Liebe Leserin, lieber Leser!
Concedo: Es mag das immer noch geben, dass tiefsitzende Bedrohungsgefühle, dass ein unerbittliches Joch mit den Zehn Geboten assoziiert wird. Aber ist das tatsächlich eine Primärerfahrung in der offenen Gesellschaft? Eugen Drewermann ist in in seinem neuen Buch »Die Zehn Gebote. Zwischen Weisung und Weisheit« darum bemüht, alles, was den Neigungen der menschlichen Natur quer liegt, ungemütlich erscheint und widerständig ist, »aus der Seele zu streicheln«, damit der Mensch zu sich selbst finden kann. Demgegenüber lese ich im »Spiegel«, der gewiss nicht allerlei religiöser Gefälligkeiten verdächtig ist: »Die >Zehn Gebote< gehören zum kostbarsten Schatz des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit. Die steinalte Erzählung mit ihrer unverblümt fordernden Botschaft ist, so scheint es, eines Tags in die Menschheit gestürzt wie ein Komet aus dem All und funkelt seitdem unverwüstlich« (Nr. 16 v. 15.4.2006, 152). Die Renaissance des Dekalogs hängt gewiss mit dem Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion in der Überflut aller Freiheiten unserer Gesellschaft zusammen. Der aktuelle Literaturbericht von Georg Langenhorst und Michaela Neunmann ist ein eindrücklicher Beleg dafür (431-435). Wie viele Freiheiten kann sich eine Gesellschaft leisten ohne zu kollabieren? Ein »Zehn-Finger-memory« ist da durchaus praktikabel, zumal es um zentrale Entscheidungen menschlichen Handelns geht, die interkulturell weithin unstrittig sind. Aber Kurzfassungen sind auch verführerisch, gerade im Rekurs auf die Bibel. Wer ist sich bewusst, dass die Botschaft der Zehn Worte in die narrative Ausweitung und in die Verknüpfungen mit Perikopen, die auf den ersten Blick andere Sinnspitzen verfolgen, eingebettet ist? Pierfelice Tagliacarne legt sorgsam das Geflecht auseinander (399ff). Wenn das »Gebot« die notwendige Form dieser Texte ist, dann ist ihr Inhalt in jeder Zeit die Zumutung, lebentragende und -erfüllende Konsequenzen daraus zu entwickeln. Die Beiträge stellen sich diesen Fragen in didaktischen Brechungen, nicht nur für Schülerinnen und Schüler.
Wilhelm Albrecht
Schriftleiter
Inhaltsverzeichnis
Lothar Kuid
Dekalog für Kinder? 394
Warum korrelativ gemeinte Geschichten zu den Geboten
dem Sinn der Texte auch im Weg stehen können.
Pierfelice Tagliacare
Einige Thesen zum Text der Zehn Gebote 399
Ein genauer Blick auf den Text lohnt sich - auch um manches verbreitete Klischee auszuräumen.
George Reiiiy
Keith Harings Gegenbilder zum Dekalog 407
Der Bildzyklus irritiert und lädt gerade dadurch zur kreativen Auseinandersetzung ein.
Peter Orth
Schülerinnen schreiben ihre Zehn Gebote 411
Zehn Grundregeln zusammenzustellen kann eine motivierende Aufgabe sein.
Rita Burrichter
Das Leichte und das Schwere 414
Rembrandt hat ein erstaunlich doppeldeutiges Bild von Mose und den Gesetzestafeln geschaffen.
Hanspeter Ernst
Als der Heilige, gelobt sei er, die Worte des Lebens sprach 418
Die jüdische Tradition hat ihre eigenen, geradezu spielerisch anmutenden Auslegungsregeln.
Gabriele Theuer Mit Präambel-Puzzle und Rollenspiel 422
Eine Unterrichtssequenz für die Sekundarstufe I.
Christoph Rosner
Zwischen Marktwert und Selbstwert 426
Wie eine Auseinandersetzung mit dem Dekalog Jugendlichen bei der Identitätsfindung helfen kann.
Georg Langenhorst/Michaela Neumann
Aktuelles zum Dekalog; Ein Literaturbericht 431
Eine Umschau unter den zahlreichen Neuerscheinungen.
Impulstexte zum Dekalog heute 395,410,420,427,428
von Agnes Wuckelt, Markus Arnold, Wunibald Müller, Rudolf Englert
Akzent von Matthias Morgenroth 436
Geschmacksachen: Lebkuchen im September
Gefunden und notiert 438
Didaktik in Diskussion
Stefan Altmeyer/Jan Woppowa
Spiritualität lernen 440
Wie kann heute christliche Spiritualität gelehrt und gelernt werden?
Matthias Bahr / Peter Poth
Thema Didaktik: Sand im Getriebe... 447
Warum man bei der Diskusson um Lehrerbildung etwas grundsätzlicher hinschauen sollte.
Beate Klepper
Von Theorie und Praxis 452
Praxis wird oft im Widerspruch zur Theorie gesehen - eine fragwürdige Auffassung.
Christian Hennecke
Im Blick: Gemeindekatechese 455
Zwischen Pilgern und Konvertiten
Bücher 462
Auslese 467
Impressum 468
Praxisbeilage:
Materialbrief RU 4/2006
Hilfe, ich kann nicht mehr - Lebenshilfe im RU
Erarbeitet von Arthur Thömmes