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ru 1/1999 - Geheimnisvolle Kräfte

ru 1/1999
Ökumenische Zeitschrift für den Religionsunterricht

Geheimnisvolle Kräfte



 
Kösel - Verlagswebsite besuchen
ISSN 0341-0005

1999
36 Seiten, geheftet, 21 x 28 cm
 

Dieser Titel ist komplett vergriffen und endgültig nicht mehr lieferbar.
Eine Neuauflage ist nicht vorgesehen.
Zu diesem Heft

Von Lothar Kuld



Eine Okkultwelle unter Jugendlichen gibt es nicht. Spektakuläre Berichte in den Medien produzieren ein Bild, das der Wirklichkeit nicht entspricht.1 Insofern ist das Thema Okkultismus nicht dramatisch. Gleichwohl aber sind viele Jugendliche vom Okkulten und was man sich davon erzählt, fasziniert. Diese Faszination für das Okkulte beschäftigt die Religionspädagogik. Nicht die Kinder, die magisch-animistischen Vorstellungen verhaftet sind und ohne Zögern an magische Kräfte zu glauben bereit sind, und nicht die traditionell- kirchlich sozialisierten Jugendlichen, die das Gebet für die Verstorbenen und den Kontakt mit den Toten über den Tod hinaus kennen und von Exorzismen dem Vernehmen nach gehört haben dürften -, nicht diese aufgrund ihrer religiösen Herkunft möglicherweise leichter für Okkultes empfänglichen Jugendlichen, sondern die Mehrzahl auch jener Jugendlichen, die das Denken des Kindes hinter sich gelassen haben und von Exorzismen und Kontakt mit Verstorbenen allenfalls aus Horrorfilmen wissen, sind vom Befragen des Schicksals durch Pendeln, Gläserrücken und Tarotkarten, von parapsychologischen Phänomenen und von Kontakten mit dem >Jenseits< fasziniert. Diese Faszination begegnet Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht zuerst. Von ihr gehen die Autoren dieses Heftes in ihren Erfahrungsberichten und Analysen aus.

Okkultismus, seine Praxis und seine Theorie, war traditionell mit Religion verbunden. Seine Wiederkehr in Zeiten der Privatisierung von Religion und ihrem Verschwinden in den bekannten gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen, in der Segmentierung der Lebenswelten, der Enttraditionalisierung von Religion und der Entkirchlichung einer ganzen Generation - diese Wiederkehr könnte als Wiederkehr von Religiösem mißverstanden werden, als Wiederkehr auch von Sinnssuche in einer Welt ohne Geheimnis. Aber wir denken, dass dies beim Okkultismusphänomen nicht der Fall ist. Der Okkultismus ist auch keine Art Jugendsekte, wie das aus den siebziger Jahren bekannt ist. Er hat mit religiösen Vorstellungen zu tun, aber er hat noch mehr mit der Psychologie des Jugendalters zu schaffen, obwohl natürlich das Phänomen selbst nicht auf das Jugendalter beschränkt ist. Auch Erwachsene pendeln und legen Tarotkarten. Okkultismus ist also nicht nur eine Sache des Jugendalters. Schon deshalb nimmt sich die Rede von der Gefährdung der Jugend durch Abgleiten in okkultue Praktiken merkwürdig aus. Die Erfahrung lehrt, dass die jugendliche Faszination von geheimnisvollen, okkulten Kräften eine Übergangserscheinung ist. Die meisten Jugendlichen wenden sich später von solchen Erlebnisformen ab und finden ihren »thrill«2 dann anderswo. Genau um solche Klärungs-, Aufklärungs- und >Entzauberungsprozesse< (Heinz Streib) könnte es im Unterricht gehen.

