Ulrich Kropac / Georg Langenhorst in Verbindung mit Henrik Simojoki, David Käbisch, Ralf Koerrenz, Martina Kumlehn, Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer
Das Jahr 2017 steht kirchlich betrachtet im Bannstrahl des Reformationsjubiläums: Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg. 500 Jahre später wird dieses Symboldatum weltweit gefeiert. Jedoch zeigen die Jubiläen der Vergangenheit, dass mit einem solchen Feiern immer auch eine Gefahr verbunden ist: nämlich die einer unsachgemäßen Profilierung auf Kosten anderer. So wurde Martin Luther im Kriegsjahr 1917 in Klassenzimmern und Kirchen zum deutschen Helden stilisiert, während in den Jubiläen davor oft eine antikatholische Stoßrichtung überwog. Gut, dass im Zuge der Lutherdekade die Einsicht gereift ist: Diesmal soll anders, nämlich ökumenischer und dialogischer gefeiert werden.
Daher ist es nur folgerichtig, dass die Religionspädagogischen Beiträge und die Zeitschrift für Pädagogik und Theologie ihr erstes gemeinsam verantwortetes und dialogisch verschränktes Heft gerade dem Thema „Reformation“ widmen. Der tiefere Grund dafür liegt freilich nicht im Anlass, sondern in der Sache begründet. Bereits 1973 hat Fulbert Steffensky – geboren 1933, katholisch getauft, zum lutherischen Bekenntnis konvertiert, Studium der katholischen und evangelischen Theologie – in seiner Dissertation über „Autoritäre Religion und menschliche Befreiung im Religionsbuch“ einen Gedanken geäußert, der heute noch zu denken gibt: Im Vorwort zu dieser Schrift kommt er zu dem Urteil, dass es der evangelischen Religionspädagogik letztlich nicht gelungen sei, die Freiheitspotenziale ihres reformatorischen Ursprungs voll auszuschöpfen – und begründet das interessanterweise mit dem „Ausschluss katholischer Denktraditionen im Protestantismus“ 1. Dieser Gedanke lässt sich auch positiv wenden und unmittelbar auf das Reformationsjubiläum beziehen: Was Reformation für religiöse Bildung heute bedeutet, ist eine Frage, die evangelische und katholische Religionspädagogik heute miteinander verbindet und – durchaus auch kritisch – aufeinander verweist. Sie ist nur im ökumenischen Dialog angemessen zu beantworten.
Das vorliegende Heft trägt dieser Einsicht dadurch Rechnung, dass es thematisch wie diskursiv eng mit dem Heft 4/2016 der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie verschränkt ist. Diese Verschränkung zeigt sich in verschiedenen Hinsichten:
- Es wurden vier Themen identifiziert, die gleichermaßen im Aufmerksamkeitsfokus der evangelischen und der katholischen Religionspädagogik liegen.
- Jedes Thema wird dialogisch erschlossen, indem eine Vertreterin / ein Vertreter der einen Konfession mit einem (längeren) ‚Aufschlag‘ beginnt und die Partnerin / der Partner der anderen Konfession mit einem (kürzeren) ‚Return‘ antwortet. Dabei wechselt der ‚Aufschlag‘ von Thema zu Thema.
- Der ökumenische Dialog erstreckt sich über beide Hefte, und zwar so, dass keines ohne das andere vollständig ist. Wer nur die ‚eigene‘ Zeitschrift liest, dem entgeht die Hälfte des Dialogs. Dies ist kein Mangel in der Koordination der Themen, sondern eine bewusste Einladung, auch einen Blick in die jeweilige konfessionelle ‚Nachbarzeitschrift‘ zu werfen. Das mag ein Weg sein, dem Ausschluss der jeweils anderen Denktradition – um Steffenskys Gedanken nochmals aufzugreifen – entgegenzuwirken. Oder anders gesagt: Die wechselseitige Lektüre ist eine Form, Ökumene ganz konkret werden zu lassen.
