Karin Ardey
Von Gott reden - aber wie?
Einführung
Auch wenn viele Erwachsene heute Schwierigkeiten mit der Existenz Gottes haben und sie zum Teil infrage stellen, beschäftigen sich Kinder und Jugendliche stark mit dieser Frage. Sie möchten wissen, ob es Gott gibt und wie sie sich ihn vorstellen können. Auf der Suche nach Sinn, nach Erklärungen für die Entstehung der Welt und bei den Fragen nach ihrem eigenen Woher und Wohin möchten sie sich auf einen Lenker und Begleiter verlassen können, der alles zum Guten wendet.
Innerhalb der religiösen Entwicklung steht das Bild Gottes als natürlicher Person (anthropomorphe Gottesvorstellung), die direkt in die Welt durch Belohnung und Bestrafung eingreift. Das Verhältnis zu Gott ist abhängig von den Erfahrungen, die die Kinder zu Beginn ihres Lebens mit den für sie verantwortlichen Autoritäten sammeln: Erfahren sie diese als beschützend, umsorgend und liebevoll, entwickelt sich ein positives Bild. Erfahren sie im Umgang mit ihnen Ungerechtigkeit, Unberechenbarkeit und Willkür, so hat dies negative Auswirkungen und kann selbst bei jungen Erwachsenen bis hin ins Erwachsenenalter noch zu einem gestörten Gottesverhältnis führen.
In ihrer weiteren religiösen Entwicklung sehen die Kinder Gott als eine Art Vertragspartner: Gott erwartet, dass die Menschen gut und richtig handeln. Erfüllen sie diesen Willen, geht es ihnen gut, tut man dies nicht, so greift Gott strafend ein. Man muss sich also ständig darum bemühen, Gott keinen Anlass zur Bestrafung zu geben.
In der Altersgruppe der Schülerinnen und Schüler, für die dieses Unterrichtsmaterial konzipiert ist, werden sich noch Ansichten finden lassen, die aus den o.g. Gottesvorstellungen resultieren. Das Gottesbild anderer Schülerinnen und Schüler wird geprägt sein durch die Vorstellungen ihrer gleichaltrigen Freundinnen und Freunde oder einer Gruppe, der sie sich verbunden fühlen. Zunehmend trennen die Heranwachsenden Gott und die Welt. Gott ist ein Wesen außerhalb der Welt, innerhalb der Welt ist der Mensch für sein Handeln selbst verantwortlich. Dieser Erkenntnis liegt die Erfahrung zugrunde, dass Gott nicht unmittelbar in die Welt eingreift. Der Mensch kann über seine Entscheidungen und Bindungen — auch in religiöser Hinsicht frei entscheiden. Das Prinzip der Autonomie kann zu Konflikten mit einer göttlichen Autorität bis hin zu ihrer Ablehnung führen.
Am Ende der Jugendzeit kann möglicherweise die Beziehung zwischen Mensch und Gott in einem die ganze Menschheit und Welt umfassenden Gesamten gesehen werden.
Im Laufe der religiösen Entwicklung werden also die anthropomorphen Vorstellungen von Gott abgelegt. Die jungen Menschen erkennen, dass menschliche Eigenschaften nicht ausreichen, um Gott zu beschreiben und zu erfassen. Wie schon erwähnt, werden sich die Schülerinnen und Schüler des 5. und 6. Jahrgangs zum Teil noch auf der Stufe gänzlich anthropomorpher Gottesvorstellungen befinden, zum Teil werden sie Gott als Verhandlungspartner betrachten und zum Teil werden sie sich auf dem Weg zu einem differenzierten Gottesbild befinden.
Da sich häufig gerade in dieser Zeit die Entscheidung zu einem positiven oder ablehnenden Gottesverhältnis anbahnt, ist es überaus wichtig, alle Aussagen der Schülerinnen und Schüler absolut ernst zu nehmen und sie auf keinen Fall zu werten. Hauptmedium wird dabei im Unterricht das Gespräch sein, für das eine vertrauensvolle Atmosphäre, vielfältige Gesprächsanreize und große Offenheit geschaffen werden müssen. Für die Gespräche in den kleineren Gruppen sollten sich die Schülerinnen und Schüler ihre Gesprächspartner selbst aussuchen — so ist von vornherein eine Vertrautheit hergestellt, die die Gespräche erleichtert. Die Gespräche in der Großgruppe sollten im Stuhlkreis stattfinden, sodass jede/r den bzw. die anderen beim Sprechen und Zuhören ansehen kann. Ein kleines Ritual zu Beginn der Gespräche, wie z.B. das Anzünden einer Kerze, die in der Mitte steht, eine Atemübung, eine kurze meditative Musikeinspielung schaffen eine besondere Atmosphäre und lassen zur Ruhe kommen.
