Liebe Leserin, lieber Leser,
von einem blinden Formalismus oder von neurotischen Zwangshandlungen redet kaum mehr einer, im Gegenteil. Riten und Rituale haben Konjunktur. Verglichen mit den 1960er-Jahren haben sich unsere Lebensmentalität – und damit unsere Bedürfnisse – entscheidend geändert. Unsere Erfahrungen heute sind: Freiheit macht hungrig auf fortwährend Neues. Sie macht »Verhältnisse« instabil. Sie setzt vorgegebene Orientierungen aufs Spiel. Rituale dagegen geben der Freiheit eine Form, sie sichern Inseln des Vertrauten, sie vergegenwärtigen im Beliebigen einen Sinn. Nota bene: Sinn durch Handlungen, nicht Belehrung. Dass Riten und Rituale in diesem Kontext viel leisten, dazu ist in den verschiedensten Publikationen bereits manches zu lesen. Gleichwohl haben mir die Autorinnen und Autoren dieses Heftschwerpunkts zu einem schärferen Blick verholfen. Vieles davon finde ich handlich, kompakt und differenziert versammelt. Die Beiträge gehen übrigens zurück auf die Internationale Religionspädagogische Jahrestagung des DKV im September 2003 in Brixen zum gleichen Thema. Im Beitrag von Susanne Meier besticht, wie sensibel eine freie Ritualberaterin stimmige Rituale auf individuelle Bedürfnisse hin entwickelt: Das ist beispielhaft angewandte »Ritualdidaktik«. Fast lupenreine Antipoden stellen die Gedankenführungen von Hildegunde Wöller und Józef Niewiadomski dar. Verführen Rituale zur Entindividualisierung? Haben sie im besten Fall eine sozialtherapeutische Funktion? Stehen sie einer persönlichen Gotteserfahrung im Wege? So die ernüchternden Fragen von Wöller. Demgegenüber Niewiadomski: Sakramente sind etwas qualitativ ganz anderes als Riten und Sakramentalien. Es kommt nicht auf die erwünschten Erlebnisqualitäten an. Riten und Rituale sind vom kirchlichen Sakramentenverständnis her zu transformieren, nicht umgekehrt. Schärfer können Kontraste kaum formuliert werden. Das ist der Punkt, an dem eine spannende Diskussion beginnen kann – eine Aufgabe für Sie, liebe Leserinnen und Leser!
Wilhelm Albrecht
Schriftleiter
Inhaltsverzeichnis
82
Ersetzen außerkirchliche Rituale die Riten der Kirchen?
Susanna Meier
Ein neuer Beruf entsteht, der des Ritualbegleiters.
86
Faszination vom Geheimnis und die Tränen der Braut
Hildegunde Wöller
Die tiefenpsychologischen Wirkungen von Ritualen.
94
Stolpersteine auf dem Weg zwischen Ritus und Sakrament
Józef Niewiadomski
Warum eine neue Besinnung auf die Bedeutung der Sakramente notwendig ist.
102
Riten - Rituale - Sakramente: religionspädagogische Überlegungen
Helga Kohler-Spiegel
Wie lässt sich Glaube handelnd ausdrücken?
110
Segensfeier und Sakrament
Bernd Lutz
Theologische und praktische Notizen zum Verhältnis von Segensfeier und Sakrament.
114
Labyrinthe - der verschlungene Weg zur Mitte
Gernot Candolini
Einsatzmöglichkeiten in Unterricht und Gruppenarbeit.
119
Kraftvolle Alltagsrituale
Pierre Stutz
Beispiele für befreiende Rituale im Alltag.
123
Otto Dix malt die Auferstehung Christi
Margarete Luise Goecke-Seischab
Ein kraftvoll bewegtes, fast den Rahmen sprengendes Bild.
128
Akzent
Rudolf Englert
Lebensspuren: Ostern
130
Gefunden und notiert
Norbert Mette
132
Zur sakralen Dimension von Räumen: Anstiftung zur Projektarbeit
Bärbel Husmann
Wie sich Erfahrungen mit Räumen unterrichtlich fruchtbar machen lassen.
140
Beziehung - Grundprinzip religiöser Bildung
Reinhold Boschki
Die Konzentration auf das Phänomen Beziehung bringt neue Impulse für die Diskussion um religiöse Erziehung.
149
Im Blick: Jugendarbeit
Bernward Siemes
»Und plötzlich hab ich mich bewegt!«: Kirche und Sport
152
Bücher
156
Impressum
Materialbrief GK 1/2004 Katechese im Kirchenraum