Es ist Karfreitag 2011. Hunderte von Jugendlichen tanzen lautlos in Frankfurt auf dem Römerberg. Der Frankfurter Ordnungsdezernent hat eine alte Verordnung, die »Tanzveranstaltungen am Passionstag Christi« verbietet, einige Wochen zuvor wieder ins Gedächtnis gerufen und daran erinnert, dass sie noch gilt.
In diesem Jahr würde er strenger auf die Handhabung achten. Besitzer von Diskos, Bars und Clubs protestieren. Die Jugendlichen haben einen freien Tag und wollen feiern. Lautlos, mit dem Stöpsel vom MP3-Player im Ohr, tanzen sie nun vor dem Frankfurter Rathaus: die »Grüne Jugend« hat aufgerufen zum Flashmob am Karfreitag. Kritisch wird es, als eine katholische Prozession mit Kreuz vorbeizieht. Es wird geschubst. Nun sehen sie den Grund für ihren Ärger: das spaßfreie Christentum, die Religion der Opfer ...
Die Gegenfragen lauten:
- Muss es 365 Tage im Jahr Party geben können?
- Sollte man nicht wenigstens einen Tag im Jahr leise sein dürfen um an Leid, Opfer und Endlichkeit denken zu können?
- Ist das Kreuz Christi nicht Anlass, das Leben in seiner Fülle und Breite, im Gelingen und Misslingen, mit Lieb und Leid zu sehen?
- Kann das leere Kreuz uns nicht daran erinnern, dass, dem christlichen Glauben zufolge, mit dem Tod nicht alles vorbei ist?
Mit Tanzverboten wird man diese Gegenfragen nicht beantworten, wohl aber mit Gesprächen. Die Kirchenleitung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau will diese Gespräche in der Gesellschaft führen. Das Gespräch gesucht wird nun 2012 am Karfreitag und in der Passionszeit zum Thema »Opfer?«. Dazu dienen Plakate, Gottesdienstentwürfe, Nachdenk-Material und die aktuelle Ausgabe der »Schönberger Hefte«. Darum die — vom gewohnten Layout abweichende — Gestaltung der Titelseite: Das Motiv zeigt das EKHN weite Plakatmotiv der Karfreitags- Aktion.
Ein hervorragender Ort, um Gespräche mit Jugendlichen zu führen, ist die Schule. Sie, als Religionslehrerinnen und Religionslehrer können diese Fragen thematisieren.
In diesem Heft wollen wir dazu einige inhaltliche und methodische Vorschläge machen, um Ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich in diese EKHN-weite Aktion einzuklinken. Im ersten Teil finden Sie theologische Überlegungen und Begriffsklärungen: Opfer, Victim, Sacrifice, Hingabe. Was ist im Bedeutungsrahmen des christlichen Glaubens mit diesen Begriffen gemeint und was nicht? Worüber reden wir, wenn wir »Du Opfer!« sagen, über »sich aufopfern « sprechen oder uns über Jesu Opfer am Kreuz unterhalten.
Die genauen Titel aller Beiträge finden Sie links im Inhaltsverzeichnis. Im zweiten Teil folgen einige Artikel, die »Opfer« in der Lebenswirklichkeit und Alltagssprache von Schülerinnen und Schülern thematisieren. In einer 7. Klasse der Hauptschule, oder im »besonderen 10. Schuljahr – Keine/r ohne Abschluss« wissen Schülerinnen und Schüler ganz genau, was es heißt, Opfer zu sein. Aber in allen Schulformen können Mobbing, Cyber-Mobbing oder sexualisierte Gewalt Jugendliche zu Opfern machen.
Im dritten Teil haben wir sechs Unterrichtsentwürfe und -elemente
aufgenommen, mit denen in allen Schulformen die Themen Leiden,
Opfer, Kreuz und Auferstehung im Religionsunterricht thematisiert werden können. Für die Grundschule ist dies eine Reihe mit Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion. Für SekI werden diverse Themen mit den neuen Bildungsstandards verknüpft. Auch könnte hier die Lektüre von »Oskar und die Dame in Rosa« anregend sein. Insbesondere für die Berufsschule eignet sich das Arbeiten mit dem Film »Gran Torino«. In der gymnasialen Oberstufe (Q1) kann die Präsentation zweier christologischer Modelle (»von oben« und »von unten«) manchen Stolperstein bei soteriologischen Fragen wegräumen.
Die Wegzehrung ist diesmal vom Kirchenpräsidenten Dr. Volker Jung. Die Varianten für das Plakat der Karfreitags-Aktion, die Ralf Kopp uns dankenswerterweise zur Verfügung stellte, finden Sie auf der Rückseite dieses Heftes. Auch sie bieten viele Anregungen zum Gespräch. Wir würden uns freuen, wenn die hier gebotenen Impulse helfen, dass zentrale, aber nicht einfache Themen des christlichen Glaubens in der Schule angesprochen werden.
Hramjan Dam und Uwe Martini
Inhaltsverzeichnis
Inhalt des Heftes
Titelbild
Editorial
1. Opfer? — Zur Karfreitags-Aktion der EKHN 2012, von Stefan Knöll
2. »Du Opfer!« Victim, Sacrifice, Hingabe —Theologische Facetten des Opferbegriffs, von Kristina Augst
3. Gottes Opfer? Einführung in die Stellungnahme des Leitenden Geistlichen Amtes der EKHN »Zur umstrittenen Deutung des Todes Jesu als ein Gott versöhnendes Opfer«, von Stefan Knöll
4. »Ey, Opfer, komm mal her!« — Eine Projektwoche zur Auseinandersetzung mit Begriffen der heutigen Jugendsprache, von Wolfgang Wendel
5. »Weißt du überhaupt, was ein Opfer ist?« — Ein Unterrichtserlebnis im besonderen 10. Schuljahr: Keine(r) ohne Abschluss, von Annegret von Dahl
6. Cyber-Mobbing in Schulen — Opfer kann jeder werden, von Uwe Martini
7. Übungen gegen das Ausgrenzen — Bausteine für die Konfirmandenarbeit, von Andrea Knoche
8. Wegzehrung, von Volker Jung
9. Achtet die Grenzen! — Sexualisierte Gewalt in den Schulen Ein Präventions- und Fortbildungsprojekt der EKHN, von Uwe Martini
10. »Ich bin's, ich sollte büßen« — Theologisieren mit der Matthäus-Passion von J.S. Bach Ein kompetenzorientierter Unterrichtsentwurf für die Grundschule, von Anne Klaaßen
11. Oskar und die Frage nach dem leidenden Gott, von Kristina Augst
12. »Opfer« als Thema im Religionsunterricht der Sek 1— Ein didaktischer Blick auf die Lebenswelt von Jugendlichen und das neue Kerncurriculum für Hessen (KCH), von Gabriele Sies
13. »Auf dass wir Frieden hätten« — Clint Eastwoods Film »Gran Torino«: Ein Mensch opfert sein Leben für andere, von Christine Weg-Engelschalk
14. Christologie »von oben« und »von unten« — Unterrichtsimpulse für den Umgang mit soteriologischen Fragen in der Oberstufe des Gymnasiums, von Harmjan Dam
15. Register 2011
16. Jugendkirchentag
Rezensionstext
Alle Links und Materialien sowie Zusatzinformationen zum Heft finden Sie auf der Webseite
http://www.rpi-ekhn.de/cms/ index.php?id=812 oder unter www.rpi-ekhn.de, dann Publikationen/ Schönberger Hefte.