Andreas Bolha, Othmar Berg
Segen
Einführung
„,Segen' — das ist eines der wenigen Wörter, die aus der Sprache der Bibel oder der kultisch-sakralen Sprache noch in die Sprache unseres Alltags reichen. Nicht nur in den Glück- und Segenswünschen zu den Festen; wir gebrauchen es auch im Sinn von Fülle, etwa bei der Ernte, oder dem der Zustimmung: ,Meinen Segen hast du' und noch in manchen anderen Zusammenhängen. Sogar in den Zeitungen begegnet das Wort nicht ganz selten. In jedem Fall aber, in dem wir heute das Wort gebrauchen, lässt sich ein sinnvoller Zusammenhang mit dem biblischen Segen noch erkennen; es ist etwas an diesem biblischen Begriff, was noch in unserer säkularisierten Sprache eine lebendige Funktion hat.
Zu dieser noch heute wirksamen Kraft des Wortes Segen steht in einem eigentümlichen und eigentlich unverständlichen Widerspruch, dass die Theologen das offenbar noch gar nicht wahrgenommen haben; jedenfalls haben sie es nicht beachtet. Weder die systematische noch die biblische Theologie hat sich jemals sonderlich für den Segen bzw. für das, was die Bibel von ihm sagt, interessiert; die Frage nach dem Segen Hegt abseits der begangenen Straßen der theologischen Forschung. Auch kommt der Segen nicht in den christlichen Bekenntnissen vor, obwohl er doch ein wichtiger Bestandteil jedes Gottesdienstes ist. Das hat immerhin den Vorteil, dass es niemals in der Kirchengeschichte einen Streit um den Segen gegeben hat. Andererseits aber hat anscheinend noch niemand eine Bedeutung darin gesehen, dass der Segen nicht nur den christlichen Kirchen, also auch den Katholiken und Protestanten gemeinsam ist, sondern auch die christliche mit der jüdischen Religion verbindet." (C. Westermann)
Segen symbolisiert auch die Herausforderung, der sich die Liturgen, die Seelsorger und die Theologie stellen müssen, angesichts einer immer größeren Unbefangenheit, biblisches bzw. christliches Gedankengut und Glaubenswissen mit Elementen aus anderen Sinnzusammenhängen kultureller oder esoterischer Art anzureichern oder gar wild zu vermischen. Oftmals fehlt schlicht der Sensus dafür, welche Unverbindlichkeit die Folge ist, schließlich und endlich auch für die Findung des eigenen Menschenbildes und der damit verbundenen Lebens- und Weltentwürfe. Wohl nicht zuletzt tragen zur Unscharfe dessen, was unter Segen zu verstehen ist und was er leistet, auch Banalisierungen wie die „Irischen Segenswünsche" bei, die durch eine extensive Vermarktung zu Tode geritten werden. Positiv lernen kann man von der Nachfrage nach diesen Texten, dass es einen Wunsch nach vielfältigen Zeichen des Segen Gottes für unser Leben gibt, der aufgegriffen werden kann.
Für den katholischen Jesuiten Medard Kehl hat sich in den letzten Jahren besonders ein biblisches Wort als Vision oder als Leitmotiv für den Weg der Kirche in unserer Epoche herauskristallisiert; nämlich das Wort Jahwes an Abraham, als er ihn aus Haran herausruft und auf einen langen Weg ins Ungewisse schickt: „Du sollst ein Segen sein! ... Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen!" (Gen 12,2 f.). Dieses Wort steht an einer entscheidenden Nahtstelle des Buches Genesis: Nämlich im 12. Kapitel, d.h. nach der sogenannten biblischen Urgeschichte von Schöpfung, Sündenfall, Sintflut und Noahbund, was alles die ganze Menschheit betrifft. Im 12. Kapitel beginnt dagegen mit Abraham etwas Neues: Die Geschichte des Volkes Gottes. Von da an sind Menschheitsgeschichte und Volk-Gottes-Geschichte in der Bibel nicht mehr einfach deckungsgleich; sie gehen verschiedene Wege; aber sie laufen auch nicht einfach beziehungslos nebeneinander her. Gott stiftet eine ganz besondere Beziehung zwischen seinem Volk und allen anderen Menschen: Das Volk Gottes wird in seinem Stammvater Abraham berufen, Segensmittler für die anderen Völker, Mittler der heilenden und' rettenden Nähe Gottes für alle zu sein. Sein Segen, sein Heil ist eben für alle da, weit über die Grenzen des Volkes Gottes hinaus! Dafür soll das Volk Gottes Zeichen und Zeuge sein.
