Dieter Tiemann
Der Deutsche Bund
Als die napoleonische Vorherrschaft über Deutschland zu Ende ging, wurde in politischen und intellektuellen Kreisen die Frage diskutiert, wie die Mitte Europas zukünftig organisiert werden sollte. Dabei standen drei Varianten zur Debatte: 1. die Wiederherstellung des Alten Reiches unter österreichischer, d.h. habsburgischer Führung, 2. die gemeinsame Herrschaft Österreichs und Preußens über Deutschland und 3. verschiedene Modelle eines Bundes der deutschen Staaten. Diese verfassungsrechtlichen Überlegungen standen in einem Zusammenhang mit Kräften, die die Französische Revolution hervorgebracht hatte. Sie gipfelten in der Forderung nach persönlicher Freiheit, politischer Mitsprache und nationaler Einheit. Dafür waren die jungen Deutschen 1813/14 voller Begeisterung in den Krieg gegen den Usurpator gezogen, und als sie nach den Siegen in der Völkerschlacht bei Leipzig und der Schlacht bei Waterloo in die Heimat zurückkehrten, wurde ein ganz anderes Deutschland geschaffen als sie ersehnt hatten.
Die auf dem Wiener Kongress 1814/15 versammelten Souveräne und Diplomaten suchten unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers Metternich nach einer dauerhaften europäischen Friedensordnung. Dabei sollten die Grundsätze des Gleichgewichts der Mächte, der Legitimität der Herrschaft („von Gottes Gnaden"), der Solidarität der Herrschenden und der Restauration (Wiederherstellung der vorrevolutionären Ordnung) gelten. Und in diesem Kontext wurde ein Deutscher Bund gegründet, der mit der Bundesakte vom 8.6.1815 ins Leben trat. In der Absicht, keine zu starke Machtzusammenballung im Zentrum Europas zuzulassen und zugleich die dortige Lage zu stabilisieren, sollte sein Zweck darin bestehen, die „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten" (Art. 2 der Bundesakte) zu garantieren. So entstand eine lockere Föderation von 39 souveränen deutschen Staaten mit den beiden Vormächten Österreich und Preußen, einigen Staaten mittlerer Größe (z.B. Bayern, Sachsen und Württemberg) und zahlreichen Klein- bzw. Stadtstaaten (z.B. Hamburg und Frankfurt am Main). Das Territorium umfasste nicht das gesamte Staatsgebiet aller am Bund beteiligten Mitglieder; große Gebiete Österreichs und Preußens, die jenseits der alten Reichsgrenze lagen, gehörten nicht dazu. Zentrales Organ der Föderation war die in Art. 4 der Bundesakte aufgeführte „Bundesversammlung" - synonym bald auch „Bundestag" genannt -, die im Gegensatz zur gegenwärtigen Begriffsbestimmung keineswegs ein parlamentarisches Gremium darstellte, sondern ein regelmäßig in Frankfurt a.M. tagender Kongress von Gesandten der einzelnen deutschen Staaten war; unter dem Vorsitz des Vertreters Österreichs sollte dort über die Angelegenheiten des Bundes verhandelt und entschieden werden. Der englische König hatte bis 1837 als Souverän des Königreichs Hannover, der dänische König als Herzog von Holstein und der König der Niederlande als Großherzog von Luxemburg ein Mitspracherecht.
Der Deutsche Bund war also als lockerer Bund selbständiger deutscher Staaten konstruiert, die sogar ihre eigene Außenpolitik betreiben konnten. Wesentliche Attribute moderner Staatlichkeit fehlten (Staatsoberhaupt, Regierungsorgane, Volksvertretung, einheitliches Recht, einheitliche Währung usw.). Die deutsche Nationalbewegung, welche vor allem von Studenten und Professoren sowie allgemein vom liberalen Bürgertum getragen wurde, sah sich in ihren hochgesteckten Erwartungen verständlicherweise enttäuscht. Diese Ernüchterung nahm noch zu, als die Regierungen des Deutschen Bundes 1819 die „Karlsbader Beschlüsse" fassten, ein Maßnahmenpaket zur Unterdrückung von „revolutionären Umtriebe(n) und demagogischen Verbindungen", das geschnürt worden war, nachdem ein Student den als Spion des russischen Zaren verdächtigten Dichter August von Kotzebue ermordet hatte.
