Inhaltsverzeichnis
Editorial 3
Ulrich Kropac / Georg Langenhorst
Religionspädagogik POINTIERT
Religionsunterricht reicht nicht
Eine Reaktion auf die gewandelte Architektur des Religiösen 5
Rudolf Englert
Religionspädagogik KONTROVERS
Islamischer Religionsunterricht im ‚Süden‘
Bayern und Baden-Württemberg – zwischen Modellversuch und Ungewissheit 15
Elisabeth Naurath
Islamischer Religionsunterricht im ‚Norden‘ und ‚Westen‘
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – ein Zwischenstand 24
Jörg Ballnus
Religionspädagogik AKTUELL
Plädoyer für einen positionell-religionspluralen Religionsunterricht im Klassenverband
Auf der Suche nach neuen Passungsverhältnissen für den Religionsunterricht 33
Mirjam Schambeck sf
Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht in NRW
‚Kokolores‘ oder ‚Modell der Zukunft‘? 45
Paul Platzbecker
Wirklichkeiten simulieren oder selbst erleben?
Habitusbildung und Professionalisierung in Pädagogik und Religionspädagogik durch
Professionelle Simulation (ProfiS) 57
Manfred Riegger
Korrelativ – kritisch – kreativ
Konturen einer religiösen Sprachbildung im Religionsunterricht 70
Eva Willebrand
Erst lesen, dann diskutieren
Interaktive Interpretationen eines biblischen Textes in offenen Unterrichtsgesprächen 82
Rebecca G. Deurer
Wertebildung im Resonanzraum christlich gelebter Moral 90
Michael Winklmann
Dystopien und ihr religionspädagogisches Potenzial
Zur Förderung des Möglichkeitssinns 100
Ulrich B. Kumher
Religiöse Bildung jenseits der Konfessionalität?
Historische, institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen in den Niederlanden 111
Stefan Gärtner
International Knowledge Transfer in Religious Education
A Manifesto for Discussion 123
Peter Schreiner / Friedrich Schweitzer
REZENSIONEN 127
Rezensionstext
Ulrich Kropaĉ / Georg Langenhorst
Das vorliegende Heft, thematisch ungebunden, tritt – wieder einmal – den Beweis an, dass es sich bei der Religionspädagogik um ein vielgestaltiges Arbeitsfeld handelt, inhaltlich wie methodisch, das seine Stärke daraus herleitet, dass es sich auf die christliche Tradition ebenso sehr bezieht wie auf humanwissenschaftliche Disziplinen. Auf diesem Weg ergeben sich mannigfache Fragestellungen, Denkbewegungen und Lösungsansätze.
Für die Eingangsrubrik „Religionspädagogik pointiert“ hat die Schriftleitung Rudolf Englert eine ‚carte blanche‘ in die Hand gegeben. Hintergrund ist das Ende der aktiven Zeit Englerts an der Universität Duisburg-Essen. Wie kaum ein anderer hat Englert die katholische Religionspädagogik in den letzten Jahrzehnten scharfsinnig beobachtet, analysiert und stimuliert. Die ihm eingeräumte Möglichkeit, ein Thema frei zu wählen, hat Englert so genutzt, dass er auf ein wenig bespieltes Feld der Religionspädagogik aufmerksam macht. Er hält ein Plädoyer für eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Religionsunterricht und Katechese und fordert eine Theorie außerschulischer Formen religiösen Lernens.
Die Rubrik „Religionspädagogik kontrovers“ bestreiten Elisabeth Naurath und Jörg Ballnus. Tatsächlich erweisen sich die Beiträge in der Kategorie dieses Mal nicht als kontrovers, in ihnen spiegeln sich lediglich unterschiedliche Perspektiven. Sie sind im konkreten Fall geographischer Natur: Mit welchen Schwierigkeiten kämpft der Islamische Religionsunterricht einerseits im Norden und Westen, andererseits
im Süden der Republik? Die Thesen, die die Autorin bzw. der Autor dazu jeweils vorlegen (und dann ausarbeiten), geben prägnant Auskunft über die aktuelle Situation dieses noch ungefestigten Unterrichtsmodells.
Am Anfang der unter der Rubrik „Religionspädagogik aktuell“ versammelten ‚freien‘ Beiträge schaltet sich Mirjam Schambeck in die derzeit laufende und in der Zukunft weiterzuführende Diskussion um geeignete Modelle für religiöse Bildung in der Schule ein. Schambeck schlägt einen positionell-religionspluralen Religionsunterricht vor, der im Klassenverband erteilt wird, für den aber eine Abmeldemöglichkeit besteht.
