Liebe Leserinnen und Leser
Die Frage nach Gott scheint – zumindest für Gläubige der monotheistischen Religionen – die zentrale religiöse Frage überhaupt zu sein: Mit der Frage nach Gott steht und fällt die ganze Religion.
Doch Gott ist weder leicht zu haben noch überhaupt zu fassen.
Denn er, nein: sie, nein: es, nein: Gott ist zwangsläufig niemals so, wie z.B. ich ihn mir als alten Mann mit rauschendem Bart (oder wie auch immer sonst) denken könnte. Ach, hätten auch wir doch einen unaussprechlichen Gottesnamen wie Jüdinnen und Juden!
Haben wir aber nicht, und das ist tatsächlich bedauerlich. Stattdessen haben wir eine lange Kirchengeschichte voller Bilder. Viele verschiedene und entsetzliche Bilder von Gott, der alles macht und alles kann, der immer alle überwacht, streng richtet und hart bestraft, der für Anstand und Ordnung sorgt, der Herrschaft und Unterdrückung garantiert, der Kindesmisshandlung und Ausbeutung deckt, der Völker segnet und Kriege gutheisst und bei alledem angeblich immer ein ganz lieber bleibt. Und selbst, wenn wir heute für andere versöhnliche und gnädige Gottesbilder eintreten, sind die alten Bilder nicht vergangen. Auch unsere Kinder und Kindeskinder werden sich noch damit herumschlagen müssen. Ach, könnten wir uns doch heute noch einmal ganz neu erfinden!
Können wir aber nicht, und das mag ein grosses Glück sein. Wir würden doch alle Fehler noch einmal machen, wenn wir die alten nicht erkennen könnten. Und darum müssen wir uns irgendwie dazu stellen. Manche tun das mit einem Abschied von Gott, Glauben und
Religion, andere befreien sich von ihrer «Gottesvergiftung» und treiben die alten Gottesbilder mit neuen aus – oder noch besser: ohne neue, um die alten sich selbst ad absurdum führen zu lassen.
Die Erkenntnis der prinzipiellen Unerkennbarkeit Gottes aber kann (mit Sölle) auch zum Abschied vom werkhaften Glauben als Fürwahrhalten der Existenz von und zum Glauben als Lebenshaltung mit Gott «als eine Sonne im Rücken» (Luther) geleiten. Die Frage nach Gott führt mit der Unerkennbarkeit Gottes trotzdem nicht ins Leere, sondern zu einer bewussten Leerstelle [ ] als Ausdruck des Unabbildbaren, zu einer offen gehaltenen und niemals verbindlich und lehrhaft zu beantwortenden Frage.
Individuelle Versuche, die Frage nach Gott persönlich zu beantworten, sind gleichwohl nicht verboten, sondern – im Gegenteil – innerhalb eines Religionsunterrichts, in dem Kinder und Jugendliche nicht Objekte der Belehrung, sondern Subjekte des Lernens sind, sehr sinnvoll.
Um Gott «als eine Sonne im Rücken» erfahren zu können, müssen wir uns allerdings dem Leben, der Welt und den Menschen zuwenden.
Ich wünsche Ihnen viel Freude am Unterricht
Matthias Kuhl
Inhaltsverzeichnis
Grundsätzlich
Monika Jakobs:
Der Gottesglaube bei Kindern und Jugendlichen
Andreas Kyriacou:
Abschied vom Gretchen
Petra Bleisch:
«Der Glaube an …» als Thema im schulischen Unterricht
Petra Bleisch,
Matthias Kuhl: Über Religionsunterricht und Religionsfreiheit
Praktisch
Eva Zoller Morf:
Wer ist wirklich blind? (US)
Dorothea Marti,
Matthias Kuhl: Gretchens fragende Enkelin (US/MS)
Oliver Steffen:
Spielen mit Gott (MS/OS)
Sabine Boser:
«Hallöchen, wir sind Gott» (MS/OS)
Andreas Hohn:
Ein Hallelujah jenseits von Eden (OS)
Patrik Böhler:
«La Ga La Si» (OS)
Andreas Köhler-Andereggen:
Den «Bildersturm» begleiten (OS)
Service
Rezension
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