht noch zu stoppen (Hans-Georg Gadamer, Die Lektion des Jahrhunderts, Münster 2002).
Überlegungen zu den Intentionen
Das vorliegende Heft will keine Einleitung zu den angesprochenen Religionen geben; gleichwohl können die Schülerinnen und Schüler auf die Unterschiedlichkeit aufmerksam und neugierig gemacht werden, sodass sich - im Anschluss oder begleitend - die Beschäftigung mit anderen Religionen, möglicherweise in Projektgruppen (vgl. die „Ideenbörse" S. 31) ergeben mag.
Die Schülerinnen und Schüler lernen ausgewählte Beispiele aus den Weltreligionen und ihre Bedeutung für die jeweilige Religion kennen, um daran über den Begriff des Heiligen reflektieren zu können. Dabei ist eine Annäherung an die Definition Ottos (das Heilige als „mysterium tremendum" = Schrecken erregendes Geheimnis, „mysterium fascinans" = faszinierendes, anziehendes Geheimnis und „mysterium augustum" = erhabenes Geheimnis) immer zu beachten und zu intendieren. Dazu dient nicht zuletzt der Vergleich der Beispiele und die allgerneingültigen Aspekte, die auf den Materialblättern angesprochen werden und quasi eine Klammer um die Einzelbeispiele bilden. Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Reihenfolge der Materialien nicht zwingend notwendig ist; wie aus der folgenden Übersicht hervorgeht, kann mit jedem Beispiel begonnen werden:
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1-2
2. UNTERRICHTSVERLAUF 3-11
3. MATERIALIEN 12-30
Einstieg
m1 Assoziationsstern
• Die Schülerinnen und Schüler nähern sich dem Begriff „heilig".
m2 Die Thora - die Bücher der Weisung
• Die Verehrung der Thora wird durch eine Bildbetrachtung und einen Text herausgestellt.
m3 Die Klagemauer
• Bedeutsamkeit des Tempels und der Klagemauer
m4 Sabbat - der Tag, der einen Namen hat
• Neben der Kennntnis über den Sabbat können Übertragungen auf den Sonntag bedacht werden.
Heiliges im Christentum
m5 „6000 Jahre Und ein Buch"
• Nachdenken über die jeweils aktuelle Sprache der Bibel.
m6 Der Wallfahrtsort Santiago de Compostela
• Sinn und Bedeutung der Pilgerreise werden exemplarisch nachvollzogen.
m7 Heilige Handlung: Das Abendmahl
• Die Schülerinnen und Schüler sollen das Abendmahl als Sakrament verstehen und die unterschiedliche Bedeutung bedenken.
Heiliges im Islam
m8 In der Nacht der Herrlichkeit
• Die Bedeutung des Korans für den Islam.
m9 Mekka — die heiligste Stadt der Muslime
• Die Besonderheit der Wallfahrt nach Mekka wird durch eine Erzählung nachempfunden.
m10 Zakat
• Die Schülerinnen und Schüler lernen die Wichtigkeit des Almosens kennen.
Heiliges im Buddhismus
m11 Die Lehre Buddhas
• Die "Vier Edlen Wahrheiten" als Grundlage der Lehre Buddhas
m12 Der Stupa — Ort der Verehrung
• Kennenlernen der Stupas als besondere Orte der Verehrung.
m13 Die Meditation - ein Weg zum Heil
• Die Idee der Meditation wird nachvollzogen und auf die eigene Lebens-Wirklichkeit übertragen.
Heiliges im Hinduismus
m14 Die Veden - heilige Schriften
• Die Schülerinnen und Schüler lernen anhand von kurzen Erzählungen der Hindus die Heilswege im Hinduismus kennen.
m15 Der heilige Fluss
• Die Bedeutung der Wallfahrt und die Heiligkeit des Flusses.
m16 „In der Kuh sehen wir die Offenbarung Gottes"
• Die Schülerinnen und Schüler lernen anhand einer Erzählung Gründe für die Verehrung der Kuh im Hinduismus kennen.
Zusammenfassung
m17 Buchillustration von Joan Miró
• Der Begriff „heilig" wird abschließend bedacht.