Volker Dettmar, Monika Froschauer-Rehn, Sigrid Schlesinger
Heimat und Identität
Thematik
Multikultureller und multireligiöser Unterricht
Die Idee, Religionsunterricht im multikulturellen Kontext zu entwerfen, hängt eng mit unserer Arbeitssituation als Religionslehrer/innen in einer Großstadt zusammen, in der wir die konfessionelle Ausrichtung unserer Arbeit oft eher als Hindernis denn als Chance begreifen. Nach dem 11. September 2001 ist verstärkt ins Bewusstsein getreten, welche Sprengkraft — im wahrsten Sinne des Wortes — verdrängte Konflikte beinhalten können und wie groß das Bedürfnis nach Information und Verständigung ist, wenn nicht Rache und Vergeltung leitende Handlungsprinzipien sein sollen. Hierbei kommt den Religionen und dem Fach Religion eine besondere Bedeutung zu. Dies hat sich bereits niedergeschlagen: In verstärktem Maße werden Unterrichtseinheiten auf den Markt gebracht, die über fremde Religionen informieren wollen, um vorhandene Defizite durch bessere Information zu überwinden. Die Schwierigkeit besteht nun darin, einer fremden Religion „von außen" (nämlich aus der Perspektive christlicher Religionslehrer/innen) gerecht werden zu wollen. Wir haben uns gefragt, wie es uns gelingen könnte, Unterricht zu konzipieren, der unsere Lebenswirklichkeit und die der Schüler/innen aufnimmt.
In unserem Unterricht haben wir es vorwiegend mit Migranten der zweiten und dritten Generation zu tun (auch Flüchtlingen aus Kriegsgebieten). Schon deshalb betrachten wir die Integration als länger-fristige Aufgabe. Unter Integration verstehen wir dabei einen gegenseitigen Prozess, in dem mehrere Seiten in Bewegung aufeinander zu sind. Notwendige Voraussetzung für unser Vorhaben ist demnach ein Lernort, in dem Kinder und Jugendliche verschiedener Nationalitäten, kultureller und religiöser Herkunft zusammenkommen, was in einem konfessionell bestimmten RU gerade nicht geschieht. Denkbar ist dies eher im Rahmen von Projekten, im RU im Klassenverband, in der Vernetzung unserer Themen mit anderen Fächern (bei „Heimat und Identität" z.B. mit Sozialkunde, Deutsch, Kunst).
Für die Schüler/innen ist es in ihrem Alltag bereits selbstverständlich mit Jugendlichen anderer Nationen und unterschiedlichen religiösen Orientierungen zusammenzuleben. Diese Selbstverständlichkeit ist begrüßenswert und darf durch (Religions-)Unterricht nicht infrage gestellt werden. Der heimliche Lehrplan von konfessionellem Unterricht bedeutet für die Schüler/innen unter dieser Perspektive, dass sie immer zusammen lernen, außer in Religion: Dann müssen sie getrennt werden. Sie könnten daraus den Schluss ziehen, dass Religionen getrennt werden müssen, damit es nicht zum Konflikt kommt.
Dagegen wollen wir den Ansatz der Inklusivität setzen. Dazu ein Beispiel zur Erläuterung (1): Wenn wir mit Schülern in gemischten Gruppen beispielsweise über Sterben reden und eine muslimische Schülerin vom Tod des Großvaters erzählt, interessieren uns an dieser Stelle nicht die muslimischen Beerdigungsriten, sondern wir reden über die Trauer, die das Mädchen bewegt. Viele Mitschüler/innen kennen die gleiche oder eine ähnliche Situation und damit arbeiten wir. Die gemeinsame Identität der Schüler/innen an dieser Stelle ist dadurch bestimmt, dass sie es kennen, traurig zu sein, und zwar unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Religionslosigkeit. Diese interessiert erst in zweiter Linie, d.h. die Unterschiede werden auf der Basis von gleichem Erleben entfaltet. Wir wollen mit einem solchen Ansatz erreichen, dass die Lebenswelt der Jugendlichen aufgenommen wird und die vorhandenen Unterschiede besser ausgehalten werden können, also nicht harmonisierend eingeebnet werden müssen. Erziehung zu Toleranz in diesem Sinne bedeutet die Anerkennung von Unterschiedlichem auch im Konflikt.
(1) vgl. Barbara Asbrand: Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichtes im Klassenverband der Grundschule, ISKO-Verlag, Frankfurt 2000, S. 176—182
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG
2. UNTERRICHTSVERLAUF
3. MATERIALIEN
Heimat
m 1 Heimat - Entdeckungen und Assoziationen - Meditation, freies Erzählen, Mindmap
m 2 Bernhard Schlink: Heimat als Utopie - Textarbeit mit Präsentation
Kunstwerk „Heimat" - kreatives Gestalten
m 3 Kofferpacken - Arbeitsblatt, Diskussion
m 4 Heilige Gegenstände - Textarbeit als Gruppenpuzzle
m 5 Religion ist... - Pinnwand als Diskussionsgrundlage
Familie
m 6/1 Familie aus Panama (Folie l) - Bildbetrachtung: Familie mit drei Generationen
m 6/2 Familie aus Finnland (Folie 1) - Bildbetrachtung: „Familie" ohne Vater
m 6/3 Familienbilder - Arbeitsblatt zur Folie
m 7 Meine Familie - Fantasiereise, Standbilder bauen
m 8 Meine Familie in 30 Jahren - Rollenspiel
Ich
m 9 Hände, die mich leiten - Warm-upt Karikatur, Diskussion m 10/1 Mein eigener Weg - Bewegungsspiel
m 10/2 Mein eigener Weg (Folie 2) - Bildbetrachtung
m 11 Eigene Schritte - kreatives Gestalten, Diskussion „Hotel Mama" - Tafelbild, Rollenspiel Kunstwerk „Neue Heimat" - kreatives Gestalten
Alternativen
Landkarten der Herkunftsländer - Information durch die Schüler/innen
m 12 Erlebniswelten (Folie 2) - malen, präsentieren
Auswertung
m 13 Feed back - Fragebogen, Unterrichtsgespräch