Die Stimmen mehren sich, die dazu raten, Okkultismus nicht nur unter religiöser und theologischer Perspektive zu betrachten, sondern auch die stark psychische Komponente in Okkultpraktiken und Okkultphänomenen ernstzunehmen, um betroffenen Jugendlichen helfen zu können.3 Dieser Hinweis signalisiert eine Grenze des Unterrichts. >Langzeitkarrieren< in Okkultpraktiken sind unter Jugendlichen selten; aber es gibt sie. Und der Grund ist allemal in lebensgeschichtlichen Konflikten zu suchen. Okkultpraktiken können dann Weisen sein, Stabilität in Ängsten, Unsicherheiten und inneren Konfliktlagen herzustellen, Weisen, die umgekehrt aber auch eben jene Ängste hervorbrechen lassen können, die zu beseitigen die angewandten Praktiken vorgaben oder versprachen. Diese Fälle bedürfen professionell therapeutischer Hilfe, wenn die Jugendlichen danach fragen.

Für den Religionsunterricht interessant ist die Thematik neben all den verschiedenen inhaltlichen Verknüpfungen vor allem deshalb, weil in der jugendlichen Okkultfaszination mit ein Hinweis darauf steckt, wie Jugendliche Religion und sich selbst erleben. Gott und Religion sind nach dem Ende des Kinderglaubens für Jugendliche etwas >Psychisches<, ein Gefühl, ein Gedanke, eine Kraft. Dieser Umbau der religiösen Vorstellungen im Jugendalter hat mit der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten zu tun, dem Übergang vom konkreten zum abstrakten Denken. Und er korrespondiert dem Umbau der Perspektive, die ein Mensch im Jugendalter entwickelt. Während ein Kind getrost von sich und seinen Bedürfnissen ausgeht und Gott, Welt und Menschen in dieser eindimensionalen Perspektive sieht, integriert der Jugendliche die Perspektive der andern in sein Selbstbild. Er sagt sich: >Wer ich bin, das spiegeln mir die andern. Ich sehe mich so, wie ich denke, dass die andern mich sehen.< Ein Mensch mit dieser Perspektive auf sich und andere hat nicht Beziehungen, er ist Beziehungen. Für die Gottesbeziehung hat dies zur Folge, dass auch diese Beziehung eine der zwischenmenschlichen Realität vergleichbare unsichtbar wirkliche Größe ist. Man kann sie im Grunde nur fühlen. So antwortet eine fünfzehnjährige Schülerin auf die Frage nach ihrem Glauben so: »Sie wissen, man sagt, dass Gott in vielen geheimnisvollen Weisen spricht? Ja, in gewisser Weise hat er oft zu mir gesprochen ... ich denke wirklich, dass er mich dahin geführt hat, wo ich heute bin. Weil ich oft einfach gedacht habe, die Welt ist so, verstehen Sie, ich habe einfach gar nichts gefühlt. Aber dann eines Morgens habe ich einfach so ein Gefühl, ich denke, da ist Jemand, verstehen Sie?«4
Eine Sechzehnjährige sagt: »Gott [ist] für mich [ ... ] ein Gefühl. Gott ist für mich in der Liebe, die ich anderen Menschen gegenüber empfinde und auch in der Liebe, die mir entgegengebracht wird. Das ist mir erst in letzter Zeit klar geworden. Ich habe gelernt, Liebe, wirkliche und starke Liebe zu empfinden. Ich habe gemerkt, dass alles, was man so für Verliebtsein hält, in Wirklichkeit etwas ganz anderes, ein viel ärmeres Gefühl ist. Zu lernen, wirkliche Liebe zu empfinden, war und ist für mich sehr wichtig geworden. Liebe, die auch einer noch so großen Distanz ... standhält. In der Liebe ist für mich Gott.«5

Die Vagheit der Äußerungen beider Schülerinnen macht verlegen. Was soll man damit in einem Unterrichtsgespräch anfangen? Gott ist ein Gefühl, man fühlt ihn irgendwie, er ist in der Liebe. Er ist wie ein Freund, der einen kennt und liebt. Der Inhalt des Glaubens ist das, was man fühlt. Er ist der Zwischenraum zwischen mir und dem anderen. Vielleicht ist diese Konstruktion der Gottesbeziehung als Gefühlserlebnis und innere Verbundenheit mit einem solidarischen anderen spezifisch weiblich. Unsere Beispiele stammen von Mädchen. Zwei Drittel der Okkultfaszinierten sind weiblich .6 Wie dem auch sei, Okkultismus bedient die sozusagen psychische Seite des Glaubens und ist daher eine Ausdrucksform, die dem Verständnis von Religion im Jugendalter entspricht. Wenn diese Überlegungen stimmen, dann ist mit den Schülerinnen - vor allem ihnen - und den Schülern nicht im Okkultismus, wohl aber in der verbreiteten jugendlichen Faszination vom Okkulten vor allem die für jugendliche Religion so wichtige psychische Seite von Religion zu entdecken. Religion kam ohne Faszination und Furcht vor dem Heiligen und Geheimnisvollen noch nie aus. Ob deshalb auch das Okkulte eine religiöse Dimension hat, bleibt die Frage.