Lange Zeit glaubte man seitens der Theologie, dass man Menschen durch Argumentation und das Apellieren an den Verstand zum Glauben führen könnte. Man vergaß, dass Gott, obwohl dem Menschen nahe, doch der grundsätzlich Andere und mit menschlichem Intellekt nicht Beschreibbare ist. Das Verweilen bei Gottesbildern ließ angeblich auf eine niedere Stufe der religiösen Bildung schließen. Man vergaß, dass religiöse Wahrheit immer etwas mit den Erfahrungen der Menschen zu tun hat. So ist ja die ganze Bibel ein Dokument über die Erfahrungen von verschiedenen Menschen(gruppen) mit Gott und Jesus von Nazareth in der Geschichte.
Dank der Befreiungstheologie und feministischer Ansätze begann vielerorts ein Umdenken: Am Anfang der Auseinandersetzung mit Gott steht die gelebte Erfahrung. Sie wird reflektiert und von Gott her mit Sinn gefüllt. Dabei wird sie nur relevant, wenn sie sich im Vollzug des Lebens als tragfähig erweist. So gehören Vorstellungen und Bilder, die das Wesen Gottes beschreiben, notwendig zu jeder religiösen Entwicklung, nicht nur im Kindes- und Jugendalter. Sie geben die Möglichkeit, sich in einer annähernd gleichen kulturellen Gruppe sprachlich zu verständigen.
Von der Lebens Wirklichkeit heutiger Kinder und Jugendlicher her ergibt sich ein weiterer Grund zur Auseinandersetzung mit Gottesbildern. Die Schülerinnen und Schüler leben in einer Zeit, in der das Bild, ob bewegt oder statisch, einen hohen Stellenwert hat und zunehmend an die Stelle des gelesenen oder gehörten Wortes tritt. Bilder haben eine große Anziehungskraft. Allerdings ist kein Bild nur eine Wiedergabe der Natur oder eine Illustration. Es verweist vielmehr auf die Dinge, die dahinter stehen: Wer ein Bild betrachtet, bringt dieses mit seinem Erleben und seinen Erfahrungen ins Gespräch.
Auch die Gottesvorstellungen und Gottesbilder werden mit dem eigenen Leben in Beziehung gebracht. Sie bleiben nicht statisch, sondern verändern sich und erhalten womöglich eine andere Dig-nität. Sie werden gemessen und gedeutet aus der jeweiligen Lebenssituation heraus.
Die Bibel bietet eine Vielzahl von Gottesbildern, die einen Anstoß geben, sich mit ihnen auseinander zu setzen und eigene Bilder zu artikulieren. Dabei sind zwei Dinge, die im Unterricht reflektiert und diskutiert werden müssen, von grundlegender Bedeutung:
1. Gott selbst gibt sich, als Mose ihn am Dornbusch nach seinem Namen fragt, den Namen „Ich bin, der ich bin" oder in anderer Übersetzung „Ich bin, der für euch da ist" (2 Mose 3,14).
2. Im zweiten Gebot des Dekalogs sagt Gott „Du sollst dir kein (Gottes)bildnis machen" (2 Mose
20,4).
Gerade diese zweite Aussage hat zu vielen Konflikten geführt, da der Mensch sich ohne vergleichende Bilder nicht über Gott äußern kann. Eine weitere theologisch-didaktische Auseinandersetzung mit diesen Grundlagen geschieht bei der Vorstellung der dazugehörigen Materialien im Unterrichtsverlauf.
Intentionen
Die Frage nach Gott, welche Funktion er einnimmt, wie man ihn sich vorstellen muss, wie man von und mit ihm reden kann, beschäftigen die Schülerinnen und Schüler nicht erst im 5. oder 6. Jahrgang. Jede/r bringt seine bzw. ihre Gottesvorstellungen und -bilder mit in den Unterricht. Die Kinder und Jugendliche haben — wie schon erwähnt — einen Anspruch darauf, dass ihre gesamten Äußerungen ernst genommen werden, sind sie doch Ausdruck ihres Glaubens.
Mithilfe des angebotenen Materials sollen die Schülerinnen und Schüler angeregt werden, sich ihre eigenen Vorstellungen zu vergegenwärtigen und zu reflektieren. Außerdem soll ihnen die Möglichkeit eröffnet werden, ein differenziertes Gottesbild zu entwickeln. Hauptmedium dieser Unterrichtsreihe
ist dabei das Gespräch, sowohl in Kleingruppen als auch im Klassenverband. Das Thema „Von Gott reden — aber wie?" kann über drei verschiedene Zugänge erarbeitet werden.
