Solingen, Mölln, Guben, Dessau, Düsseldorf ... die Liste der Orte in Deutschland in denen tödliche Übergriffe auf Menschen fremder Herkunft geschahen, kann mühelos fortgesetzt werden. Nahezu 100 Menschen sind in den letzten zehn Jahren in Deutschland aufgrund von Fremdenhass und Rassismus zu Tode gekommen.
Aber nicht nur die Zahl der umgebrachten Frauen und Männer erschreckt. Die täglichen verbalen und gewalttätigen Übergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer - aber auch auf ältere Menschen, Behinderte und Homosexuelle - zeigen, dass Gewalt nicht nur ein Auswuchs radikaler Randgruppen ist. Die Ergebnisse soziologischer und psychologischer Forschungen zeigen, dass gewalttätige Ausschreitungen ein Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen und Probleme sind. Gewalt aber bietet kein Lösungskonzept für Probleme, sie verschlimmert vielmehr die Situation und endet in einer fortwährenden Spirale der Eskalation.
Nicht nur rechtsradikale Gruppen bekennen sich öffentlich zu Fremdenhass und Rassismus und rufen zu Aktionen gegen alles Fremde und Andersartige auf. Auch in den Köpfen vieler sich ganz bürgerlich gebender Mitmenschen geistert ein mehr oder weniger versteckter Rassismus herum, der am Stammtisch oder im privaten Bereich auch laut geäußert wird. Zudem hat das internet eine ganz neue Dimension der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts ermöglicht, das große Gefahren vor allem für Kinder und jugendliche birgt, die noch auf der Suche nach ihren persönlichen Lebensentwürfen sind.
Leider hat die Politik bis heute noch keine wegweisenden Antworten und Modelle entwickelt, um dem zu begegnen. Der Versuch, Straftäter so schnell wie möglich in einem Verfahren zu verurteilen, genügt allein nicht. Es fehlen klare Aussagen, politische Handlungsstrategien und positive Stellungnahmen, die deutlich machen, dass Ausländerinnen und Ausländer ein Recht darauf haben, bei uns zu leben, und dass sie unter unserem Schutz stehen, ja, dass sie eine Bereicherung für uns Deutsche sind. Demgegenüber hat eine Studie im europäischen Vergleich ergeben, dass Deutschland durch die Mitte der 90ger-Jahre eingeführten restriktiven Maßnahmen nur noch auf Platz lo bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden steht, weil die Voraussetzungen, die zur Anerkennung des Bleiberechts führen, überaus schwierig zu erfüllen sind.
Der Ruf nach Maßnahmen seitens der Politik greift allerdings zu kurz, um den Phänomenen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu begegnen. Mündige Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, im täglichen Leben Farbe zu bekennen, Stellung für die Ausgegrenzten zu beziehen und einzugreifen, wenn sie Zeugen von Ausschreitungen werden. Zum Glück gibt es inzwischen im öffentlichen Leben und im privaten Bereich Menschen, die dies klar und unmissverständlich tun. Zahlreiche Institutionen, Privatpersonen und Gruppen treten mit Informationen und Aktionen an die Öffentlichkeit
und versuchen, Bewusstsein zu ändern und zu schaffen. So hat sich zum Beispiel der Verein .Gesicht zeigen!" - gegründet von Michel Friedmann, Uwe Karsten Heye und Paul Spiegel - zum Ziel gesetzt, gegen rechte Gewalt in Deutschland einzuschreiten und sich für ein weltoffenes Deutschland einzusetzen. Wie schon am Titel zu erkennen, hat diese Initiative auch den Anstoß zu den Unterrichtsvorschlägen in diesem Heft gegeben.
Im Kern geht es darum, die Betroffenen unserer Solidarität zu versichern, sie zu unterstützen und ihre Lage zu verbessern. Durch ihre Teilnahme an Demonstrationen bekunden immer mehr Menschen, dass sie auf der Seite der Gegner von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus stehen.
Überlegungen zu den Intentionen
Schülerinnen und Schüler sind vielfältigen Einflüssen seitens des Elternhauses, des Freundeskreises und auch der Schule ausgesetzt. Um verschiedene Meinungen und Ansichten als relevant übernehmen zu können, müssen sie diese zuvor auf ihre Bedeutsamkeit und Tragfähigkeit - für ihr persönliches Leben und für das in der Gemeinschaft - hin überprüfen. Auf der Suche nach der eigenen Identität und nach Normen und Werten wird es ihnen nicht leicht gemacht, die richtige Auswahl zu treffen.
