Liebe Leserinnen und Leser
«Ich erinnere mich nicht mehr so genau daran, vielleicht war es auch gar nicht so wichtig.» Dieser alltägliche Satz bringt auf den Punkt, worum es in diesem Heft geht: Erinnerung ist subjektiv und hängt stark davon ab, für wie wichtig etwas gehalten wird. Wichtiges zu vergessen, wird deshalb als Unglück empfunden und zu verhindern versucht, indem man aufzeichnet, fotografiert, notiert, sammelt. Welche – bewussten oder unbewussten – Kriterien sind dabei entscheidend? Die Beiträge in diesem Heft gehen dem nach und greifen auch zurück auf das für das Christentum wichtigste Erinnerungsstück, die Bibel: Sie ist ein Buch, dessen Erzählungen die Geschichte der Menschen mit ihrem Gott festhalten. Sie bewahrt die kollektive Erinnerung von Juden und Christen. Zugleich beeinflusst sie die Identität jedes und jeder einzelnen Gläubigen, indem die Topoi der biblischen Geschichten mit Lebenserfahrungen korrelieren oder ein Reflexionsraster dafür anbieten.
Erinnerungsgegenstände – vom Urlaubsandenken bis zur ungelenken Kinderzeichnung auf inzwischen vergilbtem Papier, ja, auch die Bibel – sind immer Äusserlichkeiten, die Erinnerung läuft innerlich ab, sie ist stärker mit Emotion verbunden als mit Kognition. Die Beiträge dieses Heftes zielen darauf ab, das Erinnern und Vergessen als Akt bewusster Innerlichkeit und Identitätsbildung zu verstehen.
Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, halten mit diesem Heft die letzte Ausgabe des reli. in Händen. Es ist bezeichnend, dass sich reli. mit diesem Thema von Ihnen verabschiedet. Obwohl noch vor fast zwei Jahren das vierzigjährige Bestehen von reli., vormals RL, mit vielen Grussworten bedacht wurde, in denen man sich und andere dankbar an die zurückliegende Zeit erinnerte, so schnell sind die Worte vergessen oder mindestens neu zu gewichten, wenn andere Interessen aufkommen. Mir bleibt nun noch der Dank: den vielen Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre Mitarbeit, den Redaktionsmitgliedern und Redaktoren für grosses Engagement und viel Herzblut, den Landeskirchen für das finanzielle Rückgrat, und nicht zuletzt Ihnen für Ihr Interesse an unserer religionspädagogischlebenskundlichen Zeitschrift während 42 Jahren.
Nachdem das Ende von reli. beschlossen werden musste, haben uns viele Rückmeldungen erreicht, die ihren Dank für reli. zum Ausdruck brachten. Sie bringen unserer Arbeit – stellvertretend für die Arbeit vieler anderer – damit eine Wertschätzung entgegen, an die wir uns gerne erinnern werden.
Es verabschieden sich
Markus Zimmer, Redaktor
Matthias Kuhl, Redaktor
und die gesamte Redaktionskommission «reli.»
Inhaltsverzeichnis
››› GRUNDSÄTZLICH
Donatus Stemmle
Geschichte gibt es nicht
3
Christian Cebulj
Vergiss es (nicht)!
6
Thomas Nisslmüller
Erinnerungskosmos Bild
10
››› PRAKTISCH
US
Ulla M. Nitsch
Ich und Zeit – alles relativ
13
MS
Hansjakob Schibler
Erinnerungsstation Emmaus
18
MS/OS
Patrik Böhler
Was das Leben durchkreuzt
20
OS
Matthias Kuhl
«Warum machst du das?»
23
OS
Interview mit Raquel Delgado Moreira
Anders als der «Nachbar»
27
OS
Markus Zimmer
Wer ist «ich»?
30
OS
Markus Zimmer
Gewesen sein werden
32
Rezension
34
Nachruf
34
Die Herausgeberkommission
zum letzten gedruckten «reli.»
35