1. Menschen reden von Gott
Ausgehend von den Äußerungen fremder Kinder und Jugendlicher können die Schülerinnen und Schüler ihre persönlichen Gottesbilder entfalten. Der Umweg über fremde Äußerungen ermöglicht häufig einen leichteren Einstieg, da die vorhandene Distanz Schutz vor allzu Persönlichem bietet. Dieser Baustein steht bewusst zu Beginn der Unterrichtseinheit, da er von der Lebenswirklichkeit und den Erfahrungen ausgeht.
2. Die Bibel redet von Gott
An verschiedenen Texten der biblischen Tradition lernen die Schülerinnen und Schüler Gottesbilder der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments kennen und bringen sie mit den eigenen Gottesbildern ins Gespräch. Die Texte sind in der Reihenfolge aufgenommen, wie sie in der Bibel aufeinander folgen — sie muss so nicht eingehalten werden. Die Übersetzungen entsprechen verschiedenen Übertragungen oder wurden des besseren Verständnisses wegen nacherzählt.
3. Menschen reden mit Gott: das Gebet
Im Gebet werden häufig verschiedene Seiten Gottes angesprochen, sodass auch über einen Psalm, eine Geschichte oder ein Gebet Gottesvorstellungen und Gottesbilder reflektiert und diskutiert werden können.
Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass es für die religiöse und psychosoziale Entwicklung von Mädchen und für ihre Gottesbeziehung sehr wichtig ist, sich Gott auch als Frau vorzustellen. Nur so können sie sich im Göttlichen wiederfinden und werden nicht nur durch männliche Gottesvorstellungen, die häufig ein Minderwertigkeitsgefühl hervorrufen, geprägt. Darum sollten im Unterricht auch weibliche Gottesbilder benannt und vorgestellt werden.
In diesem Unterrichtsvorschlag geht es vorrangig darum, ein positives und vertrauensvolles Verhältnis zu Gott aufzubauen. Aus diesem Grund werden auch ausschließlich positive Gottesvorstellungen thematisiert. Sollten die Schülerinnen und Schüler selbst Bilder eines strafenden und scheinbar unberechenbaren Gottes einbringen, so ist deutlich zu machen, dass diese Bilder der Erfahrung von Menschen entspringen, die das Eingreifen Gottes in ihre Geschichte als strafend und unberechenbar empfunden haben, dass es Gott aber bei all seinem Tun und Handeln letztendlich um das Wohl seiner Menschen geht.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Menschen reden von Gott
m 1 Wir Menschen können alles: Scheiß und Liebe - Das Gottesbild von Schülern
m 2 Der liebe Gott ... - Gott in der Natur finden
m 3 Gott wäre aber blöd, wenn er das täte! - Eigenschaften Gottes reflektieren
m 4 „Was soll das heißen: So haben Sie sich Gott nicht vorgestellt?!" - Gottesvorstellungen
m 5 Wenn ich das Wort „Gott" höre ... - Eigene Gottesvorstellungen reflektieren und ausdrücken
m 6 Herr, deine Liebe ... - Zwei Lieder mit Aussagen über Gott kennen lernen
Die Bibel redet von Gott
m 7 Die Berufung des Mose - Den Namen kennen lernen, den Gottsich Mose gegenüber gibt
m 8 Der brennende Dornbusch (Folie 1 ) - Sich mit dem Namen Gottes auseinandersetzen
m 9 Du sollst dir kein Gottesbildnis machen - Sich mit dem Bilderverbot auseinander setzen
m 10 Variationen zum Horeb - Gottesvorstellungen im Gedicht kennen lernen und weiterschreiben
m 11 Du bist mein Helfer und Erretter - Gottesbilder in den Psalmen deuten
m 12 Marias Lobgesang - Den Lobgesang der Mutter Jesu kennen lernen
m 13 Die verlorene Münze - Einem Gottesbild im Neuen Testament nachspüren
m 14 Das weibliche Antlitz Gottes (Folie 2) - Weibliche Gottesbilder kennen lernen
Menschen reden mit Gott: das Gebet
m 15 Das Tischgebet - Anhand einer Geschichte über die eigene Gebetspraxis nachdenken
m 16 Wozu ist Beten gut? - Über den Sinn des Betens nachdenken
m 17 Der Herr ist mein Hirte - Ein Gebet mit den Worten eines Psalmisten sprechen
m 18 Sorgender Vater - herzliche Mutter - Freund - Ein modernes Glaubensbekenntnis
4. IDEENBÖRSE