LIEBE LESERINNEN UND LESER,
„Sie wollen Religionslehrer werden. Wie sehen Sie da Ihre Rolle an der Schule?“, fragt der Prüfer im zweiten Staatsexamen. Der Kandidat beschreibt vorsichtig und ausgewogen die Balance zwischen staatlichem und kirchlichem Auftrag und vergisst dabei auch nicht das Grundgesetz zu zitieren. „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ (GG 7.3) Sehr gut! Bestanden!
Doch was heißt das in der Praxis? Nach der Prüfung geht die Diskussion in der Prüfungskommission weiter. „Eigentlich sollten die Kirchen an staatlichen Schulen nichts zu suchen haben“, sagt einer der prüfenden Schulleiter. „Das sehe ich ganz anders“, entgegnet sein Kollege. „Ich bin froh, dass die Kirchen den Religionsunterricht verantworten und nicht der Staat.“ „Aber es wird immer schwieriger, den Religionsunterricht zu organisieren, zumal wenn jetzt noch islamischer RU dazukommt.“ „Lieber islamischer RU an der Schule als in Hinterhofmoscheen.“
So gehen die Argumente hin und her. Die Debatte ist nicht neu, doch sind in den letzten Jahren neue Fragen hinzugekommen. In einem Positionspapier, das im Dezember 2016 von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeitet und von über 160 Religionspädagoginnen und -pädagogen aus ganz Deutschland unterzeichnet wurde, heißt es: „Der Religionsunterricht in Deutschland steht angesichts gesellschaftlicher, politischer und religiöser Transformationsprozesse vor neuen Herausforderungen. Die Zugehörigkeiten zu Religionen und Konfessionen verändern sich: Evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler werden weniger, der Anteil konfessionsloser und muslimischer Schülerinnen und Schüler steigt. Zugleich ist Religion wieder ein öffentliches Thema geworden. Gesamtgesellschaftlich stellt sich die entscheidende Frage, wie das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen in guter Weise gelingen kann.“
Mit den Stichworten konfessionell, kooperativ und kontextuell fordern Nadine die Unterzeichner, den Religionsunterricht konzeptionell und organisatorisch weiterzuentwickeln .
Aber wie funktioniert Kooperation? Wo liegen die Chancen? Wo die Grenzen? Welche Rolle spielt die Konfessionalität der Lehrkräfte und der Lernenden? Wie kann der RU den verschiedenen Prägungen gerecht werden? Welche Ideen und Modelle bewähren sich? Dazu möchte das vorliegende Heft einen Beitrag leisten und einige Schneisen schlagen.
Daher finden Sie diesmal auch gleich drei Grundsatzartikel zur Weiterentwicklung des RU, zur ökumenischen Bildungsverantwortung von morgen und zu Veränderungen des konfessionellen Religionsunterrichtes angesichts zunehmender Konfessionslosigkeit. In kurzen thematischen Beiträgen werden dann weitere Aspekte und Perspektiven für den RU beschrieben. Den Hauptteil des Heftes bilden aber wieder Beispielprojekte, in denen jeweils auch eine Unterrichtseinheit oder ein Unterrichtsentwurf vorgestellt wird.
Wie pragmatisch die Schülerinnen und Schüler auf den Schulhöfen mit den verschiedenen religiösen Traditionen umgehen, zeigt eine Begebenheit, die eine Kollegin erzählte. Die Kinder hatten auf einer Spielfläche ein totes Vögelchen entdeckt. Sie überlegten, wie sie es bestatten sollten. Zunächst wickelten Sie es nach islamischem Brauch in ein Tuch ein, begruben es und stellten anschließend ein Kreuz auf das Grab. Solche Anforderungssituationen für kooperativen RU gehören längst zum Alltag. Wie würden Sie in Ihrem RU auf die Begebenheit reagieren?
So wünschen wir Ihnen wieder eine anregende Lektüre und freuen uns auf Ihre Reaktionen!
Nadine Hofmann-Driesch
Christian Marker
Uwe Martini
Matthias Ullrich
Inhaltsverzeichnis
EDITORIAL
Nadine Hofmann-Driesch, Christian Marker, Uwe Martini, Matthias Ullrich 1
PERSONEN & PROJEKTE 2
Es ist Zeit „Auf Wiedersehen!“ zu sagen und „Willkommen!“
- Nächstenliebe schafft Klarheit
- „Die Christen beten doch nur, wenn jemand stirbt!“ oder „Der hat das böse Allahuakbar-Wort gesagt!! HILFE!!!“
- Religionslehrerinnen und Religionslehrer erhielten ihre Vocatio
GRUNDSATZARTIKEL
- Bernd Schröder
Ist Religionsunterricht nach Art 7.3 GG zukunftsfähig? 5
- Jan Woppowa
Zusammen ist man weniger allein 8
- David Käbisch
Konfessioneller Religionsunterricht angesichts zunehmender Konfessionslosigkeit.
Zwölf Thesen 11
THEMATISCHE BEITRÄGE
- Anke Kaloudis, Religionsunterricht wohin? 14
- Andreas Verhülsdonk, Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts –
Anmerkungen zum neuen Bischofswort 15
- Felix Kerntke, Konfessioneller Religionsunterricht und die Konfessionalität der Religionslehrkräfte 16
- Christoph Meier
Zur Situation des konfessionellen Religionsunterrichts in Rheinland-Pfalz 17
- Nurgül Altuntaş
Berührungsängste abbauen und Begegnungen ermöglichen 18
BEISPIEL-PROJEKTE
- Christian Marker und Wolfgang Ritz
Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation 20
- Anke Kaloudis
Lernen im Dialog 21
- Marlis Felber und Brigitte Weißenfeldt
Maria – eine besondere Frau 24
- Sophia Brand und Dagmar Ast
„Wie viel Paradies kann ich eigentlich ertragen?!“ 26
- Patrizia Pascalis
„Ich bin doch keine Hure!“ – Weihnachten und der Koran 28
- Kristina Augst
Vergleich der Offenbarungen im Christentum und im Islam 30
- Birgit Kuhlmann
Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts für alle – Aktuelle Perspektiven 32
- Dennis Graham
Miteinander gerecht leben 34
- Lisa Schätzlein und Ursula Alflen
Interreligiöser Dialog: Schüler begegnen den abrahamischen Religionen 36