Annika von Busekist
Biblische und andere Schöpfungsmythen
Einführung und didaktische Intention
Diese Veröffentlichung beschäftigt sich mit der Fragestellung „Woher kommen wir?" und versucht zunächst eine Beantwortung im Sinne des christlichen Menschen- und Weltbildes, und im Folgenden durch die Vorstellungen in anderen Religionen, und schließlich durch das Weltbild der Naturwissenschaften. Ausgangspunkt bildet dabei die erste Schöpfungsgeschichte Gen r,i bis 2,ja (014 m6), welche die Frage nach dem Woher, Wohin und Wozu des Menschen aufgreift. Gemäß der exegetischen Erkenntnisse machen die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen mit einer priesterschriftlichen Erzählung. Sie stammt wahrscheinlich aus (nach-)exilischer Zeit (ca. 6. Jh.). Nach gegenwärtigem Diskussionsstand gibt es allerdings keine Sicherheit über den Datierungszeitraum. Ein Unterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sollte besonders deutlich machen, dass der Schöpfungsbericht nicht wörtlich zu verstehen ist. Er ist kein Tatsachenbericht, sondern ein Schöpfungslob. Der Lerngruppc begegnet eine Schöpfungserzählung, die an der Natur interessiert ist (ohne dabei einem modernen, naturwissenschaftlichem Anspruch zu entsprechen). Die Schülerinnen und Schüler machen Erfahrungen mit einem stark strukturierten Text, der ein Sieben-Tage-Schema in einer Liedstruktur aufweist.
Die symbolisch zu verstehende Erzählung verweist in ihren Schwerpunkten auf das göttliche (und menschliche) Ruhen am Sabbat. Vor allem die Stellung des Menschen zwischen Gott und Welt (Got-tesebenbildlichkeit und Herrschaftsauftrag) und das Ordnungsgefüge in der Natur beantwortet die Frage „Warum sind mir auf der Welt" (siehe 1114 -m6).
Zwar sollte auch der zweite Schöpfungsbericht im Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 behandelt werden, doch das hier angebotene Material setzt den Schwerpunkt aus entwicklungspsychologischen Gründen eindeutig auf die priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte: Die Schülerinnen und Schüler der Orientierungsstufe haben (noch) ein großes Bedürfnis nach Systematisierung — diesem Bedürfnis kommt der erste Schöpfungsbericht sehr entgegen. In diesem Sinne wird auch der weit weniger systematische zweite Schöpfungsbericht in diesem Themenheft nicht berücksichtigt.
Wie Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie weiterhin zeigen, kann sich die Beschäftigung mit der Frage nach dem Woher nicht (mehr) auf ein einheitliches, geschlossenes Weltbild zurückziehen, indem der Unterricht einzig den christlichen Schöpfungsbericht behandelt. Denn in dieser Altersgruppe (etwa um das 12. Lebensjahr) beginnt sich das geschlossene Weltbild aufzuspalten: Die Erklärungsmuster der Religion und der Naturwissenschaft beginnen in den Augen der Schülerinnen und Schüler auseinander zu klaffen und stellen in der Regel einen kontrastreichen Widerspruch dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Jugendlichen in diesem Alter noch recht schwer fällt, widersprüchliche Erklärungsmodelle gedanklich miteinander zu verbinden und im Rahmen einer schulischen Beschäftigung erst einmal nebeneinander stehen zu lassen. Die Jugendlichen stehen in dieser E,ntwicklungs-phase an einer Art „Übergang" zu einem nächsten „Niveau", welches ihnen dann erst ermöglicht, ein „Körnchen Wahrheit" in einem ansonsten abgelehnten, da widersprüchlichem Erklärungsmuster, zu erkennen. Endpunkt einer so verstandenen „Niveauentwicklung" stellt das Anerkennen verschiedener Krklärungsmodelle in ihrer je eigenen Funktion und Bedeutung zur Erfassung des Ganzen dar; dieses Abstraktionsniveau wird erst in der Oberstufe erreicht.1
Nutzt man diese Erkenntnisse für die Schule, wird das Ausüben eines Spiralcurriculums wichtig. Es gilt, die Jugendlichen schon im 5. und 6. Schuljahr mit Erklärungsmodellen verschiedener Ebenen („Schöpfung" und „Urknall") zu konfrontieren und ihnen cias Finden des „Körnchens Wahrheit" zu ermöglichen (siehe m6). In der Mittelstufe sollte die Thematik erneut aufgegriffen werden, mit dem Ziel, die Bedeutung verschiedener Erklärungsmodelle, verschiedener Ansätze der Interpretation der Welt herauszuarbeiten. Den Endpunkt des Spiralcurriculums bildet schließlich die Oberstufe. Hier kann dann der Hinweis auf das zutiefst Fragwürdige erfolgen, denn es bleibt eine Herausforderung für jeden mündigen Christen, die verschiedenen Argumentationsebenen für den eigenen Glauben zu vermitteln und offene Fragen auszuhalten.
