Liebe Leserin, lieber Leser!
in gängigen Bibelgebrauch befleißigen wir uns einer »ecclesiastical correctness«. Die Auswahltexte der Kinder-, Jugend- und Schulbibeln wie auch der liturgischen Leseordnung üben unausgesprochen eine latente, darum umso wirkungsvollere Zensur aus. Sie spiegeln uns grosso modo eine auf unser Augenmaß zugeschnittene heil(sam)e Bibelwelt vor. Die fremde Bibel wird verdrängt. Dem jedoch, der unbefangen, interessiert auf sie stößt, wird sie zum erschreckenden Ärgernis. Franz Buggle kommt in einer Streitschrift zu dem Schluss: »Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann«(1997). Der Themenschwerpunkt dieses Hefts packt solche Texte an. Texte, die von Mord und Totschlag handeln (Michael Fricke), von himmelschreienden Verbrechen einer mit Füßen getretenen Menschenwürde (Thomas Meurer), von der brutalen Schändung der eigenen Schwester durch den Bruder (Annegret Langenhorst). Was unsere Vorstellungen von einem wünschenswerten Bibelpersonal zutiefst irritiert: Religionsgeschichte ist immer auch Gewaltgeschichte.
Die Bibel wirklich an sich herankommen lassen heißt in fremde Zeiten anderer kultureller Welten eintauchen, sich ihren Spannungen und Brüchen aussetzen. Wo in unserer Welt Gewalt und Schrecken regieren, dort kann man auch den Schrecken Gottes (z. B. Ex 23,27; Ijob 6,4; 21,6; 25,2; Ps 88,16; Jer 8,15) nicht einfach entschärfen. Menschliche Lebensrealität wird gerade auch in den dunklen Seiten der Bibel ernst genommen. Darin entspricht sie schmerzhaft unserem Zeitgefühl. Solcherart auch die geläufige Bibeldidaktik aufzusprengen, den Kanon jugendfreier Purifikation zu hinterfragen und »peinliche« Texte heranzuziehen kann angesichts heutiger medienversierter Kinder und Jugendlicher durchaus der »Harmlosigkeit gängigen Bibelunterrichts« (Günter Nagel) entgegenwirken. Damit der Religionsunterricht und unsere Verkündigung nicht länger als »Trivialisierungsmaschine« (Lothar Kuld) unserer Gottesvorstellungen agieren.
Wilhelm Albrecht
Schriftleiter
Inhaltsverzeichnis
4 Gegen die Heimtosigkeit gängigen Bibetunterrichts
Günter Nagel
Drei Thesen, warum die Bibel so ein schlechtes Image hat.
10 Kain und Abel für Kinder?
Michael Fricke
Wie Kinder Gen 4 wahrnehmen und verarbeiten.
19 Begegnung mit der fremden Bibel
Thomas Meurer
Eine Auseinandersetzung mit Thomas Ruster am Beispiel Ri 19.
25 Sprich nicht darüber, meine Schwester Tamar
Annegret Langenhorst
Unterrichtsvorschläge zu 2 Sam 13,1-22 ab Klasse 9.
30 Biblische Dilemmageschichten
Bruno Schmid/Lothar Kuld
Was man an Texten, die nicht glatt aufgehen, lernen kann - und was nicht.
35 Durchkreuzt
Simone Honecker
Ökumenischer Kreuzweg der Jugend 2002.
36 Christus rot
Herbert Fendrich
Zum Farbdruck mit einer späten Kreuzigungsdarstellung von Lovis Corinth.
42 Vorstoßen zum Innersten Jesu: Longinus alsVorbild
Günter Lange
Über die Karriere jenes Soldaten, der Jesus mit der Lanze die Seite öffnete.
48 Vom Glück des Sehens
Wilhelm Albrecht
Günter Lange zum 70. Geburtstag.
50 Akzent
Jan Heiner Schneider
Wunden, die nicht heilen dürfen: Versehrt in Moskau.
52 Gefunden und notiert
Methoden des Lernens
54 Imaginatives Lernen im Religionsunterricht
Georg Hilger/Miriam Schambeck
Die Bedeutung von Vorstellungen und Imagination für religiöses Lernen.
61 Einsichtiges Lernen
Ferdinand Herget
Ein Vergleich verschiedener lernpsychologischer Ansätze.
67 Konftiktlösung in der Primarstufe: ein Alternativvorschlag
Andreas Würbel/Günter Braun/Ulla Püttmann
Kritische Anfragen an den Beitrag von Elisabeth Brodkorb in KatBl 4/2001.
71 Im Blick: Jugendarbeit
Peter Hahnen
Die Kompetenzen der Ministrantenpastoral.
74 Bücher
78 Impressum
Materialbrief RU 1/2002
Lebendiges Erzählen
Erarbeitet von Franz Wendel Niehl
Informationen und Impulse für Religionslehrer/innen