Liebe Leserin, lieber Leser,
«Trennung» hört sich schlecht an. Wir verbinden damit Scheitern, Streit, Trauer, Zerrissenheit, Verletzung, Tod etc. Doch gerade in solchen Situationen soll das Rettende bekanntlich nah sein. Und so hält der Getrennte sofort Ausschau nach Heilung und Heil, der Trennung dreht er den Rücken zu. Und er flüchtet - nicht zuletzt in die Religion. Die theologische Spitzenvariante ist hierbei die Hoffnung einer Versöhnung von Allem mit Allem. Dies mag ein fantastischer Gedanke für die Ewigkeit sein, in der Zeit der Menschen aber trägt er unweigerlich totalitäre Züge: in der Partnerschaft, in Schule und Pfarrei wie im Staat. Dieser Traum wird durch eine unverbesserliche Sehnsucht nach einer utopischen, unmenschlichen Ganzheit gespeist, welche die Beteiligten oft wider besseres Wissen und Gewissen in die Arme der Anderen wirft: voreilige Gesten der Versöhnung, theatralische Entschuldigungen und euphorisch an- und abgewickelte Wiedervereinigungen. Vereinnahmungen, keine verarbeiteten Trennungen, die neue Zukunft eröffnen.
Die Beiträge dieses Heftes zeigen, dass Trennungen nicht ausschliesslich die Schwere des bedauerlich Negativen anhaften muss. Vielmehr sind Trennungen gleichzeitig notwendige Brüche, die getrennte, neue Wege ermöglichen: Jakob kommt zu sich selber, die Wolfsjungen entwachsen gestärkt einer Elternscheidung, in trauriger Liebe getrennt gehen Jüdin und Christ weiter, die Konvertitin findet eine neue Wahrheit, der pubertierende Aborigine wird zum Mann. Trennungen sind hierbei konstitutive, für die Zukunft der Akteure unvermeidliche Vollzüge gelungenen Lebens, mögen sie auch Spuren des Schmerzes, der Angst und der Trauer hinterlassen - oder eben gerade deswegen.
Im vorliegenden Heft soll jedoch nicht die Trennung als Trennung gefeiert werden. Sie ist für sich betrachtet genauso leer und perspektivlos wie die Vereinigung unkritisch und geschichtslos ist. Das tägliche Leben ist weder ständige Versöhnung noch eine tragische Folge ununterbrochenen Abschieds, sondern es ereignet sich im Dazwischen. Ein Dazwischen, in dem die Spannung zwischen Umarmungen und Trennungen gehalten, ausgehalten und bedacht wird. In Erwartung des Kommenden.
Andreas Kessler
Inhaltsverzeichnis
TRENNUNG
>>>> Zum Thema
Stephan Wyss
Trennung - heilvolle Alternative einer humanen Streitkultur 03
Hansjakob Schibier
Du sollst nicht ehebrechen! Religionspädagogische
Überlegungen zum Gebot des partnerschaftlichen Lebens 10
>>>> Vielfältige Trennungen
US/MS Prisca Senn
Um zu sich zu kommen, muss man sich manchmal trennen 12
US Lisbeth Zogg-Hohn
Papa wohnt jetzt in der Heinrichstrasse.
Wenn Eltern sich trennen 15
OS Hansjakob Schibier
Trennung am Beispiel des jüdischen Krieges in den Jahren 66-70 20
OS Benno Bühlmann
Konvertiten: „Auf zu neuen Ufern!" 23
OS Martin Buchli
Trennung - das Tor zum Erwachsensein 29
Medienseite 33