Liebe Leserin, lieber Leser
Seit dem 22. Dezember 2010 läuft die Vernehmlassung des Bundesrates zum UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die von Fachorganisationen seit langem geforderte Ratifizierung in der Schweiz hätte Folgen, auch für Schule und Kirche, und sogar für den Religionsunterricht.
«Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen [...].» (24,1)
Es lohnt sich, Artikel 24 der Konvention zum Thema Bildung genauer anzusehen: Die Informationsplattform humanrights.ch bietet neben der fehlerhaften offiziellen Arbeitsübersetzung auch die inhaltlich und sprachlich korrekte «Schattenübersetzung». Bei der Beschäftigung mit der Frage, was es mit diesen beiden Übersetzungen auf sich hat, stösst jede und jeder Interessierte rasch auf die Unterscheidung von Integration und Inklusion - und befindet sich schon mitten im Thema.
«Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, [...] dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben [...].» (24,2b)
Inklusion wird in den nächsten Jahren die grosse Aufgabe für den Religionsunterricht, mehr noch: das Bildungswesen, ja: unsere ganze Gesellschaft sein. Inklusion ist eigentlich immer schon ein zutiefst menschliches und jesuanisch-christliches Anliegen gewesen, auf das die Kirche - gottlob! - mancherorts auch bereits selbst gekommen ist.
Inklusion beginnt nicht bei der UNO oder beim Bundesrat. Wir brauchen auch nicht zu warten auf Kirchenleitungen oder Ausbildungsverantwortliche, sondern wir können einfach schon einmal anfangen: Inklusion beginnt bei uns im Kopf, zunächst unsichtbar, vielleicht in vorsichtigen Begegnungen, hoffentlich bald schon in gemeinsamen Projekten und irgendwann - ganz sicher - werden wir gar nicht mehr wissen, wie wir ohne einander auskommen sollten.
Dieses Heft bietet zahlreiche Beiträge aus Regelklassen sowie aus heilpädagogischen und inklusiven Unterrichtsgruppen: Es mag dazu beitragen, bereits vorhandene Ansätze, Erfahrungen und Modelle bekannt zu machen. Es mag ermutigen zu einem Religionsunterricht, in dem alle ihren Platz finden: ungehindert.
Ich wünsche Ihnen viel Freude am Unterricht!
Matthias Kühl
matthias.kuhl(at)reli.ch
Inhaltsverzeichnis
>>>>GRUNDSÄTZLICH
Bernhard Joss-Dubach
Inklusion oder Illusion? 3
Wolfgang Broedel
Heilpädagogischer Religionsunterricht 6
Verena Sollberger Schwarzenbach
Ein Leib - viele Glieder 9
>>>>PRAKTISCH
Regula Walther, Beatrice Teuscher
Menschen begegnen Menschen 12
Alexander Schroeter
Die Kraft des Bilderbuches 15
Hansjakob Schibier
Nick Vujicic und Benjamin Lebert 18
Benno Bühlmann
«Wir lassen uns nicht behindern» 20
Susanna Leu-Sutter
Sich gegenseitig stärken 22
Heidi Lanz
Kraft des Brotes 24
Kathrin Reinhard
Inklusion - gelebte Schöpfungsvielfalt 27
Christine Kohlbrenner-Borter
Zusammen wachsen - Zusammenwachsen 30
>>>>AKTUELL
Aus der KAKOKI 33
Rezensionen 34
Vorschau 35