Dieter Tiemann
Deutsch-deutsche Beziehungen 1949-1989/90
Die Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 war eine Folge des Kalten Krieges, der die Alliierten des Zweiten Weltkrieges schon kurz nach seinem Ende in ein parlamentarisch-demokratisches, marktwirtschaftlich orientiertes und ein kommunistisch-stalinistisches, planwirtschaftlich organisiertes Lager entzweit hatte. Die USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und die Sowjetunion auf der anderen Seite benötigten nun „ihr" jeweiliges Deutschland, um es in ihren Block einzubinden und so ihre Machtbasis zu sichern, wenn nicht zu erweitern. Gewiss wurden die Deutschen mehr oder weniger an diesen Staatsgründungen beteiligt, aber ihr Spielraum blieb doch zunächst eng begrenzt.
Bei allen ideologischen Gegensätzen und unterschiedlichen Loyalitäten, die die Bundesrepublik und die DDR trennten, bestand anfangs doch Übereinstimmung darin, dass die nationale Einheit fortbestand und die staatliche Einheit wiedererlangt werden sollte. Sowohl das Grundgesetz als auch die erste DDR-Verfassung hoben diese Zielrichtung hervor. Beide Staaten beriefen sich in ihren Nationalhymnen auf ein einiges Deutschland. Und beiderseits der neuen Staatsgrenze galten Schwarz-Rot-Gold als Nationalfarben. Freilich verbanden sich mit diesem demonstrativen Willen zur Einheit kontroverse Vorstellungen über Wege und Ziele.
Vorherrschendes Merkmal der inner-deutschen Beziehungen blieb bis zum Mauerbau 1961 das Beharren beider Seiten darauf, die einzige legitime Vertretung der Deutschen zu sein. Diese Auffassung wurde besonders nachhaltig von der Bundesregierung vertreten. Und daraus resultierte eine Politik, die die DDR als Staat einfach ignorierte. In der westdeutschen Terminologie war damals von der „sogenannten DDR" oder einfach der Sowjetzone die Rede. Bundeskanzler Adenauer (1949-1963) favorisierte eine Politik der Stärke durch Einbindung der Bonner Republik in europäische und atlantische Strukturen, verbunden mit der Erwartung, dass über kurz oder lang der andere Teil Deutschlands wie eine reife Frucht dem westdeutschen Staat zufallen würde. Genährt wurde diese Strategie der Nichtanerkennung von der offensichtlichen Unzufriedenheit der DDR-Bürger/innen mit den bei ihnen herrschenden Verhältnissen, die sich in einem unaufhörlichen Flüchtlingsstrom und in dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 konkretisierte. Zugleich hoben der wirtschaftliche Aufschwung und die durch westliche Integration zurückgewonnenen Souveränitätsrechte das Selbstvertrauen der Bundesbürger/innen, während die von der Sowjetunion bevormundete DDR von einer Krise in die andere taumelte. In diesem Zusammenhang ist auch die nach einem Staatsekretär Adenauers benannte Hallstein-Doktrin zu sehen, die besagte, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen dritter Staaten zur DDR als unfreundlicher Akt angesehen werden würde und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik zur Folge hätte. Einzige Ausnahme jenes Konzeptes blieb der Austausch von Botschaftern zwischen Moskau und Bonn im Jahr 1955. Deutsch-deutsche Beziehungen beschränkten sich damals auf familiäre, sportliche, allenfalls noch administrative und wirtschaftliche Kontakte.
Der Bau der Berliner Mauer 1961 markierte das vorläufige Scheitern
der Deutschlandpolitik Adenauers, denn dadurch wurden alle bis dahin genährten Hoffnungen zunichte, die deutsche Einheit kurzfristig und im westlichen Sinne zu erreichen. Wohl hatte die DDR mit dem Mauerbau und der gleichzeitigen Perfektionierung der Unüberwindbarkeit der Grenze zur Bundesrepublik trotz allen propagandistischen Getöses vom „antifaschistischen Schutzwall" eine entscheidende Schwachstelle - nämlich die fehlende Zustimmung zum Regime in der Bevölkerung - offen gelegt, aber damit wurde das demographische Ausbluten radikal beendet und der zweite deutsche Staat im Innern für lange Zeit stabilisiert.
Das führte gegen Ende der Ära Adenauer zu einer Neudefinition der Bonner Deutschlandpolitik. Egon Bahrs 1963 geprägte Formel vom „Wandel durch Annäherung" wurde in den folgenden Jahren zur neuen Leitlinie. Der enge Berater von Willy Brandt meinte damit die Anerkennung der bestehenden Verhältnisse in Deutschland und Europa, die Aufnahme von Gesprächen mit der anderen Seite zur konkreten Verbesserung der Lebensbedingungen, das Knüpfen eines Netzes von bilateralen und multilateralen Abmachungen mit dem Fernziel eines qualitativen Umschlags der Lage im geteilten Deutschland mit der Chance der Vollendung einer - wie auch immer gearteten - deutschen Einheit.
Willy Brandt setzte nach seiner Wahl zum Bundeskanzler 1969 diese Neuorientierung in praktische Politik um. Im Zuge der umfassenden Ost-West-Entspannung kam es 1971 zu zwei sensationellen Treffen mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph in Erfurt und Kassel, denen im folgenden Jahr dann der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR folgte.
Darin wurden die bestehenden Grenzen einschließlich der deutschen Zweistaatlichkeit festgeschrieben sowie der Verzicht auf Gewaltanwendung und der Wille zu guter Nachbarschaft vereinbart. Vorausgegangen waren entsprechende Verträge der Bundesrepublik mit Moskau und Warschau. Es folgte die Beteiligung beider deutschen Staaten an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlussakte 1975 in Helsinki von Helmut Schmidt und Erich Honecker unterschrieben wurde.
