Patrick Grasser
Gleichnisse
Zum Inhalt dieser Ausgabe
Ganz gleich, ob jemand einen „Stein auf dem Herzen" hat, der Schiedsrichter noch einmal „ein Auge zudrückt" oder der Nachbar wieder „ein Brett vor dem Kopf" hat. Bilder und Metaphern helfen uns dabei, Dinge auf den Punkt zu bringen, die sonst in umständlichen und abstrakten Sätzen erklärt werden müssten. Durch bildhafte Sprache wird Abstraktes konkret und vorstellbar.
Die Bibel, ihre Bildersprache und das Bilderverbot: Ganz besonders sind wir dann auf Bilder und Metaphern angewiesen, wenn wir über Dinge sprechen, die unsere menschliche Wahrnehmung übersteigen. Deshalb begegnen uns auch in der Bibel so unglaublich viele Bilder, Metaphern und Gleichnisse. Erst durch sie wird die Botschaft der Bibel in die Wahrnehmungswelt ihrer Leserinnen und Leser hineingeholt. Wenn etwa der Psalm 27 Gott als „Licht" beschreibt oder der Prophet Jesaja Gott als eine „tröstende Mutter" (Jesaja 66,13) sieht, wird der unendliche und unvorstellbare Gott für die kleine und eingeschränkte Weltsicht der Menschen greifbar. Die Bibel ist voll von solch ausdrucksstarken Bildern. Auch dann, wenn, wie z.B. in Jesaja 11,1-9, Visionen vom „Reich Gottes" gezeichnet werden. Bildhafte Sprache ist notwendig, um über jene großen, unvorstellbaren Dinge zu sprechen. Dabei führt die Bibel gleichzeitig vor Augen, dass die menschliche Wahrnehmung zu klein ist, um Gott in seinem Wesen und Handeln zu verstehen und zu begreifen. Deshalb wird schon recht früh das sog. „Bilderverbot" (Ex 20,1-5; Dtn 4,15-19; Dtn 5,8-10) eingeführt. Durch dieses Gebot machen sich Menschen be-wusst, dass sie Gott und sein Reich nicht auf ein einziges Bild festlegen dürfen. Gott ist dynamisch und deshalb müssen auch die Vorstellungen und Bilder, die Gott zu umreißen versuchen, dynamisch sein.
Jesus und seine bildhafte Botschaft: Auch die Verkündigung Jesu ist eine Botschaft in Bildern. Denn Jesus redet von Gott und seiner anbrechenden Herrschaft mit Bildern unserer Welt. Diese bildhafte Sprache der Gleichnisse Jesu ist jedoch keine Geheimsprache, die erst entschlüsselt werden muss. Sie ist so konkret wie der Alltag der Menschen, die Jesus vor zweitausend Jahren begleiteten und ihm zuhörten. Jesus greift die Bilder, Metaphern und Vergleiche seiner Botschaft mitten aus der Lebenswirklichkeit seiner Hörerinnen und Hörer und aus der Tradition und der Religion seines Volkes. Seine Gleichnisse zielen darauf ab, im Leben und Handeln seiner Zuhörerinnen und Zuhörer konkret zu werden. Es reicht nicht aus, Jesu Botschaft nur zu hören. Die Verkündigung Jesu verlangt danach, gelebt, in konkrete ethische Praxis umgesetzt zu werden. Das Gleichnis vom Hausbau (Mt 7,24-27) betont genau das. Schon allein deshalb müssen Gleichnisse als deutungsoffen angesehen werden. Sie tragen in sich nicht die eine, einzig wahre Aussage. Gleichnisse verlangen von ihren Hörerinnen und Hörern, auf ihr eigenes Leben und Handeln hin gedeutet zu werden. Das gilt damals wie heute. Deshalb sind Gleichnisse auch keine leicht verdauliche Kost, mit der man sich nebenbei berieseln lassen kann wie mit einer Seifenoper. Gleichnisse bieten Reibungspunkte und fordern zum aktiven Lesen und Hören auf.
