Dieter Tiemann
20. Juli 1944
Am 20. Juli 1944 gegen 12.45 Uhr detonierte in einem Vortragsraum von Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg/Ostpreußen eine Sprengladung, die den Diktator töten und sein Regime beseitigen sollte. Damit wurde der spektakulärste Versuch unternommen, der nationalsozialistischen Willkürherrschaft ein Ende zu machen.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab es von Anfang an, aber er blieb stets eine isolierte Minderheit in der überwältigenden Mehrheit der mehr oder weniger fanatischen, zumindest loyalen Regimeanhänger. Opposition war in allen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Über-Zeugungen anzutreffen, konnte sich jedoch wegen der brutalen Unterdrückung jeglicher Kritik durch den NS-Terror nur im Geheimen, also konspirativ, artikulieren. Zudem hingen ihre Aktionsmöglichkeiten von den jeweiligen Zeitumständen ab. Solange Hitler mit seiner expansionistisch-aggressiven Politik Erfolge erzielte, hatten seine Gegner kaum eine Chance, den Umsturz zu erreichen. Erst die militärischen Niederlagen im Verlauf des Krieges und das Bekanntwerden von im deutschen Namen begangenen Verbrechen gaben in der Wehrmacht bei einer größeren Zahl von Offizieren den Anstoß, sich dem aktiven Widerstand anzuschließen.
Gegenüber dem kommunistischen, sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen und studentischen Widerstand befanden sich die Militärs in einer besonderen Lage. Einerseits hatten sie Hitlers Aufrüstungskurs in den Anfangsjahren der Diktatur aus machtpolitischen Erwägungen begrüßt, waren durch den soldatischen Eid persönlich an den „Führer“ gebunden und nicht zuletzt profitierten sie von der Kriegspolitik, weil ihnen eine oft steile berufliche Karriere winkte. Andererseits war das Militär die einzige potenzielle Kraft, Hitler und die NS-Führung auszuschalten. Nur dort gab es die notwendigen Machtmittel zum gewaltsamen Sturz des Regimes. Nur die militärischen Strukturen mit ihrem Prinzip von Befehl und Gehorsam hätten das totalitäre System erfolgreich überrumpeln können. Und nicht zuletzt hatten nur Militärs Gelegenheiten, physisch an Hitler und die NS-Führungsclique heranzukommen und einen Anschlag auf sie zu verüben. Schon seit der Sudetenkrise 1938 regte sich militärischer Widerstand. Der Chef des Generalstabs, Ludwig Beck, hatte erkannt, dass Hitlers dilettantische, verantwortungslose Machtpolitik Deutschland in den Untergang führen würde. Putschvorbereitungen wurden damals nicht weiterverfolgt, weil Hitler auf der Münchener Konferenz einen weiteren Erfolg für sich verbuchen konnte. In den ersten Jahren des Krieges mit ihren triumphalen deutschen Siegen war an erfolgreichen Widerstand kaum zu denken. Jeder Putschversuch wäre fast einstimmig als Verrat an der deutschen Sache gebrandmarkt worden. Erst nach der Katastrophe von Stalingrad 1942/43, die die Wende des Krieges bedeutete und in deren Folge dann die militärische Lage Deutschlands immer hoffnungsloser wurde, gab den Gegnern Hitlers unter den Offizieren neuen Elan.
1943 unternahmen Männer im Umkreis des Generals von Tresckow verschiedene Versuche, den Diktator zu töten. Sie alle scheiterten. Unterdessen verschlechterte sich die Situation an den Fronten zusehends. Bis dahin hatten die Widerständler mit dem Anschlag auf Hitler und dem folgenden Staatsstreich die Hoffnung verbunden, einen für Deutschland glimpflichen Frieden zu erreichen. Als Tresckow nach der Landung der Alliierten in der Normandie (6.6.1944) gefragt wurde, ob Attentat und Staatsstreich jetzt noch Sinn hätten, antwortete der General, es komme nun nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, vor der Welt ein Zeichen zu setzen.
Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg stieg im Juli 1944 zur Schlüsselfigur auf. Er hatte einen Posten in einer Schaltzentrale des Berliner Militärapparates und er hielt mehrfach bei Hitler Vortrag. In einem längeren Lernprozess hatte er sich vom Anhänger zum entschiedenen Gegner des Diktators gewandelt. Unter dem Eindruck der Verbrechen des Regimes war er zur entscheidenden Tat bereit. Allerdings hatte er Anfang 1943 in Nordafrika schwere Verwundungen erlitten (Verlust des rechten Auges, der rechten Hand und von zwei Fingern der linken), was seiner körperlichen Einsatzfähigkeit Grenzen setzte. Außerdem war aufgrund der Dienststellung Stauffenbergs seine Doppelfunktion als Attentäter im „Führerhauptquartier“ und als Organisator des Staatsstreichs in Berlin not-windig.
