Mensch Paulus
Zu diesem Heft / Von Martin Rothgangel und Matthias Bahr
Die Briefe des Paulus prägen bis heute theologische Grundgedanken der christlichen Konfessionskirchen. Gleichzeitig ist vielen ReligionslehrerInnen und SchülerInnen die Denk- und Lebenswelt des Paulus fremd und nur in einigen Bruchstücken präsent. In diesem Sinne sehen es nicht wenige ReligionslehrerInnen mit einer gewissen Skepsis, wenn aufgrund des Lehrplans eine Behandlung des Themas »Paulus« im Religionsunterricht ansteht. Wer bereits im Studium mit den (Un-)Tiefen paulinischer Theologie zu kämpfen hatte, dem drängt sich schnell das Urteil auf, dass die Theologie des Paulus zu »komplex« für Schülerinnen und als Thema des Religionsunterrichts zu »spröde« sei.
Andere Probleme treten für diejenigen Religionslehrerlnnen auf, die durchaus wesentliche Grundzüge paulinischer Theologie verstanden haben, aber deren Kompetenz oder gar Begeisterung für paulinische Theologie bestenfalls mit überholten bibeldidaktischen Vorstellungen einhergeht. So zeigt eine entsprechende Untersuchung von Rudi Ott gerade am Beispiel der Korintherbriefe, dass ein solcher Religionsunterricht letztlich ein fruchtloses Unterfangen darstellt.
Schließlich zeigen jüngere Ergebnisse der Paulusforschung, dass »eingängige« Unterrichtsschemata sich in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten lassen. »Vom Saulus zum Paulus«, so könnte man ein früher etabliertes Unterrichtsscherna benennen, in dem die paulinische Biographie kurzgefasst nach folgendem didaktischen »Strickmuster« behandelt wurde: der jüdische Gesetzeseiferer Saulus wird aufgrund seiner Bekehrung zum christlichen Missionar Paulus. Gegen ein solches Unterrichtsschema erheben sich jedoch gewichtige Bedenken: Paulus hiess sein Leben lang »Saulus Paulus« und selbst nach seiner Berufung durch Christus versteht sich Paulus noch als ein Jude (vgl. Röm 9,3).
Wie kann aber angemessen von der paulinischen Lebenswende unterrichtet werden, ohne in antijüdische Klischees zu verfallen? Wie kann das, was lange Zeit unhinterfragt als »Bekehrung« bezeichnet wurde, ohne der »bewährten« didaktischen schwarz-weiss-Folie ein Thema des Religionsunterrichts werden, in dem die Erfahrungen heutiger SchülerInnen konstitutiv berücksichtigt sind?
Das vorliegende Heft nimmt solche Ressentiments einerseits und das Unwissen andererseits zum Ausgangspunkt seiner konzeptionellen Gestaltung.
Mensch Paulus - unter diesem Titel kann die andere Seite des Paulus in den Vordergrund rücken, die in seinen Briefen und den Berichten der Apostelgeschichte immer wieder durchscheint, die aber oftmals nur sehr verdeckt zu finden ist. Nicht vielen Leserinnen mögen die Strapazen der Reise bewusst sein, die sich hinter komprimierten Formulierungen wie »Sie durchzogen aber das phrygische und galatische Land ... « (Apg 15, 6) verbergen (vgl. den Beitrag von Hahn). Wer nimmt dies auf sich? Was treibt einen Menschen an, sich in dieser Konsequenz der Sache des Glaubens zu verschreiben? Und welche Aussagen über seine Persönlichkeit lassen sich machen? In diese Richtung weist auch das Titelbild von Lovis Corinth (vgl. den Beitrag von Schnelzer). Die Praxisbeiträge (vgl. Langenhorst, Schoeller/Rau und König) erinnern an die religionsdidaktische Grundeinsicht, dass nicht einfach 'Paulus' Thema des Religionsunterrichts werden kann, sondern immer eine konkrete Perspektive im Mittelpunkt steht. Dieses kommt auch in den Radierungen des Künstlers Thomas Zacharias markant zum Ausdruck (vgl. die Info-Box im Beitrag von Schoeller/Rau). Für die Heftbetreuer interessant war die Feststellung, dass die Arbeit an 'Paulus' sich immer wieder auf das in jüngerer Zeit umstrittene »Bekehrungs«-Motiv zuspitzt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass selbst aus religionspädagogischer Perspektive die Bekehrungsthematik als Modell für Glaubenlernen differenzierter zu sehen ist (vgl. Bahr). Insgesamt stellt sich bei näherer Betrachtung der Mensch Paulus als eine derart spannende (und spannungsvolle) Person dar, dass in der Weiterentwicklung ähnlich provokante und verfremdende Zugänge denkbar und wünschenswert sind, wie es durch den Vergleich zwischen Paulus und Maria (vgl. Neubrand) in diesem Heft angedacht wird.
»Paulus war vielleicht ein Jünger von Jesus. Er kann aber auch vielleicht ein Heiliger sein, der in der Bibel eine wichtige Rolle spielt. Er hat vielen Leute geholfen. Er hat Jesu auf dem Kreuz gesehen und hat mit ihm gelitten.«
Die im Heft abgedruckten spontanen Paulus Statements von Studierenden sind Früchte einer Befragung in einer Lehrveranstaltung im Grundlagenwahlbereich Theologie an der PH Weingarten.
Inhaltsverzeichnis
In diesem Heft zu lesen
Mensch Paulus
Zu diesem Heft
Paulus findet sich
Ein religionspsychologischer Blick auf Paulus' Persönlichkeitsentwicklung
Thomas Schnelzer
Leben und Reisen
... zur Zeit des Paulus
Ferdinand Hahn
Zwischen Damaskus und Emmaus
Zum Stellenwert von »Bekehrung« für religiöses Lernen
Matthias Bahr
Ich sehe dich in tausend Bildern
Maria oder Paulus?
Maria Neubrand
»Alte Juden, wie er«
Wie jüdische Dichter Paulus heimholen
Georg Langenhorst
Heraus aus der Krise
Wie eine Bildbetrachtung zum Nacherleben führt
Ursula Schoeller /Ingrid Rau
Von wem werde ich anerkannt?
Klaus König
Kommentierte Materialumschau
Peter Poth
ru im Blickpunkt: Islamischer Religionsunterricht
Zum Stand der aktuellen Debatte
Ali-Özgür Özdil
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