Zu diesem Heft
Seit 25 Jahren ist diese Zeitschrift unter dem Titel ,Glaube und Lernen' erschienen. Während dieser Zeit ist die Diskussion fortgeschritten; damit stellte sich die Frage, ob nicht an Stelle des Begriffs des ,Glaubens' der Begriff der ,Religion' treten solle. Auch scheint sich der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen eher mit Hilfe des Religionsbegriffs rechtfertigen zu lassen als durch ein Glaubensverständnis, das vielleicht nur Diskussionen in der Kirche widerspiegelt. Jedoch zeigt sich an beiden Begriffen - des Glaubens, der Religion - eine mitunter lästige Undeutlichkeit.
Die Beiträge dieses Hefts zeigen zwei Wege zur Reflexion des Glaubens und seines Verhältnisses zum Lernen. 15er eine geht davon aus, dass der Begriff der Religion zu allgemein ist, um die Spezifika des Glaubens benennen zu können. Der zweite geht von einer gewissen Überschneidung der Bedeutungen aus und schätzt dabei die Differenzierung des Religionsbegriffs so hoch ein, dass der Glaube mit christlicher Religion gleichgesetzt werden kann. Der erste Weg hingegen verlässt sich darauf, dass der Glaube eine argumentative - und auch narrative — Präzision in die theologische und die sozialisationstheoretische Diskussion einfuhren kann, die nicht von allgemeinen Bestimmungen des Religionsbegriffs eingeholt werden kann, weil die Phänomene des Religiösen allzu weit auseinander liegen.
Eine von den Herausgebern gewünschte Diskussionsgrundlage versucht, spezifische und zugleich bestimmende Qualifikationen des Glaubens in unserer Zeit zu benennen. Christofer Frey lässt seine Überlegungen mit der sozialen Konstruktion und den interaktiv gewonnenen Erfahrungen der Lebenswelt beginnen, deren Wahrnehmung in zwei Richtungen - zum Ganzen und zum Subjekt hin — überschritten werden kann. Das Wissen spielt dabei eine bedeutende Rolle, mehr aber noch die Frage, was denn das Wissen des Glaubens, seine Grundüberzeugungen und das Grundvertrauen des Einzelnen im Lebenszusammenhang trägt. Deshalb sollte das Wissen des Glaubens nicht von den Emotionen getrennt werden; der ältere Begriff des Affekts könnte deshalb neu zur Geltung kommen, sofern er dem Ausdruck einer zuerst geschenkten und dann auch erworbenen Identität dient.
Wolfgang Maaser erweitert diese Fragestellung im Blick auf die Lebensführung und das Thema des Glücks sowie des Guten. Mit Gütern und Werten der Lebenswelt ist eine allgemeine Orientierung verbunden, die sich an starken Wertungen beweist. So öffnet der Glaube eine Perspektive gelingenden Lebens; und diese weist an die Ethik. Die damit verbundene Identität orientiert sich am Anderen, der eine vergleichbare Identität sucht. Die
damit verbundene Lebenskunst muss — so Michael Basse — von einer Kunst der Sterbens begleitet werden.
Martin Rothgangel bearbeitet Anfragen, die seit der PISA-Studie mit der Orientierung am ,Output' des Lernens verbunden sind. Schließt die von Schülern (und Lehrern) zu erwartende Kompetenz eher an das Thema der Religion oder das des Glaubens an? Seine Studie zielt auf eine Konvergenz. Sein Hinweis auf das selbstreflexive Lernen (Nipkow) ist auch ein Argument dafür, dass Diskussionen um die Kompetenz mit einer deutlichen personalen Identität verbunden sein rn-üssen. Damit werden nur formale Kompetenzkonzeptionen in Frage gestellt.
Die Stellungnahmen von fünf Herausgebern dieser Zeitschrift lassen erkennen, dass eine Näherbestimmung der Kompetenz mit Hilfe des Glaubensverständnisses gewonnen werden kann. Werner H. Schmidt weist darauf hin, dass gängige Definitionsversuche der Religion als eines Kosmos der Sinnstiftung am alttestamentlichen Glaubensverständnis vorbeigehen. Michael Wolter zeigt, dass das Urchristentum als Bekehrungsreligion eine überindividuelle Gemeinschaft stiftete und als deren Kennzeichen den Glauben herausstellte, wodurch ein bloß subjektives Verständnis der Religion überwunden wurde. Michael Basse sieht im Glauben eine geschenkte Kompetenz angelegt und rät dazu, neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede zwischen Glaube und Religion festzustellen. Ernstpeter Maurer sucht ein erweitertes Verständnis der Rationalität, das der Innenperspektive des christlichen Glaubens entsprechen kann. Diese muss sowohl an die Erfahrung als auch an die Grenzen der Lebensgestaltung verweisen. Peter Müller verbindet den Glauben mit einem bestimmten Verständnis der Wirklichkeit, das mit der Lehre Jesu zu tun hat. Nicht nur das Erlernen bestimmter Topoi, sondern ein Lernen in Beziehungen ist die Konsequenz.
Diese Erörterungen können das Urteil bestärken, dass Kompetenzen nicht nur auf allgemeine Funktionen der Religion —wie der Sinnfindung — zurückgeführt werden sollen, sondern Traditionen und damit auch die qualifizierte Partikularität des Glaubens voraussetzen. Deshalb befasst sich Hartmut Rupp mit der Ausprägung religiöser Fragestellungen unter Jugendlichen. Welchen Anforderungssituationen können sie entsprechen? Vorstellungen vom Selbst, von der Welt und dem guten Leben spielen vor einem Hintergrund von fundamentalen Überzeugungen. Diese sollten auf die christliche Tradition bezogen sein, weil auch ein spätneuzeitliches bzw. postmodernes Religionsverständnis nicht nur beliebige religiöse Fragmente einsammeln kann. Diesen wichtigen Erörterungen folgt ein ausführlicher Hinweis auf gegenwärtig diskutierte Kompetenzmodelle (Ziemer zu Obst).
C.F.
Inhaltsverzeichnis
Glaube und Lernen
Christofer Frey
Glaube und Lebensführung
Wolfgang Maaser
Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für den Religionsunterricht
Martin Rothgangel
Alttestamentliche Glaubenseinsichten
Werner H. Schmidt
Zum neutestamentlichen Glaubensverständnis
Michael Wolter
Die Bedeutung reformatorischer Theologie für die Theorie religiöser Bildung
Michael Basse
Glaubens-„Kompetenz“?
Ernstpeter Maurer
Glauben heißt nicht wissen
Peter Müller
Glaube und Lernen: Was kann und soll der Religionsunterricht leisten?
Hartmut Rupp