Stauffenberg sah selbst die verheerende Wirkung des von ihm gezündeten Sprengstoffs und flog im festen Glauben, dass Hitler tot sei, nach Berlin zurück, wo er gegen 15.00 Uhr ankam. Die dort versammelten Mitverschwörer hatten gezögert, einen Alarmplan unter dem Decknamen „Walküre“ auszulösen, weil inzwischen gemeldet worden war, dass es zwar Tote und Schwerverletzte gegeben habe, dass aber der „Führer“ den Anschlag mit nur leichten Verletzun gen überlebt habe. Erst gegen 16.00 Uhr werden die unter „Walküre“ erarbeiteten Befehle zur Ausschaltung regimetreuer Kräfte erteilt – zu spät, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Inzwischen stellte sich nämlich immer klarer heraus, dass Hitler tatsächlich lebte. Das gab den Hitleranhängern Auftrieb, und die Zögernden unter den Offizieren distanzierten sich von den Verschwörern. Einzelne erfolgreiche Aktionen, wie zum Beispiel die Entwaffnung der SS in Paris, konnten am Abend des 20. Juli nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staatsstreich gescheitert war.
Im Oberkommando des Heeres, dem Zentrum der Verschwörung in der Berliner Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße), kam es zu turbulenten Szenen, bei denen auch Schüsse fielen. Am Ende gewannen die systemkonformen Kräfte die Oberhand. In der Nacht wurden Stauffenberg und drei Mitverschwörer im Hof des Bendlerblocks standrechtlich erschossen. Hitler hielt in derselben Nach eine Rundfunkrede, in der er die Widerstandskämpfer als „ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer dummer Offiziere“ bezeichnete, die jetzt „unbarmherzig ausgerottet“ werden würden. Daraufhin setzte eine Verfolgungs-gelle ein, die bis zum Untergang der Diktatur fortdauerte. In Schauprozessen vor dem „Volksgerichtshof“ unter seinem berüchtigten Präsidenten Roland Freisler wurden an die 200 Todesurteile gefällt. Die Vollstreckung der Urteile erfolgte unter entwürdigenden Umständen. Tausende mussten Haft und vielfältige Qualen über sich ergehen lassen. Die Rache des Regimes machte auch vor den Familien der Widerständler keinen Halt. Aus heutiger Sicht mögen manche Ziele der Männer des 20. Juli fragwürdig sein. Sie dachten in den Kategorien des autoritären Staates, waren sicher nicht durchweg Demokraten und viele unter ihnen hegten die Vorstellung eines starken oder gar hegemonialen Deutschland. Insofern blieben sie verbreiteten Denkschablonen ihrer Zeit verhaftet. Demgegenüber gilt es jedoch, die ehrenwerten Absichten Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer festzuhalten. Sie wollten das Ende der Diktatur und den Aufbau eines besseren Deutschland, in dem die Menschenwürde geachtet und das Recht an die Stelle der Willkürherrschaft treten sollte. Ihr hoher Mut und ihre moralische Integrität stehen außer Frage.
Inhaltsverzeichnis
ZUM INHALT 1
MATERIALIEN 3
1. Teil: Wege zum Umsturzversuch
M 1.1 Der militärische Widerstand in der Opposition gegen Hitler 3
M 1.1.1 Widerstandskreise 3
M 1.1.2 Lagebeurteilung 1938 3
M 1.1.3 „Sehr geehrter Herr Generalfeldmarschall!“ 4
M 1.1.4 Grundsätze für die Neuordnung Deutschlands 5
M 1.2 Aktionsbereitschaft 6
M 1.2.1 Bombe im Flugzeug 6
M 1.2.2 Um jeden Preis 7
M 1.2.3 „Walküre“
M 1.2.4 Schlüsselfigur 10
M 1.3 Die militärische Lage im Juli 1944 12
M 1.3.2 Wehrmachtsbericht vom 20. Juli 1944 12
M 1.3.3 Urteil eines Historikers 13
2. Teil: Ablauf und Ziele
M 2.1 Ablauf des 20. Juli 1944 14
M 2.1.1 Explosion in der „Wolfsschanze“ 14
M 2.1.2 „Führerhauptquartier“ 18
M 2.1.4 Der misslungene Umsturzversuch 19
M 2.2 Was nach einem gelungenen Anschlag passieren sollte 20
M 2.2.1 Aufruf an das deutsche Volk 20
M 2.2.2 Stauffenbergs politische Pläne 22
M 2.2.3 Die neue Führung 21
3. Teil: Die Rache des NS-Regimes
M 3.1 Unmittelbare Reaktionen 22
M 3.1.1 Hitler-Rede 22
M 3.1.2 Westfälische Tageszeitung vom 21.7.1944 23
M 3.1.3 „Behandlung ... in der Öffentlichkeit“ 24
M 3.2 Verfolgung, Schauprozesse, Hinrichtung 24
M 3.2.1 Vernehmung 24
M 3.2.2 Vor dem Volksgerichtshof 25
M 3.2.3 Vollstreckung 26
Folien
M 1.3.1 Lagekarte Folie 1
M 2.1.3 Lagebesprechung am 20. Juli 1944, 12.30 Uhr Folie 2
Klausurvorschlag
Hätte der Staatsstreich gelingen können, wenn Hitler am 20. Juli 1944 getötet worden wäre? 26
UNTERRICHTSVERLAUF 27
LITERATUR 3. Umschlagseite