Paul Platzbecker / Ute Lonny- Platzbecker
Ich habe Angst
- Fürchte dich nicht!
Einführung
„Angst hat den ganzen Kopf voller Augen." Mit dieser eindringlichen Wirkmacht beschreibt Friedrich Nietzsche eines der sieben Grundgefühle, die den Menschen von der Geburt bis zum Tod in immer neuen Abwandlungen unvermeidlich begleiten. Schon die Etymologie des Wortes Angst (v. lat.: angustia = Enge) weist auf eine allgemeine Stimmung oder ein Gefühl der Beengtheit, Beklemmung und Anspannung angesichts einer drohenden Gefahr hin, die zu einer Verminderung oder Aufhebung der willens-und verstandesmäßigen Steuerung der eigenen Persönlichkeit führen kann.
Vor allem die Existenzphilosophie sieht in der Angst eine der Grundbefindlichkeiten des Menschen. Spätestens seit Soren Kierkegaard wurde die Angst im Unterschied zur Furcht (der Reaktion auf eine konkrete, bestimmbare Bedrohung) als Gefühl definiert, das wesensmäßig gegen das gegenstandlose Unbestimmte, letztlich also das Nichts, gerichtetes ist. Auch bei dem davon inspirierten Martin Heidegger ist die Angst eine Grundstimmung des Daseins, die den Menschen mit der Gewissheit seines Todes konfrontiert — einer Gewissheit, die aber nicht nur für den Schrecken steht, sondern zugleich für die Bedingung der Möglichkeit, das Sein in seinem Wesen und seinen Möglichkeiten zu erfahren. Ein Leben ohne jede Angst leben zu können, ist schon von daher eine Illusion; die Angst gehört zu unserer Existenz und ist letztlich eine Spiegelung unserer Abhängigkeiten und des Wissens um unsere Sterblichkeit. Auch wenn die Unterscheidung zwischen einer objektbezogenen Furcht und einer unbestimmten, im Wesen des Subjekts begründeten Angst in der späteren Literatur nicht (immer) durchgehalten wurde, ist das Wissen um unsere Ängste, ihre Entstehung, ihre Wandlung und ihre teilweise Überwindung greif-und für die pädagogische Arbeit nutzbar. Die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten, zwischen rationalen und irrationalen Ängsten, zwischen akuten Angstzuständen und latenten Angstneigungen sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die zeitbedingten Maßnahmen und Mittel, diese zu bekämpfen. Die Angst um etwas, vor jemandem, die Angst nicht geliebt bzw. anerkannt zu sein, die Angst vor dem Versagen sind u.a. Ausdruck einer überkulturellen Lebens-, Existenz- und Zukunftsangst. Daneben stehen die „modernen" Ängste unserer Zeit, die vor Gewalt, Kriminalität und Terror, die vor der Zerstörung unserer Umwelt, die vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Gelingt es uns, durch wissenschaftliche und technische Fortschritte, gewisse Ängste auszuschalten bzw. überflüssig zu machen, so tauchen mitunter neue auf, nämlich solche, die durch unser eigenes hybrides Handeln gesetzt werden, das sich nun gegen uns wendet. So lässt der Wille zur Macht über die Natur und das Leben in uns die Angst entstehen, als manipulierte, sinnentleerte Wesen zu enden. Ängste, die dagegen schon überwunden geglaubt schienen, kommen wieder; so z.B. die vor der Natur und ihrer mitunter in die Katastrophe führenden Eigenmächtigkeit.
Angst tritt schließlich in Situationen auf, denen wir nicht oder noch nicht gewachsen sind. Alles Unbekannte, Erstmals-zu-Tuende oder Zu-Erlebende enthält neben dem Reiz des Neuen bekanntlich auch Ängstigendes. Dies trifft vor allem die Heranwachsenden — die Zielgruppe der vorliegenden Reihe —, welche die zu ihren Reifungsschritten gehörenden Ängste meistern müssen, um in ihrer Entwicklung voranzukommen. Gerade diese Altersgruppe gerät indes in die Versuchung, dem verhängnisvollen gesellschaftlichen Trend zur Tabuisierung und Beschwichtigung zu folgen und so auch die für ihre Reifung so wichtigen Ängste zu verdrängen. Die Erlebnis- und Konsumgesellschaft verstärkt hier, auf was sie zu ihrem Überleben angewiesen ist und sucht daher das jugendliche Ich und dessen Selbstwert durch schnellstmögliche Bedürfnisbefriedigung zu stabilisieren. Aber gerade die kom-
mende Generation wird die Widersprüche zwischen den abgelegt geglaubten und den „neuen" Ängsten, zwischen den Versprechen der „Wachstumsgesellschaft" und dem, was sie für sie faktisch (nicht nur ökonomisch) noch einlösen kann, austragen müssen. Und auch unter der sachlich-nüchternen Oberfläche der Schule lassen sich für viele Jugendliche massive Ängste verstecken - wenn sie nicht selbst als Angst einflößendes System erlebt wird.
Stattdessen sollte eigentlich auch hier ein Ort sein, an dem Ängste „ohne Angst" betrachtet und angenommen werden, lähmende Ängste durch den Aufbau von Gegenkräften entschärft und dann als positive Signale für die eigene Entwicklung fruchtbar gemacht werden.