Medard Kehl empfindet — angesichts der aktuellen Entwicklung der Kirchen — diese alte Verheißung und Ermutigung Jahwes an Abraham gleichsam (und mit Recht) auch an uns gerichtet. Für ihn könnte sie heute so lauten: Du, Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend, sollst ein Segen sein für die Menschen der modernen Kultur, auch wenn sie nicht mehr Christen sind oder fast nur noch dem Namen nach; auch wenn sie — für dich sicher enttäuschend — nach dem Grundsatz leben: Kirche — irgendwie ja (als religiöser und sozialer Dienstleistungsbetrieb) — Gemeinde: nein (weil sie „ohne Bindung mit der Kirche in Verbindung" bleiben wollen). Kirche, du sollst ein Segen sein, auch wenn deine Zeitgenossen zwar gern die kirchlichen Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Altenheime benutzen, aber dennoch nicht den kirchlichen Glauben und das kirchliche Leben teilen wollen.
„,Du sollst ein Segen sein!' — das verändert die Blickrichtung der Christen und der Kirche: weg von sich selbst und hin auf die Menschen und die moderne Lebenswelt, zu der wir von Gott als Mittler seines Segens gesandt werden, als ,Zeichen und Werkzeug des Heils' (wie es das 2. Vaticanum sagte). Wo wir das klar im Auge behalten, wird es schlussendlich auch uns selbst zum Segen gereichen. Die Frage ist nur: Wie können wir am besten heute ein Segen sein für unsere Kultur? An dieser Frage scheiden sich im Augenblick in der Kirche offensichtlich die Geister." (Medard Kehl SJ; „Du sollst ein Segen sein!" Zur Sendung der Christen in der Gegenwart.
Veröffentlicht in: Cartell Rupert Mayer, Mitteilungsblatt 2/September 1999, 14-26)
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1–2
2. UNTERRICHTSVERLAUF 3–9
3. MATERIALIEN 10–31
Grundlegung 10–16
m 1 Die zwei Aspekte des Segens – Erste Definition des Begriffs.
m 2 Das Gegenteil des Segens: Der Fluch – Eingrenzung des Begriffs.
m 3/1 Elemente des Segens: Die Handauflegung – Sachinformation zum Segensgestus.
m 3/2 Elemente des Segens: Gestus plus Wort – Form und Inhalt.
m 3/3 Elemente des Segens: Das Kreuzzeichen – Ein bekanntes Zeichen des Segens.
m 4 Der Sinn des Segens – Erste Zusammenfassung und Deutung des Segens.
m 5 Segnung durch Laien/Rembrandts Jakobssegen (Folie 1) – Segen in Kunst und Gottesdienst.
Segen/Segnen in der Bibel 18–20
m 6 Segen im Alten Testament – Bibelarbeit.
m 7/1 Segen im Neuen Testament – Bibelarbeit.
m 7/2 Segen im neuen Testament – Begriffsanalyse: Reich Gottes.
Grundsätzliche konfessionelle Unterschiede 21–22
m 8/1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verständnis – Segensformeln im Gottesdienst.
m 8/2 Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verständnis – Segen in Bezug auf Kasualien.
Beispiele für Segen/Segnen 23–28
m 9 Die Orante-Haltung/Segnung eines Neuwagens (Folie 2) – Anschauung von Segens-Gesten.
m 10 Der aaronitische Segen – Der älteste überlieferte
m 11/1Typisch katholisch: Der Blasiussegen – Beispiel für einen „gewachsenen, volkstümlichen“ Segen.
m 11/2 Typisch katholisch: Der Blasiussegen – Möglichkeiten der Deutung.
m 12 Typisch evangelisch: Der Valetsegen – Ein Segen für Verstorbene und Hinterbliebene.
m 13 Krankensegen und Salbung – Kein Segen, aber ein neuer Trend.
m 14 Volkstümliche Segnungen – Beispiele aus dem Benediktionale und anderen Kulturkreisen.
Segen als Bitte und Aufforderung 29–31
m 15/1„Ihr sollt ein Segen sein!“ … – Segen als zwischenmenschliches Zeichen und Verpflichtung.
m 15/2„Ihr sollt ein Segen sein!“ – „Du sollst ein Segen sein!“ – Was ist „segenswert“.
m 16 Segen – Weihe – Sakrament – Übersicht: Was ist was?
4. IDEENBÖRSE 32