Das repressive „System Metternich" mit seinen Polizeistaat-Methoden (Pressezensur, Spitzelwesen, Verfolgung und Inhaftierung von „Demagogen", Unterdrückung jeder Art von Kritik an den bestehenden Verhältnissen) zielte darauf ab, monarchische Ordnung und Vielstaaterei in Deutschland zu konservieren. Knapp zweieinhalb Jahrzehnte funktionierte dieses System und sorgte für politische Zustände, die mit dem Begriff der „Restauration" zusammengefasst werden. Freilich hat sich für den besagten Zeitraum auch die Epochenbezeichnung „Vormärz" eingebürgert, was auf eine brodelnde Unruhe innerhalb der deutschen Gesellschaft unter der Decke der staatlich verordneten Ruhe hindeutet, eine Spannung, die sich dann in der Märzrevolution 1848 entlud.
Trotz aller Momente der Stagnation gab es doch auch Bewegung. Als besonders bedeutsam sollte sich die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 erweisen. Acht Jahre später gehörten ihm bereits 28 deutsche Staaten an; weitere Beitritte folgten. Die Aufhebung der Zollschranken im Zollvereins-Gebiet gab der wirtschaftlichen Entwicklung durch Ausweitung von Produktion, Handel und Verkehr entscheidende Impulse. Da Österreich kein Mitglied wurde, führte Preußen diesen handelspolitischen Zusammenschluss innerhalb des Deutschen Bundes. Der Deutsche Zollverein bildete so die ökonomische Voraussetzung für die kleindeutsche Lösung der Deutschen Frage 1871.
Während der Revolution von 1848/ 49 übertrug der Bundestag seine Vollmachten auf den vom Paulskirchen-Parlament gewählten Reichsverweser Erzherzog Johann, das provisorische Staatsoberhaupt des zu einenden Deutschland. Damit war der Deutsche Bund faktisch aufgelöst. Nach dem Scheitern der Revolution wurde er indes schnell wieder belebt. Gemeinsame Interessen der alten Mächte förderten einen gewissen inneren Zusammenhalt. Die Bundesbeschlüsse über die Aufhebung der in der Paulskirchenverfassung enthaltenen Grundrechte und zur Überwachung des Vereinswesens zeugen vom Charakter dieser Reaktionszeit.
Demgegenüber eskalierten allerdings innere Konflikte und Rivalitäten, insbesondere zwischen Österreich und Preußen. Es ging dabei im Grunde um die Machtfrage: Wer sollte in einem geeinten Deutschland - dass es in der einen oder anderen Form kommen würde, wurde in den sechziger Jahren immer deutlicher - die Führung übernehmen? Zwar hielten die Fürsten an ihrer Macht fest, zwar gab es starke partikularistische Kräfte, die einer Einigung entgegenstanden, aber das Einheitsstreben der deutschen Nationalbewegung erfasste immer weitere Kreise der Bevölkerung und stieg schließlich zum maßgeblichen Faktor der Politik in Deutschland auf.
Die Entscheidung fiel 1866 auf dem Schlachtfeld. Otto von Bismarck - 1851 bis 1859 preußischer Gesandter beim Bundestag und mit den Problemen des Deutschen Bundes wohl vertraut, seit 1862 dann preußischer Ministerpräsident - schürte den latenten Streit zwischen Berlin und Wien. Nachdem die beiden Vormachte 1864 gemeinsam gegen Dänemark Krieg um Schleswig-Holstein geführt hatten, nahmen die Reibereien um die Verwaltung der Herzogtümer zu. Schließlich verließ Preußen den Bundestag, was den „Deutschen Krieg" auslöste. Dem Sieg Preußens folgte der Friede von Prag, in dem die endgültige Auflösung des Deutschen Bundes, die Neuordnung Deutschlands unter preußischer Führung und unter Ausschluss der Donaumonarchie und die Gründung eines Norddeutschen Bundes vereinbart wurde.