So wie der heutige Religionsunterricht bei dem Thema Schöpfung auch in der 5. und 6. Jahrgangsstufe den Bereich der Naturwissenschaft nicht ausblenden kann, gilt dies auch für Schöpfungsmythen anderer Religionen und Kulturen. Der Religionspädagoge Flubertus Halbfas weißt in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in den Texten vom Anfang aller Kulturkreise „ein Fundus gemeinsamen Denkens und gemeinsamen Verstehens"2 vorliegt, der in der Betrachtung der Natur, des Himmels und in dem Gefühl unendlicher Weite und Unermesslichkeit wurzelt. Darüber hinaus wird die Besonderheit des Fjgenen häufig erst durch den Vergleich deutlich (siehe my-mn).
Es stellt sich letztlich die Frage, ob die Beschäftigung mit dem Schöpfungsbericht ein Arbeiten an Geschichten sein kann oder immer auch eine Umsetzung der im Urtext vorzufindenden „Handlungsanweisungen" fordert. In der Besinnung auf die Gottebenbildlichkeit ist der Mensch in die Verantwortung gerufen und zum Bewahren der Schöpfung angehalten. mi2 greifen diese Thematik auf und setzen sie schülernah um, indem die Jugendlichen verantwortliches Handeln in ihrer Lebenswelt kennen lernen und eigene Handlungsstrategien entwickeln.
Abschließend wird ein ganzheitlicher, handlungsorientierter Ansatz verfolgt, der den Schülerinnen und Schülern das Schöne der Schöpfung nahe bringen soll. Jeder Lerntyp wird angesprochen und kann die Schöpfung auf seinem „Lernkanal" bestaunen (siehe mi3). So bilden die verschiedenen Aspekte - die Schöpfungserzählung des Christentums, die Schöpfungsmythen aus den anderen Religionen und die Lirknalltheorie — letztlich eine Einheit, denn in ihnen wirci die Schönheit und Vielfalt der Welt deutlich.
1 Vgl. K. II. Reich, Religiöse und naturwissenschaftliche Weltbilder: [Entwicklung einer komplementären Betrachtungsweise in der Adoleszenz, in: Unterrichtswissenschaft 1987, Nr.3, S.332 343
2 Hubertus Halbfas, Religionsunterricht in der GS. Lehrerhandbuch 3., Düsseldorf 1985, S.135
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1-2
2. UNTERRICHTSVERLAUF 3-13
3. MATERIALIEN 14-31
Eine Frage, so alt wie die Menschheit 14
m 1 Woher kommt die Welt - oder: Wie fing alles an?
Mythen erklären die Welt 15-20
m 2/1 Was ist ein Mythos? - Definition
m 2/2 Was ist ein Mythos? - Umsetzung der Definition in einen Lücken- bzw. Ankreuztest
m 2/3 Was ist ein Mythos? - Zum Verhältnis von „Überzeitlich-Gültigem" und der Historie
m 3 Helios - der Sonnengott - Ein Beispiel für einen bekannten Mythos aus der Antike
Die biblische Schöpfungsvorstellung 21 -23
m 4/1 Die (erste biblische) Schöpfungsgeschichte - Vom ersten bis zum siebten Tag
m 4/2 Die (erste biblische) Schöpfungsgeschichte - Der biblische Text
m 5 Die Schöpfung im Bild (Folie 1) - Thomas Zacharias: Holzschnitt „Schöpfung"
m 6 Die einen fragen nach dem „Wie", die anderen nach dem „Warum" - Schöpfung und Urknall
Andere Schöpfungsmythen 24-28
m 7 Ein Schöpfungsmythos der Aborigines - Vom Text zum Bild
m 8 Ein Schöpfungsmythos aus den Altnordischen Sagen (Folie 2) - Teuer und Eis
m 9 Ein Schöpfungsmythos vom Kono-Volk aus Sierra Leone - Vom Text zur Inszenierung
m 10 Die Geschichte vom Kojoten - im Vergleich mit dem ersten Schöpfungsbericht Gen 1,1 ff.
m 11/1 Die Schöpfungsgeschichte im Hinduismus - einer anderen Weltreligion
m 11/2 Wiedergeburt: Der ewige Kreislauf des Lebens - Ein anderes Weltbild wahrnehmen
Wir übernehmen Verantwortung für die Schöpfung 29-31
m 12/l Verantwortung entdecken - im Rahmen der Schöpfung
m 12/2 Verantwortung übernehmen - Die Abenteuer der Global Gang
m 13 Mit allen Sinnen die Schöpfung bestaunen - Die Schöpfung wahrnehmen und ehren
4. IDEENBÖRSE 32