Zu diesem Heft
"Glaube und Lernen“ widmet sich in einem Heft seiner beiden Ausgaben pro Jahr einem "klassischen“ theologischen Thema — und darum handelt es sich bei der Kreuzestheologie zweifellos. Ganz in diesem Sinne markiert Ernstpeter Maurer gleich zu Beginn seines Kennwortartikels, dass die Formulierung "Jesus Christus ist ,für uns gestorben“‘ im Zentrum des christlichen Glaubensbekenntnisses steht. Allerdings erschließt sich ein Verständnis alles andere als leicht, wenn man diese Aussage jenseits ihres formelhaften Gebrauchs zu begreifen sucht und darüber hinaus weitere Begriffe wie "Opfer“, "Sünde“, "Sühne“ und "Stellvertretung" ins Spiel kommen. Neben der gründlichen Entfaltung der Kreuzestheologie zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Artikel, dass auf dem Hintergrund der kosmischen Dimension der Sünde wie der ultimativen Zuwendung Gottes eine Reduzierung der Kreuzestheologie auf persönliche Verfehlungen und moralische Forderungen unzureichend ist. Es folgen drei Beiträge zur theologischen Klärung aus neutestamentlicher, kirchengeschichtlicher und systematisch-theologischer Perspektive: Zunächst legt Peter Müller dar, dass "die Rede vom Kreuz und damit vom Tod Jesu den neutestamentlichen Texten angemessen, theologisch sachgerecht und unter den gegenwärtigen Verstehensbedingungen nachvollziehbar sein“ (26) muss. Dementsprechend setzt sein Argumentationsgang bei neutestamentlichen Texten an und führt über ihre Auslegungsgeschichte hin bis zu religionspädagogischen Perspektiven. Michael Basse setzt die Schwerpunkte seiner instruktiven Überlegungen auf den Entstehungskontext von Luthers Kreuzestheologie (theologia crucis), auf ihre Abgrenzung zur Theologie der Herrlichkeit (theologia gloriae) sowie auf die Rezeption von Luthers Kreuzestheologie im 20. jahrhundert. Svstematisch-theologisch reflektiert anschließend Hans J. Luibl die "Logik und Dynamik der Rede vom Opfer“ (43), wobei die religionsphilosophischen, religionsgeschichtlichen, soteriologischen sowie anthropologisch—ethischen Perspektiven seines zweiten Abschnittes "Opfer — vom Tod zum Leben“ (43ff) zum grundle- genden Problem des dritten und letzten Abschnittes führt: "Die Rede vom Opfer ist der Neuzeit fremd geworden, weil ihr das Opfer selbst fremd geworden ist.“ (54) Dabei sieht er die Lösung weniger darin, im Sinne bestimmter Ansätze feministischer Theologie eine für Schmerzen sensibilisierende Opferrede zu etablieren, sondern vielmehr darin, "dass diese Gaben zu genießen sind.“ (55)
Es folgen zwei Beiträge zum Gespräch zwischen den Disziplinen. Die am Dialog mit der Religionspsyehologie orientierten Überlegungen von Susanne Heine setzen bei der Theologie an und münden nach der kundigen Aus- einandersetzung mit religionspsychologischen Konzepten wiederum in der Theologie mit dem markanten Resümee: "Die Liebe Gottes ist nicht dadurch unbedingt, dass Gott durch das Gesetz nichts fordern würde; sie ist dadurch unbedingt, dass sie einem Lebewesen, zu dessen seelischer Verfas- sung die Schuld gehört, diese Schuld nicht anrechnet.
Auch wenn man nicht alles in den psychologischen Konzepten unterschreiben kann, vermag die Religionspsychologie der Theologie dazu verhelfen, sich selbst besser zu verstehen. Denn die Psychologie ist weder eine Magd der Theologie noch ihr Meister, sondern ihr kritisches Gegenüber auf gleicher Augenhöhe.“ (86) Im Anschluss daran legt Mirjam Zimmermann differenziert den grundlegenden religionspädagogischen Wandel dar, der sich in den letzten zehn jahren hinsichtlich der Kreuzestheologie vollzogen hat. Im Unterschied zu früheren Zeiten erfreut sich diese einer erstaunlichen Aufmerksamkeit, was nicht zuletzt der zunehmenden Etablierung einer Kinder- bzw. jugendtheologie zu verdanken ist. Entsprechend einer gängigen Unterscheidung entwickelt Zimmermann ihre Gedanken anhand einer Kreuzestheologie von, für und mit Kindern und Jugendlichen. Die Gedanken von Mirjam Zimmermann leiten unmittelbar über zu den Impulsen für die Praxis, in denen Christian Butt und Petra Freudenberger- Lötz unter dem Haupttitel "Kreuzestheologie als I—Ioffnungstheologie?" eine Unterrichtsstunde zu Deutungsmustern von jugendlichen reflektieren. Die vorgestellte Unterrichtsplanung kann dabei auf bereits bestehende Unterrichtserfahrungen anknüpfen. Die Auswertung der Unterrichtsstunde mündet schließlich in dem Fazit, dass man von einer Relevanz des Kreuzes für Schülerinnen und Schüler ausgehen kann und sich daher die Religionspädagogik kontinuierlich mit dieser Thematik auseinandersetzen sollte — wozu dieses Themenheft als Ganzes einen kleinen Beitrag leisten möchte. Den Abschluss dieses Themenheftes bildet die Rezension von Ernstpeter Maurer zu der 2010 von Volker Hampel und Rudolf Weth herausgegebenen Publikation "Für uns gestorben. Sühne — Opfer — Stellvertretung“.
Last but not least gilt der Dank Mario Lick für die redaktionelle Erstellung des Manuskripts sowie der Studienassistentin Claire Ulbrich fur das Korrektur lesen.
Martin Rothgangel
Inhaltsverzeichnis
Kreuzestheologie
(Ernstpeter Maurer)
Kreuz – neutestamentliche Perspektiven
(Peter Müller)
Luthers Kreuzestheologie und ihre Rezeption in der Evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts
(Michael Basse)
Opfer, verschenktes Leben
(Hans J. Luibl)
Wunschfantasien und symbolische Ordnung
(Susanne Heine)
Brauchen Kinder und Jugendliche Kreuzestheologie?
(Mirjam Zimmermann)
Kreuzestheologie als Hoffnungstheologie
(Christian Butt/Petra Freudenberger-Lötz)