In beiden Zeitschriften werden je zwei Grundthemen religiöser Bildung im Horizont des Reformationsjubiläums in evangelisch-katholischen Tandems dialogisch erschlossen.
‚Bildung – ein ökumenischer Leitbegriff der Religionspädagogik? Evangelische und katholische Perspektiven‘, so lautet – wohl nicht unerwartet – das erste der vier gemeinsamen Themen, das im vorliegenden Heft verhandelt werden wird. Den (evangelischen) ‚Aufschlag‘ übernimmt Bernhard Dressler, den (katholischen) ‚Return‘ Harald Schwillus.
Schon seit Längerem beschäftigt die evangelische und die katholische Religionspädagogik die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Präsentation und möglicherweise des Vollzugs von Religion im Religionsunterricht. Dieses Problemfeld, in dem konfessionelle Differenzen im Allgemeinen deutlich hervortreten, greift das zweite hier präsentierte Thema auf: ‚Beobachtung oder Vollzug, Kompensation oder Transformation? Konfessionskirchliche Praxis als Problemfeld religiöser Bildung‘. Den ‚Spielregeln‘ folgend legt nun die katholische Seite – Claudia Gärtner – vor, und die evangelische – Harald Schroeter-Wittke – retourniert.
Der dritte Dialog, der das Heft 4/2016 der „Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“ eröffnet, gilt der Heiligen Schrift. Lange Zeit kam das sogenannte reformatorische Schriftprinzip in der evangelischen und katholischen Religionspädagogik vor allem als Differenzmarker in Betracht. Dass dies keineswegs so sein muss, zeigt Christian Cebulj, der in seinem Beitrag einem „Lernprozess Reformation“ in der katholischen Schrifthermeneutik Konturen verleiht – und Martina Kumlehn dazu veranlasst, in ihrer Response das hermeneutische und ökumenische Lernpotenzial von Luthers Schriftverständnis auszuloten.
Das Reformationsjubiläum kann, sollte aber kein Selbstläufer sein. Daher stand die Reformationsdekade von Anfang an und jüngst sogar noch verstärkt im Zeichen der Frage, warum eigentlich und wie überhaupt Reformationsgeschichte als Erinnerung inszeniert werden soll. Während Thomas Klie den Blick auf die in der protestantischen Gedächtnistradition oft vernachlässigte religionskulturelle Wirkungsgeschichte der Reformation lenkt, entwirft Konstantin Lindner aus katholischer Sicht Perspektiven einer „entgrenzten Erinnerungskultur“.
Wir hoffen, dass der damit abgerundete Vorstoß zu einer ökumenisch-dialogischen Vergegenwärtigung reformatorischer Impulse zu einer solchen Entgrenzung beiträgt. Freilich gibt die Tatsache, dass es sich um eine erste Kooperation dieser Art handelt, durchaus auch Anlass zu Selbstkritik. Wenngleich sich die Kommunikation zwischen evangelischer und katholischer Religionspädagogik in den letzten Jahrzehnten merklich intensiviert hat, ist die wechselseitige Durchdringung der Diskurse noch nicht so weit gediehen, wie sie angesichts des gemeinsamen Verantwortungshorizontes sein könnte und wohl auch sein sollte. Folglich sollte das Reformationsjubiläum auch in dieser Hinsicht als ein Impuls nach vorne verstanden werden – was darauf hoffen lässt, dass bei der nächsten Initiative dieser Art die Hefte nicht nur gemeinsam verantwortet, sondern auch zeitgleich erscheinen können.
Das vorliegende Heft der Religionspädagogischen Beiträge widmet sich neben diesem besonderen Schwerpunkt in der Rubrik „Religionspädagogik spezial“ auch weiteren Aspekten. In der Abteilung „Religionspädagogik pointiert“ beleuchten Reinhold Boschki und Matthias Gronover den vielfach marginalisierten Religionsunterricht an den Berufsschulen, einen zu Unrecht übersehenen Praxisort, der eigene didaktische Kontexte und Konzeptionen einspielt.