Prinzipien, Potenziale und Herausforderungen dieses Modells werden von Schambeck sorgfältig
erörtert. Diesem Beitrag folgt die redigierte Fassung der Antrittsvorlesung von Paul Platzbecker an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum im vergangenen Jahr. Platzbecker reflektiert den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in NRW, der zu Beginn des Schuljahres 2018/19 eingeführt
worden ist. Dieses Modell ist deutlich anspruchsvoller als der herkömmliche konfessionelle Religionsunterricht. Platzbecker streicht heraus, dass alle drei Phasen der Lehrerbildung sich der Aufgabe zu stellen haben, die Ausbildung kooperationsbefähigend zu profilieren.
Der Begriff ‚Simulation‘ wird häufig negativ konnotiert, der Terminus besitzt aber auch eine neutrale Aura – im Sinne von Test. Ausgehend von dieser Wortbedeutung fragt Manfred Riegger nach dem Beitrag Professioneller Simulation für die Ausbildung eines religionspädagogischen Habitus.
Es folgen drei Beiträge, die Ergebnisse aus aktuellen religionspädagogischen Dissertationen bündeln und weiterentwickeln. Eva Willebrand plädiert für eine systematische Schulung der religiösen Sprachkompetenz von Schülerinnen und Schülern. Ihr Ansatzpunkt ist der Hiatus zwischen christlich-religiöser Sprachwelt auf der einen und jugendlicher Sprachwelt auf der anderen Seite. Wie kommt es zu Verstehen und Verständigung zwischen beiden? Rebecca Deurer bricht die herkömmliche Perspektive auf Wechselprozesse zwischen der Schülerin / dem Schüler als individueller Leserin bzw. individuellem Leser und dem biblischen Text auf und ergänzt sie um kollektive Auseinandersetzungen in der face-to-face-Kommunikation zwischen den Lernenden. Deurer untersucht mithin, ob offene Unterrichtsgespräche biblische Lernprozesse auslösen. Michael Winklmann geht in seinem Beitrag auf Distanz zu der in der Praxis häufig anzutreffenden Vorstellung, dass der Religionsunterricht Werte zu vermitteln habe, und tritt stattdessen dafür ein, dem Religionsunterricht die Aufgabe der Wertebildung zuzuschreiben. Die Rückbindung an die christliche Moral differenziert Winklmann in doppelter Weise aus: Zum einen geht es um die christlich gelebte Moral – und nicht um theoretische Regelkataloge. Zum anderen operiert Winklmann mit dem Begriff ‚Resonanzraum‘, womit er zu verstehen gibt, dass im Religionsunterricht unterschiedliche ‚Wellenlängen‘ zusammenkommen, die sich beileibe nicht immer nur harmonisch überlagern.
Zwei weitere Beiträge weiten den Horizont. Mit Utopien sind wünschenswerte Hoffnungsbilder verknüpft, mit Dystopien Schreckensvorstellungen und Bilder einer inhumanen Existenz. Ulrich Kumher spürt Dystopien in Romanen und Filmen auf und fragt nach deren religionspädagogischem Potenzial. Stefan Gärtner lädt die Leser/-innen der Religionspädagogischen Beiträge ein, einen Blick über den Zaun zu werfen. In den Niederlanden beobachtet er einerseits Prozesse der Rekonfessionalisierung, vor allem in der universitären Theologie und in der Klerikerausbildung, andererseits ein Scheitern solcher Versuche an katholischen Schulen, deren Profil eher weiter verwischt wird. Möglicherweise lassen sich aus diesen Beobachtungen Impulse für die Diskussion um konfessionelle Bindung von Bildung in Deutschland gewinnen.
Der Schlussteil der Religionspädagogischen Beiträge enthält Bekanntes und Überraschendes:
- Bekannt ist der Rezensionsteil, der die Aufmerksamkeit der Leser/-innen auf verschiedene religionspädagogische Neuerscheinungen lenken möchte. Angesichts der Aufnahme überdurchschnittlich vieler Aufsätze bleibt dieses Mal dafür etwas weniger Raum als üblich. Das Herbstheft wird diesen Befund kompensieren.
- Überraschend ist der Schriftleitung ein von Friedrich Schweitzer und Peter Schreiner maßgeblich verantwortetes „Manifesto for Discussion“ zugegangen. Es ist aus einer europäischen Tagung im November 2018 zu Fragen des internationalen Wissenstransfers hervorgegangen. In dem Manifest sind wesentliche Herausforderungen und Perspektiven zu der Frage zusammengestellt, welche Bedingungen gegeben sein müssten, um einen Wissenstransfer empirisch fundierter Erkenntnisse im Bereich der Religionspädagogik zu ermöglichen. Der Bitte, diesen Text abzudrucken, sind wir gern gefolgt. Der nächste Schritt obliegt den Leserinnen und Lesern der Religionspädagogischen Beiträge: diese Einladung zu einem breiten Diskurs anzunehmen.