Inhaltsverzeichnis
ZUM INHALT 1
MATERIALIEN 5
Einstiegsmodul: Urteilen 5
M 1.1 Nürnberger Ärzteprozess (9.12.1946-20.8.1947) 5
M 1.2 Eid des Hippokrates - Nürnberger Kodex 6
M 1.3 Maria Lehmann: Deutschland - 1940 7 Grundkurs: NS-Medizin ohne Menschlichkeit
1. Teil "Wissenschaft" von der Rasse 8
M 2.1 Ernst Klee: Eugenik als Vorbote der "Euthanasie" 8
M 2.2 Henry Friedlander: Institutionalisierte Ungleichheit 9
M 2.3 "Wissenschaftliche Forschungen" 10
2. Teil. Zwangssterifisation
M 3.1 Arbeitblatt zu Folie 1 (Propagandaplakat von 1938) 11
M 3.2 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (14.7.1933) 12
M 3.3 Aufhebung der Sterilisationsentscheidungen (25.8.1998) 12
M 3.4 Zwangssterilisationen in Schleswig-Holstein 13
M 3.5 Gisela Bock: Sonderrecht, "Sonderbehandlung" 13
3. Teil: "Euthanasie" 14
M 4.2 Hitlers "Euthanasie"-Ermächtigung 14
M 4.3 Juristen: "illegal erscheinende Arbeit" 14
M 4.4 Bürgermeister: die ,.Kosten der Verpflegung" 15
M 4.5 Predigt: "heilige Gewissensverpflichtungen" 15
4. Teil: Empathie und Urteil 18
M 5.1 Gericht und Arzte: "angeborener Schwachsinn" 18
M 5.2 Götz Aly: "zwei gegensätzliche Arten des Gewissenskonflikts" 19
Aufbaumodul: Menschenversuche in KZs 20
M 6.1 Ernst Klee: "Forscher dürfen alles, was sie wollen" 20
M 6.2 "Versuche, bei denen die Versuchspersonen sterben können" 20
M 6.3 Versuche "mit tödlichem Ausgang"? Mord? 21
M 6.4 "Versuchskaninchen" 22
Erweiterungsmodul: Aufarbeitung 23
M 7.1 Stefanie Endlich: Das "Denkmal der grauen Busse" 23
M 7.2 Medizinisches Selbstverständnis der Angeklagten in Nürnberg 23
M 7.3 Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten 24
Folien
M 3.1 Propagandaplakat (1938) Folie 1
M 4.1 Denkmal für "Euthanasie"-Opfer (2003) Folie 2
Klausurvorschlag
Alfred Döblin: Die Fahrt ins Blaue 25
UNTERRICHTSVERLAUF 26
LITERATUR 3. Umschlagseite
Verlagstext
"Geschichte betrifft uns" bietet Planungsmaterial für einen modernen und interessanten Geschichtsunterricht in der Sek. II unter Berücksichtigung der Klassen 9 und 10. Jede Ausgabe enthält: eine Einführung ins Thema, kopierfertige Vorlagen der Texte, Übersichten, Schaubilder, Karikaturen und Fotos, Vorschläge für den Unterrichtsverlauf, Tafelbilder und einen Klausurvorschlag. In jeder Mappe finden Sie außerdem zwei farbige OH-Folien.
Leseprobe
Martin Jander
Medizin ohne Ethik
"Euthanasie", Zwangssterilisation und Menschenversuche im Nationalsozialismus
Die Beschäftigung mit Medizinverbrechen im Nationalsozialismus ist bis heute eine tief bestürzende und nur schwer erträgliche Aufgabe. So sehr unser analytischer Verstand die Details dieser Verbrechen durch Zuordnung in größere Kontexte ordnen und ihre Schrecken dadurch zu bannen versucht, verstört doch die zutage tretende Inhumanität jeden, der sich damit beschäftigt, nachhaltig.
In der Regel ist heute die erste Assoziation beim Thema "Medizinverbrechen im Nationalsozialismus" der von den Nationalsozialisten aus Gründen der Verschleierung "Euthanasie" genannte Massenmord an Kranken. Pflegebedürftigen und Behinderten. Auch wir haben als Titelbild dieses Heftes das neue Denkmal für die Opfer der "Euthanasie"-Morde in Berlin gewählt. Die anderen Verbrechen der NS-Mediziner sind häufig viel weniger bekannt.
