Liebe Leserin, lieber Leser
Die Nummern des RL müssen der pädagogischen Realität einen kleinen Schritt wenigstens voraus sein, und so erscheint etwas zur Unzeit eine Nummer über Fastnacht und allerlei andere Narreteien.
Die Symbolik der verkehrten Welt begegnet traditionell in Frühlingsfesten, Initiationsriten oder Wundergeschichten. Offenbar taucht sie immer da auf, wo Kälte und Erstarrung drohen: durch den nicht enden wollenden Winter oder allzu rigide religiöse oder gesellschaftliche Normen. Deshalb wird in diesem Heft verschiedentlich auch von Blockaden die Rede sein: von einem Menschen, der nicht weiss, wie er beten soll und von einem Mädchen, das sich weigert, erwachsen zu werden; von Jugendlichen mit Schreibblockaden und von Schülern/innen, die sich gegen den (Religions-) Unterricht sperren. Die Inszenierung von verkehrten Welten kann zur Lösung von solchen Blockaden beitragen. Damit wird die verkehrte Welt nicht schon zur richtigen erklärt. Sie lässt Menschen erfahren, dass alles auch ganz anders sein könnte, und weckt sie so aus der Trance der vermeintlichen Normalität. Um es mit einem Wortspiel zu sagen: Inszenierungen einer verkehrten Welt distanzieren Menschen in heilsamer Weise von einer allzu verehrten Welt.
Der Theologe Jürgen Ebach erzählt die Geschichte von einem Spassvogel, der während der Belagerung Kölns durch die Franzosen von der Stadtmauer hinuntergerufen habe: «Was scheesst ihr denn, sit er den nit, dat he Lück ston?!» («Warum schiesst ihr da unten, seht ihr denn nicht, dass hier Leute stehen?!»). Das ist wirklich verrückt und gleichzeitig das Allerselbstverständlichste - oder anders ausgedrückt: das Selbstverständlichste der Welt im Gewand einer vermeintlichen Verrücktheit, die alles dreht. Verkehrt erscheint nun mit einem Mal nicht mehr das Wort im Munde des Narren, sondern die Welt, wie sie ist. Mit ihrem hohlen Prestige und ihren schreienden Ungerechtigkeiten.
«Kinder und Narren sagen die Wahrheit», sagt ein Sprichwort. Es gibt diese Worte auf der Grenze zwischen Schamlosigkeit und entwaffnender Ehrlichkeit, die uns von falschem Gehabe erlösen und auf den Boden schlichter Menschlichkeit zurückholen können. Wie es der Luzerner Stadtnarr Emil Manser in unnachahmlichem Stil auf seinen Grabstein meisseln Hess: «Ist mir grosse EHRE von gleicher Sorte zu sein.»
Michael Zangger
Inhaltsverzeichnis
VERKEHRTE WELT
>>>> Zum Thema
Christoph Hügli
Du Narr! 3
>>>> Unterrichtsbeiträge
US/MS
Prisca Senn
Vom Gaukler, der Hexe und Fuma 7
MS/OS
Michael Zangger
Karneval 13
MS/OS
Benno Bühlmann
«Unter toten Fischen auffallen
ist nicht schwer» 16
MS/OS
Ursula Schweizer
Umdrehen 20
MS/OS
Hans-Jakob Schibier
Das Recht, ein anderer -
eine andere zu werden 22
OS
Andreas Kessler
Ein zweideutiger Gefährte:
Smeagol ist Gollum 26
OS
Andreas Hohn
Fröhlicher Schwindel 30
>>>> Nachruf
Zum Gedenken an Peter Moll 32
>>>> Medienseite
Medientipp 34