Die Normalisierung des deutsch-deutschen Verhältnisses blieb also in gesamteuropäische Prozesse eingebunden. Eine Reihe von Verträgen zwischen Bonn und Ost-Berlin regelten praktische Fragen jener friedlichen Koexistenz. Zum Streitpunkt stieg nun allerdings die Frage der nationalen Selbstdefinition auf. Während in der Bundesrepublik davon ausgegangen wurde, dass es zwei Staaten in Deutschland, aber nach wie vor eine deutsche Nation gebe, ging das DDR-Regime in den 70er-Jahren dazu über, eine sich herausbildende DDR-Nation zu postulieren: In der 1974 revidierten Verfassung von 1968 war von der deutschen Nation nicht mehr die Rede, und seit dieser Zeit wurde auch die DDR-Hymne nicht mehr gesungen.
Unterdessen hatten sich die meisten Deutschen längst mit der Zweistaatlichkeit abgefunden. Der in der BRD zur Erinnerung an den Aufstand vom 17. Juni 1953 begangene „Tag der deutschen Einheit" verlor zunehmend an motivierender Kraft. Die Masse sah darin immer mehr den Freizeitwert, der lediglich durch Sonntagsreden von einzelnen Politikern in Frage gestellt wurde. Auch in der DDR hatte sich die Mehrheit längst ihre unpolitische Nische geschaffen, in der sie sich den vom Staat geforderten gesellschaftlichen Aktivitäten weitgehend entziehen konnte.
Allerdings gab es in der DDR eine Oppositionsbewegung, die durch die in der KSZE-Schlussakte garantierten Menschenrechte ermutigt wurde, immer unverblümter ihre Forderungen zu artikulieren. Das war angesichts
der unkalkulierbaren Reaktionen des autoritär-diktatorischen Systems nicht risikolos. Und doch löste diese Bewegung 1989 eine Welle von Regimekritik aus, die dann in eine Wende mündete und die DDR binnen weniger Monate in einen demokratischen Staat verwandelte. Damit stand die Frage der deutschen Einheit plötzlich wieder auf der Tagesordnung. Ermöglicht worden war dies nicht zuletzt auch durch die neue Führung der Sowjetunion unter Gorbatschow und tief greifende Reformen in Polen und Ungarn. Nach intensiven Verhandlungen der beiden deutschen Staaten untereinander und mit den vier Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkrieges, deren Rechte und Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes fortbestanden, trat am 3. Oktober 1990 die DDR der Bundesrepublik bei. Das vereinte Deutschland wurde endgültig in die Souveränität entlassen. Die deutsch-deutschen Beziehungen sind seitdem Geschichte.
Inhaltsverzeichnis
ZUM INHALT 1
MATERIALIEN 3
1. Teil: Im Schatten des Kalten Krieges
M 1.1 Einheitsbeteuerungen und Legitimationsansprüche 3
M 1.1.1 Doppelte Staatsgründung 3
M 1.1.2 Grundgesetz und erste Verfassung der DDR 3
M 1.1.3 Nationalhymnen 4
M 1.1.4 Einheitsversionen und -visionen 4
M 1.1.5 Zusammenhalt? 5
M 1.2 Trennlinien 5
M 1.2.1 Programm der Nationalen Front des demokratischen Deutschland vom 15.2.1950 5
M 1.2.2 Entschließung des Bundestages vom 9.3.1951 zur deutschen Einheit 6
M 1.2.3 Prognose ... 7
M 1.2.4 ... und Wirklichkeit 7
M 1.2.7 Wer ist ein Patriot? 10
M 1.2.8 Berliner Erklärung der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland vom 29.7.1957 10
M 1.3 Berliner Mauer und „Staatsgrenze West" 11
M 1.3.1 Beschluss des Ministerrats der DDR vom 12.8.1961 11
M 1.3.2 Flüchtlinge 12
M 1.3.3 „Staatsgrenze zu Berlin-West" 12
M 1.3.4 Sperrsystem 13
2. Teil: Im Fahrwasser der Ost-West-Entspannung
M 2.1 Erste Anzeichen einer Neuorientierung 14
M 2.1.1 „Wandel durch Annäherung" 14
M 2.1.2 Rede des Bundeskanzlers 15
M 2.2 Bemühungen um Normalisierung 18
M 2.2.1 Grundsatzerklärungen 18
M 2.2.2 Berlin-Abkommen 19
M 2.2.3 Verträge und Abmachungen 20
M 2.3 Zwischen Abgrenzung und Kooperation 21
M 2.3.1 DDR-Verfassung von 1968 und Veränderungen 1974 21
M 2.3.2 Erich Honeckers Rede in Gera, 13.10.1980 22
M 2.3.3 Arbeitsbesuch Honeckers in der BRD 1987 22
3. Teil: Im Strudel eines historischen Umbruchs
M 3.1 Die Wende in der DDR 23
M 3.1.1 Scheinbare Stabilität 23
M 3.1.2 Zeittafel 23
M 3.2 Von den deutsch-deutschen Beziehungen zur deutschen Einheit 25
M 3.2.1 DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziäre vor der Volkskammer, 19.4.1990 25
M 3.2.2 Abschließende Regelung 25
Folien
M 1.2.5 SED-Plakat Folie 1
M 1.2.6 Flugblatt der GVP Folie 2
Klausurvorschlag
Lag die Vollendung der deutschen Einheit 1990 in der Konsequenz der deutsch-deutschen Beziehungen seit 1949? 25
UNTERRICHTSVERLAUF 26
LITERATUR 3. Umschlagseite