Bis in die 80er-Jahre hinein führte das Thema "Euthanasie" im Rahmen der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus eher ein Schattendasein. Erst die Veröffentlichungen des Historikers Ernst Klee und eine Medizinergeneration, die nach 1968 die Universitäten verlassen hatte, zwangen Wissenschaft, Ausbilder und medizinische Institutionen - und damit auch eine breitere Öffentlichkeit - zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen. Bis das Thema Zwangssterilisationen und Menschenversuche in den Konzentrationslagern die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik erreichte, dauerte es indes erneut Jahre. Bis heute scheint es, als stünden die „Euthanasie" genannten Massenmorde als Synonym für die Verbrechen von Medizinern im Nationalsozialismus. Nachdem die für dieses Heft ausgewählten Materialien zusammengetragen waren, haben Autor, Herausgeberin und Verlag einen Moment gezögert, ob wir das Heft wirklich produzieren sollen. Manche der Details sind so furchtbar, dass keine Leserin und kein Leser von ihnen unberührt bleiben kann.
Nachdem allerdings bereits Alexander Mitscherlich und Fred Mielke bei ihrer ersten Dokumentation zum Ärzteprozess in Nürnberg ("Medizin ohne Menschlichkeit") vor eben diesem Problem standen und es zugunsten der ausgewählten Dokumentation gelöst haben, entschlossen wir uns, dieses Verfahren hier ebenfalls zu wählen. "Bewältigung der Schuld kann nichts anderes heißen, als der Wahrheit ins Auge zu sehen; Anerkennung dessen, was war, ohne Feilschen", schrieb Mitscherlich im Februar 1960 in die Einleitung der Dokumentation (siehe Literaturübersicht auf der 3. Umschlagseite).
Allerdings haben wir auf eine Häufung detaillierter Mordberichte verzichtet. Sie fördern unserer Auffassung nach weder Erkenntnis noch Empathie mit den Opfern.
Zivilisationsbruch
In der Mitte der 1980er-Jahre regte der Historiker Martin Broszat eine Diskussion über die, seiner Auffassung nach, notwendige "Historisierung" des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen an. Seit dieser Zeit sind die Auffassungen unter deutschen Historikern geteilt.
Wir haben uns mit dieser Ausgabe von "Geschichte betrifft uns" dem Verlangen nach Historisierung nicht angeschlossen. Es scheint uns nicht möglich, die Geschichte des Nationalsozialismus oder einige Teile davon zu erzählen, ohne im gleichen Atemzug ihre Bedeutung für die heutige Gesellschaft zu thematisieren. Zwar sterben die Zeitzeugen inzwischen aus und rein zeitlich gesehen sind die Verbrechen immer weiter von uns entfernt. Die Erfahrung jedoch, dass eine ganze Gesellschaft vom Lokomotivführer bis zum Oberarzt beginnt, das über lange Perioden der Entwicklung unserer Zivilisation erworbene Tötungsverbot über Bord zu werfen, lässt eine eher distanzierende und ohne erkennbares Engagement vorgetragene Darstellung nicht zu. Zwangssterilisation, "Euthanasie" und Menschenexperimente zeigen deutlich, wie gerechtfertigt die Kennzeichnung des Nationalsozialismus als "Zivilisationsbruch" (Norbert Elias) ist.
Wir haben uns deshalb in dieser Ausgabe von "Geschichte betrifft uns" eher an eine Maxime von Hannah Arendt gehalten, die sie in einer Rede über Lessing 1960 ("Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten") formulierte: "Sofern es überhaupt ein ,Bewältigen' der Vergangenheit gibt, besteht es in dem Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat; aber auch dieses Nacherzählen, das Geschichte formt, löst keine Probleme und beschwichtigt kein Leiden, es bewältigt nichts endgültig. Vielmehr regt es, solange der Sinn des Geschehens lebendig bleibt - und dies kann durch sehr lange Zeiträume der Fall sein -, zu immer wiederholendem Erzählen an."
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