Über solchem religionspädagogischen Verständnis für das Okkulte dürfen natürlich die Problematiken der Okkultfaszination - Ängste, mögliche Wirkung auf labile Jugendliche - nicht verschwiegen werden. Damit setzt sich eindringlich der Hamburger Jugendseelsorger Jörn Möller in seinem Beitrag auseinander. Eine Liste kirchlicher Informationsstellen ist beigefügt. Heinz Streib versteht Jugendokkultismus als jugendliche Symbolisierungen des Unheimlichen und zeigt Wege, wie diese Symbolisierungen erfahrungs- und subjektorientiert im Unterricht bearbeitet werden können. Nebenbei leistet er damit auch eine überraschende Revitalisierung und Erweiterung der schon am Ende ihrer Möglichkeiten vermuteten symboldidaktischen Konzepte. Andreas Mertin analysiert die okkulte Bildwelt von Video-Clips. Er zeigt die komplexe Ästhetik von Irritation, Fantasie, Imagination und Wirklichkeit in diesen Filmen und beschreibt den spielerischen Charakter dieser Clips, der den Adressaten dieser Clips, den Jugendlichen, klarer zu sein scheint als ihren erwachsenen Beschützern. Otto Lomb berichtet seine umfangreichen unterrichtlichen Erfahrungen mit dem Thema Okkultismus und skizziert Unterrichtssequenzen, die als Bausteine für verschiedene Klassenstufen geei gnet erscheinen. Ebenfalls in die Praxis führt der Beitrag von Markus Zink. Er erzählt den Ablauf eines Unterrichtsexperiments, also gerade das, wovor immer gewarnt wird. Er kann zugleich aber auch zeigen, wie durch sein Experiment Okkultes und die - übrigens auch unter Lehrern vorhandene - Bereitschaft zum Okkulten entzaubert wird.

Vgl. W. Helsper: Okkultismus - Die neue Jugendreligion? Opladen 1992, 21ff.; H. Streib: Jugendokkultismus. Überblick über die Ergebnisse empirischer Forschung, in: W. R. Ritter/H. Streib (Hg.): Okkulte Faszination. Symbole des Bösen und Perspektiven der Entzauberung, Neukirchen 1997, 15-24
Helsper, a.a.O., 23
J. Mischo: Okkultismus bei Jugendlichen, Mainz 1991; W. Helsper/H. Streib: Was sollen okkultfaszinierte SchülerInnen lernen? In: Religionspädagogische Beiträge 32 (1993) 45-73, hier: 46-55
J. W. Fowler, Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991, 172
zit. in: Religionsunterricht im Abseits? Hg. v. G. Hilger/G. Reilly, München 1993, 219f.
H. Streib, in: Okkulte Faszination, 20f.

Inhaltsverzeichnis

1 Geheimnisvolle Kräfte
Zu diesem Heft
Lothar Kuld

3 Der Stoff, aus dem die Geister sind.
Okkulte Symbolisierungen, Lernschritte der Symboldidaktik, Wege der Entzauberung
Heinz Streib

14 Okkultismus - Im Gespräch mit dunklen Mächten?
Bedürfnis nach Transzendenz
Jörn Möller

17 Beyond the invisible.
Das Geheimnisvolle im Videoclip
Andreas Mertin

20 Wie sag ich's meinen Schülern?
Erfahrungen mit der Okkultismusthematik im Religionsunterricht
Otto Lomb

30 Das Experiment mit der Zeit
Markus Zink

32 Adressenliste kirchlicher Imfornations- und Beratungsstellen im Bereich Sekten und Psychogruppen
Zusammenstellung: Jörn Möller


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