Bioethik im Religionsunterricht
Zu diesem Heft/Von Martin Rothgangel
»Glanz und Elend des Menschen liegen in seiner Fähigkeit, seine Umwelt gestalten zu können, dies aber auch zu müssen« (R. Anselm). Mit den atemberaubenden Entwicklungen der Biotechnik und den damit neu gewonnenen Gestaltungsspielräumen eröffnet sich zugleich die Notwendigkeit ihrer ethischen Verantwortung. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan. Auch einprägsame Formeln wie: »Der Mensch darf nicht alles, was er kann«,' helfen an dieser Stelle kaum weiter. Bei der Beurteilung biotechnischer Entwicklungen ist im je konkreten Einzelfall zu prüfen - sei es hinsichtlich der Nutzung der pränatalen Diagnostik (PND), sei es bezogen auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) usw. -, ob es sich wirklich um einen Fortschritt oder um einen Schritt in die falsche Richtung handelt.
Neben der Kenntnis des jeweiligen biotechnischen Sachverhalts sind für seine Beurteilung ethische Kriterien erforderlich, welche die Naturwissenschaften nicht aus sich selbst heraus setzen können. Unversehens befindet man sich damit aber auf einem weiteren, nicht weniger komplexen Gebiet: Wie gelange ich zu einem begründeten ethischen Urteil? Wie gewinne ich Kriterien, um die jeweilige biotechno-logische Entwicklung angemessen beurteilen zu können? Unschwer wird daran die Komplexität der bio ethischen Herausforderungen deutlich, die zum Teil eine sehr hitzige öffentliche Diskussion in den westlichen Gesellschaften nach sich zieht.
Vom Religionsunterricht war bisher noch gar nicht die Rede. Vielleicht ist dies symptomatisch: Die fachwissenschaftliche Komplexität der bioethi-schen Herausforderung kann so viel »Vorbereitungs-Energie« absorbieren, dass oftmals nur noch Raum für methodische Fragen der »Umsetzung« bleibt. Genuin religions-didaktische (!) Fragen nach der Exemplarität, Rele-
vanz und Zugänglichkeit dieser Thematik für Schülerinnen und Schüler können leicht aus dem Blickfeld geraten.
Damit werden Grundgedanken der vorliegenden Heftkonzeption deutlich. Unter exemplarischer Zuspitzung der bioethischen Herausforderung auf entsprechende Fragen zum Beginn mensch-
lichen Lebens werden mit den Beiträgen von Nikolaus Knoepffler (»Die These vom gestuften Lebensschutz menschlicher Embryonen«) und Bruno Schmid (»Menschenwürde von Anfang an - eine Antithese«) zwei kontroverse, aber je für sich abgewogene ethische Stellungnahmen zum Beginn menschlichen Lebens dargelegt. Bemerkenswert ist aber auch, dass ungeachtet jener beiden profunden Eingangsartikel der kleine Beitrag von Yves Nordmann aus der Perspektive jüdischer Bioethik eine weitere Bereicherung dieses Heftes darstellt. Islamische Theologen vertreten übrigens mit anderer Begründung die gleiche Position: Menschliches Leben beginnt erst am 40. Tag.
Wie bereits angedeutet liegt ein Schwerpunkt dieses Heftes auf der didaktischen Reflexion dieser Thematik. Mit Leitfragen der didaktischen Analyse nach W. Klafki reflektiert Bruno Schmid eine konkrete Unterrichtssequenz zum bioethischen Lernen im Religionsunterricht. Lothar Kuld liefert unter Bezugnahme auf entwicklungspsychologische Theorien zur Weltbildentwicklung einen weiteren wichtigen Baustein, insofern er die entsprechenden Alltagstheorien der Schülerinnen in den Blick nimmt. Schließlich eröffnet auch Astrid Din-ters Beitrag »Religionsunterricht im genetischen Zeitalter« u.a. durch ihren Rekurs auf die Shell-Jugendstudie 2002 wertvolle religionsdidaktische Perspektiven.
Last but not least gilt die Aufmerksamkeit dieses ru-Heftes der konkreten Unterrichtsgestaltung: Es finden sich Hinweise zum religionsunterrichtlichen Umgang mit Karikaturen, kommentierte Unterrichtsbausteine, Filmanalysen, eine PINN-Wand mit didaktisch-methodischen Ideen und schließlich ein Literaturbericht zum Thema.
Inhaltsverzeichnis
Bioethik im Religionsunterricht
Zu diesem Heft ................................................... Seite 81
Gestufter Lebensschutz?
Die Kontroverse um die Forschung mit menschlichen Embryonen
Nicolaus Knoepffler ................................................ Seite 82
Menschenwürde von Anfang an
Eine Antithese zum gestuften Lebensschutz
Bruno Schmid .................................................... Seite 86
Der Beginn menschlichen Lebens
Aus Sicht der jüdischen Bioethik
Yves Nordmann ................................................... Seite 92
»Juttas Krankheit geht mich an!«
Bioethisches Lernen im Religionsunterricht
Bruno Schmidt.................................................... Seite 94
Nicht Gott, die Natur!
Schöpfungsverständnis und Bioethik im Religionsunterricht
Lothar Kuld....................................................... Seite 98
RU im genetischen Zeitalter
Emotionale und kognitive Zugänge zur Ausbildung
verantwortlichen Handelns
Astrid Dinter..................................................... Seite 101
Didaktische Pinnwand
Norbert Weidinger................................................ Seite 102
Präimplantationsdiagnostik
Ein Unterrichtsprojekt für die 9. Jahrgangsstufe
Realschule/Gymnasium
Bianca Schempp.................................................. Seite 106
Annehmen oder aussortieren?
Ein Praxisbericht aus einer 10. Jahrgangsstufe Realschule
Josef Bürger...................................................... Seite 109
Reiz-volle Impulse
Mit Karikaturen ethisch handeln lernen
Norbert Weidinger................................................ Seite 112
Filme zur »Gentechnik«
Franz Haider..................................................... Seite 114
RU und Gentechnik
Ein Literaturbericht
Astrid Dinter..................................................... Seite 116