Liebe Leserin, lieber Leser!
»Haben Sie schon einmal jemanden umgebracht? Wenn nein, warum nicht?« Diese Frage, frei nach Max Frischs berühmtem »Fragebogen« formuliert, fällt mir im Alltag öfters ein, wenn ich mich sehr ärgere, wenn Zorn und Wut einen Ausdruck suchen. Es ist in meinen Augen ein Privileg, so sicher leben zu können, dass man weder Opfer von Gewalt wurde noch selbst ein Verbrechen begangen hat. Dennoch werden wir alle bei uns Taten und Gedanken finden, die hinter den eigenen Idealen und hinter den akzeptierten Regeln zurückbleiben. Die Fähigkeit zum Bösen ist in uns allen angelegt.
»Christen glauben daran, dass es die Sünde gibt«, schrieb Ulrich Greiner in der letztjährigen Osterausgabe der ZEIT (20. April 2011, 55). Daran festzuhalten heißt, zu wissen, dass - bei aller Vernunft und bei allem psychologischen Wissen - ein Rest an Bösem und Gewalt unerklärt bleibt. Es heißt, verstrickt zu sein in die Zusammenhänge dieser Welt. Und es heißt, um die Fähigkeit des Menschen zu wissen, dass uns niemand den Moment der Entscheidung abnimmt.
Das Thema »Schuld und Sünde« ist zugleich oft allzu sehr besetzt mit Tradiertem, mit moralisch Verbrämtem. Wir haben dem Thema dennoch ein Heft gewidmet und nach neuen Wegen gesucht: Ein »Navi zur Selbsterkundung«, Überlegungen, was in der Firmvorbereitung möglich und aus dem Strafvollzug zu lernen ist, wie das Bußsakrament zugänglich bleibt oder vielleicht wieder wird. Und auch eine systematische Grundlegung, in der Magnus Striet die These wagt: »Sünde müssen wir erlernen« (S. 14).
Der zweite Schwerpunkt: Ökumene. Ist es zu pointiert formuliert, wenn »Trennung« und »Spaltung« der Botschaft Jesu als »Sünde« bezeichnet wird? Innerchristliche und interreligiöse Begegnung sind zentral für Ökumene. Sie bleibt auch in den kommenden Jahren eine Herausforderung.
Wie immer Sie das Jahr 2011 bilanzieren - ich wünsche Ihnen, dass Sie versöhnt, mit Zuversicht und ein bisschen mutig ins Neue gehen können.
Helga Kohler-Spiegel
Schriftleiterin
Inhaltsverzeichnis
Schuldig werden - und dann?
Helga Kohler-Spiegel
Wenn Schuld zum Thema wird
Menschliche Entwicklung ist nicht möglich ohne Schulderfahrung.
Magnus Striet
Schulderfahrung - zwischen Menschenrecht und Gnadenzusage
Das Schuldverständnis hat sich gewandelt - und auch theologisch sollte umgedacht werden.
Wilhelm Albrecht
16 Stürzen, um sich zu retten Zum Farbdruck: Bei Georg Baselitz steht die Welt köpf.
Monika Jakobs
19 Heilende Zumutung: Buße und Versöhnung
Die Leistungs- und Selbstdarstellungskultur unserer Zeit braucht ein Gegengewicht.
Beat Senn
23 Wenn Jugendliche scheitern
Gedanken des Leiters einer Strafanstalt.
Gertrud Miederer
28 »Du bist schuld!« - »Nein, du!«
Wie können Kinder lernen, mit Erfahrungen von Schuld und Schuldvorwürfen umzugehen?
Annegret Langenhorst
33 Die drei Affen im globalen Dorf
»Sünde« ist keine Privatsache: Unterrichtsvorschläge für die Sekundarstufe.
Marianne Brandl
37 Versöhnungswege in der Firmvorbereitung
Erfahrungen mit der »Think-about-Tour«.
Heinrich Timmerevers
40 Glaubens- und Beichtgespräche mit Jugendlichen
Ein Weihbischof erzählt von seinen Erfahrungen.
Wilhelm Albrecht
45 Ein Navi zur Selbsterkundung
Ein kleiner »Gewissensspiegel« für alle, die pädagogisch tätig sind.
Andreas Rode
48 Akzent Am Ende heilig
Zeitenwandel: Josefina Bakhita
50 Gefunden und notiert
Ökumene
Ulrike Link-Wieczorek
52 Ökumene und Religionsunterricht
Plädoyer für eine Ökumene des dritten Weges, die auf Begegnung setzt.
Markus Hartmann
60 »Erlöse uns«
Der ökumenische Kreuzweg der Jugend 2012.
Winfried Verbürg
61 Interreligiös Schule machen
Im Bistum Osnabrück entsteht eine interreligiös ausgerichtete Grundschule.
Jochen Proske
64 Im Blick: Jugendarbeit
Wenn Weltjugendtag und Jugendproteste aufeinandertreffen.
Christine Lambrich
68 Literaturbericht
Vergebung und Versöhnung: Materialien für die Katechese.
74 Bücher
77 Auslese
68 Impressum
Praxisbeilage
Materialbrief GK1/2012
Neue Wege zur Versöhnung.
Ideen und Materialien für Jugendliche und Erwachsene