Die Geschichte der Gleichnisforschung: Schon in den Evangelien begegnet uns die Frage, wie Gleichnisse zu verstehen und auszulegen sind. Zu dieser Zeit setzte sich vor allem ein allegorisches Gleichnisverständnis durch (z.B. Mk 4,13-20), das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Theologie- und Kirchengeschichte prägte. Diese allegorische Gleichnisauslegung sieht in einem Text zwei unterschiedliche Sinnebenen. Eine wörtliche, die auf eine versteckte, eigentliche Bedeutung hin verweist. Charakteristisch für eine allegorische Auslegung ist, dass Zug um Zug die einzelnen Bilder des Textes gedeutet und übertragen werden. Ein geradezu klassisches Beispiel ist das „Gleichnis vom verlorenen Sohn". Allegorisch verstanden wird der Vater im Gleichnis mit Gott gleichgesetzt und der jüngere Sohn mit dem Sünder, der seine Schuld bereut und sein Leben neu ausrichtet. Die heute längst überholte allegorische Auslegung ließ Gleichnisse zu einer Art „Geheimsprache" werden, die man nur dann richtig verstehen konnte, wenn man die Vokabeln- der Gemeinde beherrschte. Außerdem läuft diese Art der Deutung Gefahr, den Bildern des Gleichnisses willkürlidvandere Bedeutungen zuzuordnen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wandte sich vor allem der Neutestamentier und Kirchengeschichtler Adolf Jülicher gegen die allegorische Auslegung. Jülicher unterschied in seiner Gleichnistheorie zwischen der Bild- und der Sachhälfte eines Gleichnisses. Er suchte im Gleichnis nach einem Vergleichspunkt, der zwischen dem Bild des Gleichnisses und der Sache, um der es dem Gleichnis geht, vermittelt. Darüber hinaus klassifizierte er die biblischen Gleichnistexte. Dabei unterschied er „Gleichnisse im engeren Sinn", „Parabeln" und „Beispielgeschichten". Die Position Jülichers wirkte sich nachhaltig auf die Gleichnisforschung der zurückliegenden einhundert Jahre aus und wurde von vielen Theologen aufgegriffen, kritisiert und modifiziert. Rudolf Bultmann erweiterte beispielsweise die Klassifizierung Jülichers um die Gruppe der "Bildworte".
Der Bielefelder Theologe Rüben Zimmermann legte 2007, unter Mitarbeit weiterer Theologinnen und Theologen, ein umfangreiches „Kompendium der Gleichnisse Jesu" vor. Er verfolgt darin einen integrativen Ansatz der Gleichnisauslegung, der unterschiedliche Zugänge zu den biblischen Gleichnissen verbindet. Zimmermann erkennt in der modernen Gleichnisforschung verschiedene Phasen und unterteilt die Forschungsgeschichte in „historisch-diachrone Zugänge", „literarische Zugänge" und „hermeneutische bzw. leserorientierte Zugänge". In seinem Kompendium verbindet Zimmermann deshalb Aspekte der einzelnen Zugänge, um damit herauszustreichen, dass Gleichnisse einen Verstehensprozess in Gang setzen wollen.
Neben dieser Neuausrichtung in der Gleichnisforschung wendet sich Zimmermann auch gegen die Klassifizierung der Gleichnisse, da der griechische Urtext der Evangelien die Gleichnistexte allgemein mit dem altgriechischen Wort „parabole" (Parabel oder Gleichnis) benennt. Aus diesem Grund fasst das Kompendium alle Gleichnistexte allgemein unter dem Oberbegriff „Parabel" zusammen. Die vorliegende Unterrichtsreihe folgt diesem Verständnis, verwendet aber den Begriff „Gleichnis".
