Günther vom Stein
Auf der Suche
Wege des Glaubens in den Weltreligionen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir tagtäglich, dass die scheinbar klaren Religionen und ihre Grundsätze zunehmend verwirrend werden. Wir erfahren, dass es nicht den Islam, nicht das Judentum und nicht das Christentum gibt. Divergierende politische Vorstellungen und unterschiedliche Kulturkreise bestimmen die Ausformungen der Religionen. Dagegen hat die Vielfältigkeit religiöser Formen besonders im Hinduismus schon eine Jahrtausende währende Tradition, ja sie macht gewissermaßen diese Religion aus.
Gibt es die richtige, die wahre Religion? Gotthold Ephraim Lessing hat im „Nathan der Weise" eine humanistisch orientierte Antwort versucht; eine rabbinische Geschichte versucht eine andere: „Zwei Männer klettern einen Schornstein hinunter. Der eine ist sauber, der andere schmutzig. Welcher von beiden geht sich waschen?", fragt der Rabbi einen Schüler. - „Der schmutzige", antwortet dieser. - „Aber nein!", erwidert der Rabbi. „Der saubere. Er sieht seinen schmutzigen Gefährten an und sagt sich: So schmutzig wie er muss ich auch sein, deshalb muss ich mich waschen gehen. Der schmutzige denkt sich hingegen: Er ist sauber, also muss ich es auch sein. Ich brauche mich daher nicht zu waschen." Und der Rabbi fragt noch einmal: „Zwei Männer steigen durch einen Schornstein hinab. Einer ist sauber, einer ist schmutzig- Welcher von beiden geht sich waschen?" - „Der saubere!", antwortet der Schüler enthusiastisch. - „Aber nein! Der schmutzige - Wenn er seine rußigen Hände anschaut, wird er sich sagen: Ich bin schmutzig! Ich muss mich waschen gehen. Der saubere wird jedoch beim Anblick seiner sauberen Hände sagen: Da ich nicht schmutzig bin, brauche ich mich auch nicht zu waschen. Aber ich habe noch eine Frage an dich", fährt der Rabbi fort. „Zwei Männer steigen einen Schornstein hinab. Welcher von beiden geht sich waschen?" Der Schüler glaubt, ihn endlich verstanden zu haben. „Der schmutzige und der saubere!", ruft er. - „Falsch!", schreit da der Rabbi. „Du hast nicht begriffen, dass, wenn zwei Männer durch einen Schornstein kriechen, nicht einer schmutzig und der andere sauber sein kann! Beide müssen schmutzig sein! Dies bedeutet, dass alle Antworten auf eine verkehrt gestellte Frage falsch sein müssen."
nach Shafique Keshavjee,
Der König, der Weise und der Narr,
Goldmann Verlag, München 2000, S. 158 f.
Doch in allen Religionen lässt sich auch Gemeinsames feststellen. In allen Kulturkreisen und allen Religionen haben die Menschen dieselben großen Fragen: Die Frage nach dem Woher und Wohin, die Frage nach dem Sinn, nach dem Halt im Leben. Und so gibt es in allen Religionen Versuche, Wege zu gehen, die zu einem Halt, zu einem Punkt führen, an dem man sich vergewissern und festmachen kann.
Der spanisch-arabische Mystiker Ibn al-Arabi (1165-1240) findet einen anderen erstrebenswerten gemeinsamen Punkt: Es gab eine Zeit, da ich es meinem Genossen verübelte, wenn seine Religion der meinigen nicht nahe war. Jetzt aber nimmt mein HerzJegliche Form auf; es ist ein Weideplatzfür Gazellen, ein Kloster für Mönche, ein Tempel für Götzenbilder und eine Kaabafür den Pilger, die Tafeln der Tora und das heilige Buch des Korans. Die Eiebe allein ist meine Religion, und wohin ihre Reittiere sich auch immer wenden, so ist sie meine Religion und mein Glaube.
In diesem Sinne soll in dem vorliegenden Heft keiner Religion der Vorzug gegeben werden, jede hat zu ihrer Zeit und an ihrem Ort ihre Berechtigung.
Inhaltsverzeichnis
1. EINFÜHRUNG 1-2
2. UNTERRICHTSVERLAUF 3-10
3. MATERIALIEN 11-30
Wege im Hinduismus 11-13
m 1 Jeder Hindu ist anders - Unterschiedliches und Gemeinsames im Hinduismus
m 2 Das frühere Karma - Erklärung des Karma anhand einer Geschichte
m 3 Yoga - ein Weg zur Erlösung - Vergleich der verschiedenen Auffassungen von Yoga
m 4 Meditierender Mönch (Folie 1.1) - Meditation ist mehr als In-sich-Versinken
Wege im Buddhismus 14-20
m 5 Was ist Leid? - Ursachen von Leid und der mögliche Umgang damit
m 6 Eine fiktive (Lebens-)Geschichte -
Entwicklung vom egozentrischen Glück zum Einsatz für andere
m 7 Buddhastatue aus Sri Lanka (Folie 1.2) - Eigenschaften des Buddha
m 8 Die vier Wahrheiten des Buddha - Einführung in den grundlegenden Text des Buddhismus
m 9 Liebe, Mitgefühl und Weisheit - individuelle Ehre und gesellschaftliches Engagement
m 10 Die Bhodisattvas - „Helden des Erleuchtungsgeistes" - das Wohlergehen aller als Ziel
Wege im Judentum 21-23
m 11 Torarolle (Folie 2.1) - Kostbarkeit und Wert einer Torarolle
m 12 Die Buchstaben fliegen empor - die Tora: Von Gott dem jüdischen Volk anvertraut
m 13 Rabbi Hillel und die Tora - die Goldene Regel in der Tora
m 14 Lied zum Tora-Freudenfest - ein Lied zur Ehre der Tora
m 15 Die Tora: Ein Baum des Lebens - der Baum als Zeichen für die Tora
Wege im Christentum 24-26
m 16 Bekenntnisse - unterschiedliche christliche Bekenntnisse
m 17 Kirchenräume - Möglichkeiten zur Erkundung eines Kirchenraumes
m 18 Die Kirche ist mehr als ein Gebäude - die Aufgaben der Kirche
Wege im Islam 27-30
m 19 Das Glaubensbekenntnis - die fünf Glaubenssätze im Islam
m 20 Die Grundpfeiler des Islam - in einer Erzählung werden die fünf Grundpfeiler vorgestellt
m 21 Salat (Gebetshaltungen), m22 Sakat (Pflichtabgabe), m23 Ramadan (Fasten),
m 24 Hadj (Wallfahrt)
m 25 Dialogbereitschaft (Folie 2.2) - die Idee des Weltethos