Am siebten bis achten März 2016 widmete sich die Jahrestagung der Katholischen Religionspädagoginnen und -pädagogen an Bayerischen Universitäten (KRBU) in Passau der Frage nach der „Rationalität des Glaubens“. Die beiden Schriftleiter der RpB hielten die Hauptreferate. Sie werden hier in der Rubrik „Religionspädagogik kontrovers“ gegenübergestellt, weil sie unterschiedliche Schlaglichter auf das Themenfeld werfen.
Die Abteilung „Religionspädagogik aktuell“ bietet wie immer die Möglichkeit zum Einblick in gegenwärtig produktive religionspädagogische Werkstätten. Sabine Pemsel-Maier differenziert in diesem Sinne Perspektiven zwischen dem konfessionell-kooperativen und dem interreligiösen Lernen. Martina Dremel schlägt unterscheidende Schneisen in das unübersichtliche Feld des performativen Religionsunterrichts.
Gleich drei jeweils im Team verfasste Beiträge beleuchten den Bereich der universitären Religionslehrer/-innenausbildung. Oliver Reis und Theresa Schwarzkopf stellen die vorliegenden Diagnosemodelle für den Religionsunterricht vor und unterziehen sie einer kritischen Wertung. Jan Woppowa und Carina Caruso reflektieren Erfahrungen mit dem in Nordrhein-Westfalen eingerichteten Praxissemester als Ort religionspädagogischer Professionalisierung. Andreas Benk und Axel Wiemer stellen abschließend das Schwäbisch Gmünder Modell des theologischen Lehramtsstudiums als Beispiel konfessioneller Kooperation schon in der universitären Ausbildung vor.
Rezensionen über aktuelle religionspädagogische Publikationen beschließen das Heft als Anregungen zum fachbezogenen Diskurs.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Editorial 3
Ulrich Kropac / Georg Langenhorst
Religionspädagogik POINTIERT
Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen 7
Reinhold Boschki / Matthias Gronover
Religionspädagogik KONTROVERS
Vernünftigkeit des Glaubens oder religiöse Rationalität?
Zur bildungstheoretischen Transformation einer fundamentaltheologischen Grundaufgabe 17
Ulrich Kropac
‚Poetische Rationalität‘ des Glaubens?
Religionspädagogik angesichts der „Unzulänglichkeit, über Gott reden zu können“ ........ 28
Georg Langenhorst
Religionspädagogik SPEZIAL
Bildung – ein ökumenischer Leitbegriff der Religionspädagogik?
Eine evangelische Perspektive 37
Bernhard Dressler
Bildung – ein ökumenischer Leitbegriff der Religionspädagogik?
Katholische Perspektiven 45
Harald Schwillus
Performanz oder Reflexion, Selbstinszenierung oder Differenzerfahrung?
Aktuelle Herausforderungen performativen Lernens 50
Claudia Gärtner
„... wenn der Lehrer alle Abweichungen der Schüler wahrnimmt“ (Schleiermacher)
Ein protestantischer Versuch, den Ball auf dem Weg zum perturbierenden Religionsunterricht im Spiel zu halten 58
Harald Schroeter-Wittke
Religionspädagogik AKTUELL
Differente Unterschiede
Zum Unterschied zwischen konfessionell-kooperativem und interreligiösem Lernen 63
Sabine Pemsel-Maier
Performativ orientierter Religionsunterricht
Orientierungsmarken in unwegsamem Gelände 73
Martina Dremel
Diagnosemodelle für den Religionsunterricht
Eine Bestandsaufnahme 85
Oliver Reis / Theresa Schwarzkopf
Das Praxissemester als Ort religionspädagogischer Professionalisierung
Einblicke in eine prozessgestaltende Untersuchung 96
Jan Woppowa / Carina Caruso
Thematisch strukturiertes Studium in konfessioneller Kooperation
Das Schwäbisch Gmünder Modell des theologischen Lehramtsstudiums 108
Andreas Benk / Axel Wiemer
REZENSIONEN 115