Die Gleichnisdidaktik dieser Ausgabe: Ein Religionsunterricht, der sich mit den Gleichnissen Jesu be-fasst, sollte die Schülerinnen und Schüler zum Dialog mit den Gleichnistexten auffordern. Er versteht Gleichnisse als deutungsoffene und deutungsaktive Texte und erlaubt den Schülerinnen und Schülern, eigene Deutungen einzubringen. Dadurch trägt er dazu bei, dass die Gleichnistexte einen Prozess anstoßen, der ein Leben und Handeln aus dem Glauben heraus ermöglicht. Voraussetzung dafür ist ein Vertrautwerden mit bildhafter Sprache und den antiken Motiven biblischer Sprache. Entsprechend gliedert die vorliegende Unterrichtsreihe drei unterschiedliche Lernphasen, die aufeinander aufbauen:
- Im ersten Teil „Offen werden" begegnen die Schülerinnen und Schüler alltäglicher Bildsprache. Sie werden mit dem Stilmittel der Metapher vertraut und lernen Gleichnisse als eine Gattung mit metaphorischer Intention kennen.
- Der zweite Teil „Zugang finden" bringt den Schülerinnen und Schülern die Lebenswelt der Menschen im Mittelmeerraum des ersten Jahrhunderts näher. Sie werden in ausgewählte Motive biblischer Bildersprache eingeführt und bekommen so ein Gespür für die Sprache der Gleichnisse. So kann es den Schülerinnen und Schülern im dritten Teil „Sinn entdecken" gelingen, mit Gleichnissen kreativ und dennoch gattungs- und sinngemäß umzugehen.
- Die Arbeitsaufträge zu den ausgewählten Gleichnissen des dritten Teils sind so gestaltet, dass sie einen Rahmen abstecken, innerhalb dessen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Deutungen und Übertragungen entwickeln können. Durch einen kreativen und offenen Umgang mit den Gleichnistexten der Bibel werden die Schülerinnen und Schüler zu aktiven Hörern der Botschaft Jesu und entdecken in ihr eine Wahrheit, die ihr eigenes Leben und Handeln berührt.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1–2
2. DIDAKTISCHE HINWEISE 3–12
3. MATERIALIEN 13–31
Offen werden 13–20
m1 Metaphern-Reizwortgeschichte – Bildhafte Ausdrücke und Redewendungen.
m2 Wortbilder – Bildhafte Sprache sichtbar gemacht.
m3 Was ist eine Metapher? – Infoseite: Warum Menschen in Bildern sprechen.
m4 Weggleichnis – Ein Gleichnis für das eigene Leben.
m5 Muschelgleichnis – Ein Gleichnis über Freundschaft.
m6 Was ist ein Gleichnis? – Definition eines Stilmittels.
Zugang finden 21–23
m7 Biblische Bilderwelt (Folie 1)
m8 Ein Blick in die Bilderbücherei – Die Bibel, eine Sammlung von „Bilderbüchern“.
m9 Die Welt der Gleichnisse (Folie 2)
m10 Jesus – ein Bildergeschichtenerzähler – Mit welchen Bildern erklärte Jesus seine Botschaft?
m11 Wenn Jesus heute leben würde – Bildmotive unserer heutigen Zeit.
Sinn entdecken 24–31
m12/1 Wie ein Haus auf einem Felsen – Hören heißt auch handeln.
m12/2 Wie ein Haus auf einem Felsen – Bastelbogen.
m13 Ein Blick in den Garten – Gegenüberstellung „Unkraut“ und „prachtvolle Zeder“.
m14 Wie Unkraut – Das wild wuchernde Reich Gottes.
m15 Wie ein guter Hirte – Die Verlorenen suchen.
m16 Wie ein … – Eigene Aktualisierung eines Gleichnisses.
m17 Das Leben eines Tagelöhners – Die Sorge um das tägliche Brot.
m18 Wie ein Weinbauer – Jeder bekommt, was er braucht.
4. IDEENBÖRSE 32