Liebe Leserin Lieber Leser
Vor zwanzig Jahren forderte Hans Saner in einem provokativen Aufsatz ein Stimm- und Wahlrecht 0 sozusagen als einzig vernünftige Antwort auf einen gesellschaftliches Paradox: Denn Kindern und Jugendlichen wird Partizipation gemeinhin unter dem Vorwand verweigert, dass sie eben dazu noch nicht reif seien, während es andererseits auf der Hand liegt, dass sich bürgerliche Reife -auch beim Erwachsenen! - im besten Fall erst durch die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am politischen Leben allmählich einstellen wird. Kurz gesagt: man ist nicht - plötzlich - politisch mündig, man wird es erst in Prozessen, in welchen einem Mündigkeit zugemutet wird: «Durch ein Stimm- und Wahlrecht von Kindern und Jugendlichen», erklärt Saner, «würden diese über die Probleme der Gesellschaft informiert, und ihre politische Vernunft würde in einer Zeit heranreifen, in der die Phantasie noch nicht abgestorben ist.»
Das Christentum hat sich gegenüber dem Kind zweideutig verhalten: Einerseits neigte man aufgrund der Erbsündenlehre dazu, im Kind ein rohes Wesen zu sehen, welches erst im Laufe des Sozia-lisationsprozesses und gegebenenfalls auch unter Einsatz von erzieherischer Gewalt zum Menschen wird - andererseits erlag man auch immer wieder einem gegenläufigen Impuls: dem Bild vom Jesuskind mit dem Weltapfel in der Hand, der Hoffnung auf das Kind als Erlöser der Welt. Im Spannungsfeld zwischen beiden Polen drohen Kinder bis heute zu Projektionsträgern von all dem zu werden, was Erwachsene an sich hassen oder vermissen. Es bedurfte jener liebevollen Zurück-Haltung bspw. des polnischen Kinderarztes und Pädagogen Janusz Korczak, um vor allem den Menschen im Kinde zu sehen, welches - gerade weil es ebenso widersprüchlich ist wie die Erwachsenen auch - dasselbe Recht auf Achtung und Gehör verdient: «Lasst uns Achtung haben vor dem Kinde», fordert er 1929 leidenschaftlich, «...wie soll das Kind morgen leben können, wenn wir ihm heute kein bewusstes, verantwortungsvolles Leben ermöglichen?»
Am 20 November 1989 ist die Kinderrechtskonvention der UNO zur Diskussion vorgelegt und von nahezu allen Staaten (auch von der Schweiz) ratifiziert worden. Der Geist dieser Konvention und ihre Forderungen sind damit zum verbindlichen Bildungsinhalt geworden - auch für das Fach Religion. Das Thema eignet sich hervorragend für eine fächerübergreifende Zusammenarbeit und gesamtschulische Projekte - bspw. zum 20. November: dem Tag der Rechte des Kindes. Dazu möchte Sie die vorliegende Nummer anregen und ermutigen!
Michael Zangger
Inhaltsverzeichnis
>>>> Zum Thema - Geschichte
Daniel Probst
Kindern eine Stimme geben 3
>>>> US/MS-Kinderbücher
Lisbeth Zogg-Hohn
Wie Kinder sich durch ihre Lebenskunst Recht verschaffen 10
>>>> US/MS-Schulkultur
Werner Zollinger
Klassenkonferenz 13
>>>> MS - Reflexion zur Katechese
Prisca Senn
«Wer seid ihr?» 15
>>>> MS - Menschen Julia Hohn Kinder der Welt 18
>>>> MS/OS - Erzählung
Hans-Jakob Schibier
«Darf ein Vater sein Kind töten?» 21
>>>> OS-Unterricht
Andreas Kessler
«Ich darf alles, was ich will!» 24
>>>> MS/OS-Firmung/Konfirmation
Markus Berger
Im Spiegel Gottes und der Öffentlichkeit 26
>>>> MS/OS -Aktionen
Bianca Steinmann
20. November - ein Tag für die Rechte des Kindes 29
>>>> Impressum 35