Ein an dieser Stelle mitwirkender christlicher Glaube sucht die Freiräume zu schaffen, in denen Zerstreuung und Verdrängung überflüssig (und ihre Mechanismen durchschaut) werden; er sucht die offene Auseinandersetzung, damit der Reifungsprozess Heranwachender nicht stagniert. So schaltet der Glaube die Empfindungen der Angst nicht einfach aus, aber er bricht ihnen gleichsam die „Spitze" ab. Denn er sagt dem (jugendlichen) Menschen, dass sein Leben in der Hand Gottes liegt, dass er auf Gott vertrauen und auf ein ewiges Heil in der Gemeinschaft mit ihm hoffen darf. Das Leben bleibt bedroht, aber die aus seiner verheißenen Vollendung zurück scheinende Zuversicht entschärft und relativiert alle menschliche Angst.
Didaktische Überlegungen/ Zielsetzung
Die Struktur der vorliegenden Reihe wird durch zwei Grundworte vorgegeben: Dem Bekenntnis und der Einsicht „Ich habe Angst" wird als (Glaubens-) Antwort das biblische „Fürchte dich nicht!" gegenübergestellt. Mit anderen Worten anthropologisch ansetzend lernen die Schüler/-innen in den Einheiten mi bis m5 verschiedene Erscheinungsweisen der Angst einschließlich ihrer körperlichen Symptome (m 3), ihre Ursachen und Auswirkungen, ihre positiven Aspekte (m 5) aber auch ihre Missbrauchbarkeit (m6) kennen und verstehen. Schon aufgrund des faktischen Sprachgebrauchs wird hier dem Vorschlag des Tiefenpsychologen Fritz Riemanns folgend die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht weitgehend aufgehoben; Riemanns Standardwerk „Grundformen der Angst" stand zudem (nicht nur) bei der Ausgestaltung von m 3 und m 7/4 unaufdringlich Pate. Nach einigen zumeist praktisch orientierten Schritten zu einem Angst vermindernden Denken und Verhalten (1117/1-017/5) werden die Schülerinnen mit biblischen (und einem nicht-biblischen) Erfahrungsberichten konfrontiert, in denen zunächst Angst „vor Gott" eingestanden (m 8) und ihr dann im Glaube und Vertrauen (m 9 - m 11) Widerstand entgegengebracht wird. Im Interesse einer gelingenden korrelierenden Identifikation der Schüler/-innen wird hier weitgehend ganzheitlich, handlungsorientiert und gruppendynamisch vorgegangen. Voraussetzung bei der Behandlung des Themas ist das Vorherrschen eines besonderen Klimas in der Lerngruppe. Vertrauen sollte das Verhältnis zwischen den Schüler/-innen, aber auch das zur Lehrperson bestimmen. Denn eine rein distanzierte Auseinandersetzung mit dem Thema ist weder ratsam noch möglich — thematisieren die Schüler/-innen doch letztlich ihre ureigenen Ängste und Blockaden. So sollten die Beteiligten den Umgang mit Nähe und Distanz angesichts dieses Tabu beladenen und sensiblen Themas beherrschen. Denn es ist das Ziel eines solchen Religionsunterrichtes, das Heil, das er ansonsten nur bedenkt, hier zumindest anfanghaft konkret erfahrbar zu machen und somit Zeugnis wider die Angst abzulegen.
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Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Der Mensch an seinen Grenzen - oder. „Ich habe Angst!"
m 1 Angst - was ist das? - Erste Annäherung an das Thema
m 2 Angst eingefangen im Bild (Folie 1) -
Edvard Munch: Frühlingsabend auf der Karl-Johann-Strasse in Oslo
m 3 Wovor haben die Menschen/habe ich Angst? - Typen der Angst erkennen
m 4 Ein Fall für drei: Svenja am Morgen der Klassenarbeit - Ein Fallbeispiel
m 5 Keine Angst vor der Angst - Die andere Seite der Angst entdecken
m 6 Angst und ihr Missbrauch (Folie 2) - Beispiele
Wie mit Ängsten umgehen? Wie Ängste bewältigen?
m 7/1 Angst wegatmen - Eine meditative Körperübung
m 7/2 Angst abbauen durch den Aufbau von Vertrauen - Erlebnispädagogische Übung 1
m 7/3 Vertrauen üben - Erlebnispädagogische Übung 2
m 7/4 Was mir Angst macht - Was mir Angst nimmt - Eine poetische Übung
m 7/5 Leben ohne Angst - Schritte zu angstfreiem Denken und VerhaltenAngst und Glaube,
oder: Fürchte dich nicht!
m 8 Meiner Angst vor Gott Ausdruck verleihen - Mit Psalmen beten
m 9/1 Jesus in Todesangst - Was wäre, wenn sich Jesus anders verhalten hätte?
m 9/2 Wovor Jesus Angst hatte - Was ist eine Kreuzigung?
m 10/1 Die Angst der Jünger auf dem See - Mt 14,22-33 nachspielen/nachempfinden
m 10/2 Die Angst der Jünger auf dem See - Auswertung
m 11 Die Angst vor dem Tod bewältigen - Wie weit trägt der Glaube? Ergebnissicherung
m 12 Umgang mit der Angst - Rückblick und Zusammenfassung
4. IDEENBÖRSE