Martin Jander
Kindheit und Jugend unterm Hakenkreuz
Die Erinnerung an Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus fällt in Deutschland, liest man die Lebenserinnerungen von Beteiligten, sehr unterschiedlich aus. Wüsste man nicht, dass von derselben Zeit und von denselben Verhältnissen die Rede ist, bekäme man den Eindruck, es würde von ganz verschiedenen Ländern gesprochen.
Die Lebenserinnerungen unterscheiden sich aber nicht nur wesentlich, nicht selten widersprechen sie sich auch. Der Schulalltag der Gattin des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt, Loki Schmidt, scheint aus einer ganz anderen Welt zu stammen als die Erinnerungen einer Überlebenden des Holocaust: Inge Deutschkron. Erinnert sich Loki Schmidt, ihr Schulalltag habe sich mit dem Dienstantritt eines neuen (Nazi-)Schuldirektors nur unwesentlich verändert, so erfuhr die Jüdin Deutschkron die zunehmende Ausgrenzung, Benachteiligung und Bedrohung.
Selten findet man Erinnerungen wie die von Gisela Schröder die ohne Schnörkel den von Rassismus durchtränkten Alltag von Kindern und Jugendlichen während der NS-Zeit offenbaren. Häufiger hingegen trifft man Rechtfertigungen und sogar Heroisierungen des nationalsozialistischen Alltags an, wie sie in dem in M 1.4 vorgelegten Leserbrief einer anonymen Schreiberin dargelegt werden. Sie ist zum Zeitpunkt des Verfassens ihres Leserbriefes stolz darauf, im Nationalsozialismus gelebt zu haben. Das Leben im Nationalsozialismus scheint ihr auch als "Vorbild" für Jugendliche heute tauglich.
Kaum glaubhaft erscheinen vielen Menschen bis heute Situationen, wie sie auf dem Titelblatt und im Klausurvorschlag abgebildet sind: Zwei offenbar jüdische Schüler mussten vor die Klasse treten und sich neben einer Tafel aufstellen, auf der zu lesen stand: "Der Jude ist unser größter Feind! Hütet euch vor den Juden!" Solche Ereignisse sind jedoch vielfach belegt.
Alltagsgeschichte und Nationalsozialismus
Alltagsgeschichtsschreibung hat schon gewöhnlich die Aufgabe, Situationen, Erlebnisse und Lebensweisen der Mehrheit der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken. Dies gilt natürlich auch für die Geschichtsschreibung zum Alltag von Kindern und Jugendlichen im Nationalsozialismus und für ihre didaktische Aufbereitung. Die Alltagsgeschichtsschreibung dringt dabei auf ein bis heute nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in vielen Familien umstrittenes Terrain vor. Sie forscht nach Antworten auf die Frage, wie die große Mehrheit der Gesellschaft die Verbrechen des Nationalsozialismus wahrnahm, wer an diesen Verbrechen beteiligt war und wie die Mehrheit der Gesellschaft sie bewertete. Meist wird dabei ausgeblendet, dass in dieser Auseinandersetzung die überlebenden Opfer genauso zu Wort kommen sollten wie die überlebenden Täter, Mitläufer und die einfachen "Zugucker". Vielleicht ist dies bis heute einer der größten Mängel der Geschichtsschreibung und -wissenschaft, dass auch im Nachhinein - obwohl hinreichend Material zur Verfügung steht - die Erinnerungen von Tätern und Opfern nicht miteinander konfrontiert werden. In der hier vorliegenden Unterrichtseinheit wird dieser häufig auftretende Mangel berücksichtigt. Darüber hinaus wird in Darstellungen oft ausgeblendet, dass der Alltag von Kindern und Jugendlichen im Nationalsozialismus nicht nur der Alltag im Deutschen Reich war, sondern auch seine - nicht selten ganz verschiedenen - Ausprägungen in Polen, Frankreich, der Sowjetunion und anderen Ländern hatte. Auch dieses Manko einiger Materialsammlungen wird hier zumindest kursorisch berücksichtigt.
[...]
Inhaltsverzeichnis
ZUM INHALT 1
MATERIALIEN 5
Einstiegsmodul Kindheitserinnerungen 5
M 1.1 Loki Schmidt 5
M 1.2 Inge Deutschkron 6
M 1.3 Gisela Schröder 7
M 1.4 Ein anonymer Leserbrief 8
Grundkurs: Kindheit und Jugend im Völkermordregime 9
1. Teil: Nationalsozialismus 9
M 2.1 Auszug aus dem Protokoll der Wannsee-Konferenz (20. Januar 1942) 9
M 2.3 Antisemitismus, Shoah, Nationalsozialismus (Saul Friedländer) 10
M 2.4 "Völkischer Staat" (Adolf Hitler) 10
M 2.5 Hitlers Erziehungsideen 11
2. Teil: "Rassebewusste Volksgenossen" 12
M 3.2 Das Kind im Dritten Reich 12
M 3.3 "Der Giftpilz" 12
M 3.4 "Führer, mein Führer" 13
M 3.5 Schulfeiern 13
M 3.6 Flaggenehrung an einer Kölner Schule (1936) 14
M 3.7 Richtlinien für Erziehung und Unterricht (1938) 15
M 3.8 Heinrich Himmler: Posener Rede (1943) 15
3. Teil. Ausgegrenzt, enteignet, vernichtet 18
M 4.1 Heinrich Himmler: NS-Erziehungsgrundsätze in Polen 18
M 4.2 "Demokratische Kinderrepublik" (Janusz Korczak) 18
M 4.3 "Die Kinder vom schwarzen Weg" 19
M 4.4 Larry Orbach: "Scherben aufsammeln" 20
4. Teil. Zivilcourage 21
M 5.1 "Die Weiße Rose": Auszug aus einem Flugblatt vom Juni 1942 21
M 5.2 Hannah Arendt: "Persönliche Verantwortung in der Diktatur" (1964) 22
M 5.3 Richard v. Weizsäcker: "Die Menschenwürde ist immer wieder in Gefahr" (1994) 22
Erweiterungsmodul: Schwierige Erinnerung 23
M 6.1 Beate Niemann 23
M 6.2 Esther Dischereit 23
M 6.3 Familiengespräche 24
Folien
M 2.2 Dimensionen des Genozids an den europäischen Jüdinnen und Juden Folie 1
M3.1 "Trau' keinem Fuchs auf grüner Heid'" Folie 2
Klausurvorschlag
"Der Jude ist unser größter Feind! Hütet euch vor den Juden!" 25
UNTERRICHTSVERLAUF 26
LITERATUR 3. Umschlagseite
Verlagstext
"Geschichte betrifft uns" bietet Planungsmaterial für einen modernen und interessanten Geschichtsunterricht in der Sek. II unter Berücksichtigung der Klassen 9 und 10. Jede Ausgabe enthält: eine Einführung ins Thema, kopierfertige Vorlagen der Texte, Übersichten, Schaubilder, Karikaturen und Fotos, Vorschläge für den Unterrichtsverlauf, Tafelbilder und einen Klausurvorschlag. In jeder Mappe finden Sie außerdem zwei farbige OH-Folien.