Schülerinnen und Schüler werden im täglichen Leben zunehmend Zeugen und sogar Opfer von Gewalt, und zwar nicht nur unter Gleichaltrigen, sondern auch gegenüber Fremden - sei es durch rassistische Witze, abfällige Bemerkungen, verbale Attacken oder sogar körperliche Angriffe. Sie erfahren dabei, dass auch viele Erwachsene ihre Hilflosigkeit in solchen Situationen durch Wegschauen und bewusstes Übersehen zu überspielen versuchen.
Mithilfe des vorliegenden Unterrichtsmaterials sollen die Schüler/innen insbesondere
Empathie für unter uns lebende Ausländerinnen und Ausländer entwickeln,
eine begründete Stellung auf dem Hintergrund jüdisch-christlicher Überlieferung gewinnen und
Handlungsstrateglen zum Umgang mit Gefahrensituationen und zum Einschreiten in solchen kennen lernen.
Gesicht zeigen kann man nur, wenn das Gegenüber ein Gesicht hat, wenn man sein Gesicht heben kann, wenn man mit offenen Augen der Welt begegnet und den Tatsachen ins Gesicht blickt.
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ist mit einer Unterrichtsreihe allein nicht zu begegnen. Immer wieder und auf verschiedensten Ebenen muss das Thema ins Bewusstsein gebracht und bearbeitet werden. So bietet es sich auch als fächerübergreifendes Thema im Kontext von Geschichte und Politik an, ebenso ist es für ein projektartiges Vorgehen und als Ausgangspunkt für Aktionen geeignet, wie sie z. B. in der Ideenbörse (vgl. S. 25) beschrieben werden.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Einstieg
M1 "Deutsche, kauft deutsche Bananen" (Folie)
Die Provokation durch ein Graffiti erlaubt eine erste Annäherung an "typisch Deutsches«.
M2 Deutsch für Deutsche
Die Schülerlinnen erkennen, dass ihr tägliches Leben vom Umgang mit
ausländischen Produkten und Begriffen geprägt ist.
M3 Ein Weihnachtsmärchen
Mögliche Vertiefung oder Differenzierung zu M2.
Fremde Heimat Deutschland
M4 Fremd sein
Die Schülerlinnen reflektieren persönliche Erfahrungen des Fremdseins
mit hilfe eines Clusters.
M5 Irfan aus Kurdistan
Anhand des Berichts eines gleichaltrigen kurdischen Flüchtlingsjungen
lernen die Schülerlinnen die Gefühle in einem fremden Land kennen.
Sie holen Informationen über Kurdistan ein.
M6 Said aus Afghanistan
Durch ein Gedicht werden die Schülerlinnen mit den Gefühlen eines
erwachsenen Asylsuchenden konfrontiert. Sie holen Informationen über
Afghanistan ein.
M7 In der Straßenbahn
Eine alltägliche Bedrohungssituation macht die Erfahrungen von Flüchtlingen deutlich und provoziert Mitgefühl.
M8 "Klein, dick und schwarz"
Anhand einer Karikatur setzen sich die Schüler/innen mit Vorurteilen aus
einander. Sie reflektieren die Ursachen für Vorurteile und entkräften diese.
Wenn bei dir ein Fremder lebt ...
M9 Liebe deinen Nächsten wie dich selbst
Die Schülerlinnen lernen durch das Interview mit einer engagierten
Christin biblische Aussagen zum Umgang mit Fremden kennen.
M10 "ich schäme mich"
Ein Gedicht erinnert an die deutsche Vergangenheit und regt die
Schüler/innen zur Reflexion über die politische Dimension von Fremden
feindlichkeit in Deutschland an.
M11 Wir haben so viel zu essen
Ausgehend von einem Gebet setzen sich die Schüler/innen mit dem Begriff "Wirtschaftsasylant" auseinander und reflektieren die den Christen
gegebene Möglichkeit des Gebets.
Gesicht zeigen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
M12 "Ich zeige Gesicht, weil ..."
Kurzzitate von Prominenten begründen deren Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
M13 Wir brauchen Regeln
Das Statement eines prominenten Sportlers soll die Schüler/innen anregen,
über Möglichkeiten der Erziehung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nachzudenken und eigene Positionen zu entwickeln.
M14 Gesicht zeigen!
Der Verein »Gesicht zeigen!« wird stellvertretend für viele andere Aktionen vorgestellt und soll die Schülerlinnen ermutigen, sich über weitere Initiativen zu informieren.
M15 Wie man helfen kann
Die Schüler/innen lernen Möglichkeiten des Verhaltens in Situationen von Gewalt und Aggressionen kennen und entwickeln in Rollenspielen Handlungskompetenz.
4. IDEENBÖRSE
Zur Autorin dieser Ausgabe
Karin Ardey, Jahrgang 1944, Volksschullehrerin, seit 1991 tätig als Schulreferentin der Evangelischen Kirche im Rheinland in den Kirchenkreisen An der Ruhr und Oberhausen