Bibel – ein Lieblingsbuch?
Heinz Schmidt
Auf dem zweiten Platz landete die Bibel beim Wettbewerb des ZDF »Unsere Besten – das große Lesen«. Helmut Karasek kommentierte dieses Ereignis mit der Feststellung, man komme gar nicht ohne Bibelsprache aus. Für Alice Schwarzer ist die Bibel das Fundament der christlichen Kultur, in der wir alle stehen. Aber wird die Bibel tatsächlich gelesen und wenn ja von wem und mit welchen Folgen? Das erstplazierte Buch war Tolkiens »Herr der Ringe«, ein Fantasy-Thriller. Wird die Bibel in Zukunft in dieses Sujet gehören? Für die Filmindustrie gewiss: Nach seinem umstrittenen Jesus-Film »Die Passion Christi« plant Regisseur Mel Gibson schon die nächste Bibel-Verfilmung. Diesmal soll es um den Aufstand der Makkabäer gehen. Die Geschichte der jüdischen Rebellion gegen die Unterdrückung sei »wie ein Western« sagte Gibson amerikanischen Journalisten.
Aber es gibt auch andere erfolgsträchtige Inszenierungen. Der spanische Pantomime Carlos Martinez tourt seit 15 Jahren über die Bühnen der Welt mit biblischen Geschichten und Motiven, die er in seine universelle Zeichensprache übersetzt. In Deutschland erhielt er kürzlich einen Preis der Stiftung Bibel und Kultur. Damit ist das Programm genannt, das seit einiger Zeit auch Theologen animiert. Die Bibel sei weniger als Heilige Schrift oder Offenbarungsurkunde zu lesen, sondern als kulturabhängige Literatursammlung. Sie verweise auf die umgebenden Kulturwelten des AT und den Synkretismus im NT und sei eine abhängige Variable jeweiliger kultureller Kontexte. Die Bedeutung der Rezeptionsästhetik für die biblische Exegese wird betont. Das zeigt sich auch in den kulturellen Wechselwirkungen von Bibel und Literatur, Bibel und Comics und Bibel und Popmusik heute. Mithin stehen Bibel und Kultur in steter Interaktion und kann »Überlieferung niemals gleichbedeutend sein ... mit der Weitergabe von unveränderlichen Texten«. Wird damit die Rede von der Bibel als dem Wort Gottes zu einer fundamentalistischen Anmaßung?
Wie verhält sich das Kultur- und Unterhaltungsbuch zum Offenbarungsbuch als Heilige Schrift. Dieser Frage gehen die folgenden Beiträge in verschiedenen Aspekten nach. Gebündelt wird der Ertrag für den Unterricht in den Vorschlägen, die Mirjam und Ruben Zimmermann unter das Motto »›Hermeneutische Kompetenz‹ und Bibeldidaktik – Durch Unverständnis der Bibel das Verstehen lernen« gestellt haben. Zuvor gibt Hans Jochen Boecker im Kennwort einen Überblick über die Vielfalt des Bibel Lesens heute. Unter der Rubrik Theologische Klärung untersucht Helmut Schwier verschiedene Arten des Bibelgebrauchs auf ihre praktisch-theologische Relevanz. Werner H. Schmidt und Ernstpeter Maurer erörtern die Spannung von kultureller Abhängigkeit und Wahrheitsanspruch aus exegetisch-historischer wie aus systematisch-theologischer Sicht. Georg Lämmlin schlägt durch seine Auseinandersetzung mit dem rezeptionstheoretischen Lektüremodell Isers die Brücke zur Literaturtheorie. Das Gespräch zwischen Disziplinen wird durch ein Plädoyer des bildenden Künstlers Johannes Schreiter für eine biblisch fundierte, eigenständige Kunstpraxis fortgeführt. Zur Vertiefung und Weiterarbeit empfiehlt schließlich Ingrid Schoberth die Lektüre von Gerd Theißens höchst anregender Bibeldidaktik, die mit ihrem Titel »Zur Bibel motivieren« auch die Intention dieses Heftes zum Ausdruck bringt.
Inhaltsverzeichnis
ZU DIESEM HEFT
Bibel – ein Lieblingsbuch?
Heinz Schmidt
3
KENNWORT
Bibel lesen
Hans Jochen Boecker
5
THEOLOGISCHE KLÄRUNG
Verschiedene Arten des Bibelgebrauchs
Helmut Schwier
19
Theologische Exegese und Systematische Theologie
Werner H. Schmidt und Ernstpeter Maurer
32
GESPRÄCH ZWISCHEN DISZIPLINEN
Die Kunst des Bibellesens. Ein rezeptionstheoretisches Lektüremodell
Georg Lämmlin
49
Bildende Kunst und Evangelium
Johannes Schreiter
61
IMPULSE FÜR DIE PRAXIS
›Hermeneutische Kompetenz‹ und Bibeldidaktik. Durch Unverständnis das Verstehen lernen
Mirjam und Ruben Zimmermann
72
ZUR WEITERARBEIT
»Wider die Untreue vergesslicher Menschen«. Zu Gerd Theißen: Zur Bibel motivieren
Ingrid Schoberth
88
Mehr als nur informiert. Zum Calwer Bibellexikon
Börries Gendreissig
91