Wörter sind Pinzetten, Wirklichkeit anzufassen und aufzudecken. Der bei uns noch ungewohnte Begriff gender (engl.: Geschlecht) ist ein solches Feininstrument, wenn es um das Wahrnehmen der Wirklichkeit von Frau-Sein und MannSein geht. Zielpunkt ist nicht (nur) die soziologische Chancengleichheit der Geschlechter oder das Aufbrechen der Rollenklischees. Die gender-question signalisiert: Bios und sexus werden in einen größeren evolutiven, historischen, soziologischen und kulturellen Rahmen gestellt. Akzeptiert man diesen Gesamtfokus, dann sind Festlegungen auf (erlerntes) Frau-Sein und Mann-Sein nicht unveränderbar. Der zuversichtliche Ausblick dieser Erkenntnis lautet: Vom Täter- und Opferdenken Abstand nehmen, vom Gegeneinander zum Miteinander finden, Entwicklung hin zu einer Identität in männlich-fraulicher Solidarität. Andrea Lehner-Hartmann führt in diese aktuelle Theoriedebatte ein; was religionspädagogisch daraus folgt, skizziert Agnes Wuckelt.
Zu einem weiteren Heftschwerpunkt. Rudolf Englerts Aufsatz »Der Religionsunterricht nach der Emigration des Glauben-Lernens« (KatBl 1/98) hat für Diskussionsstoff gesorgt. Manche, nicht alle, lesen ihn als Signal für einen kritischen Wendepunkt der Religionspädagogik, der Glaubensvermittlung als Essential des RU preisgeben könnte. Stehen »Glaubensvermittlung« und »den Glauben ins Spiel bringen« (Rudolf Englert) in einem unüberbrückbaren Gegensatz?
Die französische Katechese hat es leichter. Ihr Zentralbegriff Communication de la foi sieht den Sach- und Beziehungsaspekt ineinander. Die Wendung »den Glauben ins Spiel bringen« stößt nach meinem Verständnis zu dieser Sicht vor. Im Übrigen dürften die inhaltlichen Konstanten Tradition - Institution - Bekenntnishaftigkeit des Glaubens in allen Lagern katholischer Religionspädagogik konsensfähig sein.
Es lohnt sich, KatBl 1/98 nochmals heranzuziehen, wenn im jetzigen Heftschwerpunkt »RU - Aspekte« Linus Hauser und Martin Rothgangel weitere Diskussionsbeiträge beisteuern. Rudolf Englert antwortet darauf. Aber das strittige Problemfeld bleibt weiter offen. Für die KatBl sind die Positionen hinreichend zugespitzt. Die direkten Kontroversen zum o. g. Aufsatz wollen wir hiermit jedoch beenden.
Friedliche Weihnachten wünschen die KatBl allen Leserinnen und Lesern.
Wilhelm Albrecht
Inhaltsverzeichnis
Wesen oder Rolle
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364 Natur oder Kultur im Geschlechterverhältnis
Andrea Lehner-Hartmann
370 Gender als Konzept Religionspädagogischen Handelns
Agnes Wuckelt
Die Magier
und der Stern
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374 Das Heil suchen
Rita Burrichter
380 Der Stern der Weisen
Hans-Ulrich Keller
382 Die Reise aus dem Morgenland
Thomas S. Eliot
383 Der Stern von Betlehem (Lied)
RU-Aspekte
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386 Warnung vor einer Religionspädagogik der beruhigten Endlichkeit
Linus Hauser
395 Defizite "subjektiver" Religion
Martin Rothgangel
398 Hilfe, ich bin ein "Gegenwärtigkeits-Chauvinist"!
Rudolf Englert
401 Religionsunterricht der Zukunft in europäischer Perspektive
Uwe Böhm
406 "Hungrig nach Religion, jedoch kaum Erfahrungen aus dem Elternhaus"
Hans Schmid
409 Konfessionelle Kooperation im RU des 1. Schuljahres
Lena Kuhl/Aloys Lögering
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362 Zoom: Kino - Religion
Matthias Wörther
367 Bildserie
384 Himmelsbilder: ... wenn Gott der Ozean ist
Günter Lange
418 Gefunden und notiert
420 Leserbriefe
421 Literaturbericht: Praxis der Schulpastoral
425 Bücher
432 Impressum, MitarbeiterInnen, Vorschau
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Materialbrief RU 4/98
Den Anderen Lieben. Kommentierte Materialsammlung für den RU in der Sekundarstufe 1, zusammengestellt und erarbeitet von Franz W. Niehl