Dieser Friede stellte Weichen in eine Richtung, die schnell vom Deutschen Bund wegführten. Die vorwiegend negative Einschätzung in der Folgezeit wurde unter dem Eindruck verhängnisvoller Entwicklungen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zunehmend von positiven Urteilen abgelöst. Immerhin hat er in der Mitte Europas sechs Jahrzehnte lang den Frieden bewahrt, und auch seine Entwicklung zu einem anderen, gelungeneren vereinigten Deutschland als das 1871 geschaffene wird inzwischen durchaus nicht als chancenlos angesehen.
Inhaltsverzeichnis
ZUM INHALT 1
MATERIALIEN 3
1. Teil: Entstehung
M 1.1 Deutschland-Projekte 3
M 1.1.1 Über den zukünftigen Zustand Deutschlands 3
M 1.1.2 "Die künftige teutsche Verfassung" 4
M 1.2 Gründungsphase 5
M 1.2.1 Die Deutsche Bundesakte 5
M 1.2.4 Wiener Schlussakte 6
M 1.3 Zustimmung und Kritik 7
M 1.3.1 Denkschrift des Historikers Arnold Heeren (1816) 7
M 1.3.2 Das Urteil des Freiherrn vom Stein 8
M1.3.3 Die Nation ist betrogen!" 8
2. Teil: Ordnung und Bewegung
M 2.1 Restauration und Vormärz 9
M 2.1.1 Die Karlsbader Beschlüsse 9
M 2.1.2 ".Der Denker-Club" 10
M 2.1.3 Einrichtung einer zentralen Polizeibehörde 11
M 2.1.4 Der Deutsche Zollverein 12
M 2.2 Der Deutsche Bund in der 48er-Revolution 13
M 2.2.1 Beschluss des Bundestags vom 12. Juli 1848 13
M 2.2.2 Aufruf des ""demokratischen Kongresses" in Berlin 13
M 2.2.3 Aus der Paulskirchenverfassung vom 28.3.1849 14
M 2.2.4 Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone 14
M 2.3 Reaktionszeit 15
M 2.3.1 Innere Spannungen 15
M 2.3.2 Bundesbeschluss vom 23.8.1851 15
M 2.3.3 Bundesbeschluss vom 13.7.1854 18
M 2.3.4 Österreich und Preußen 18
3. Teil: Reformversuche und Ende
M 3.1 Der Deutsche Bund um 1860 in der Karikatur 19
M 3.1.1 "Hercules am Scheidewege" 19
M 3.1.2 ""Eine geplagte Mutter"" 20
M 3.2 Erneuerungskonzepte 21
M 3.2.1 Eisenacher Erklärung 21
M 3.2.2 Programm des Deutschen Reformvereins 21
M 3.2.3 Österreichische Denkschrift vom 31.7.1863 22
M 3.2.4 Bericht des preußischen Staatsministeriums vom 15.9.1863 zur Reform des Deutschen Bundes 22
M 3.3 Bundesbruch 23
M 3.3.1 Preußens Austritt aus dem Deutschen Bund 23
M 3.3.2 Aus einem Artikel der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" vom 26.8.1866 23
Folien
M 1.2.2 Das Territorium des Deutschen Bundes Folie 1
M 1.2.3 Sitzung des Bundestags in Frankfurt am Main Folie 2
Klausurvorschlag
War der Deutsche Bund besser als sein Ruf? 24
UNTERRICHTSVERLAUF 25
LITERATUR 3. Umschlagseite