Seit der Begriff "Gemeindepädagogik" zur Diskussion steht, sind dieser Begriff und die damit gemeinte Sache nicht unumstritten. Immer ist damit das gesamte Gefüge religiöser Bildung und Erziehung an den verschiedenen Lemorten Schule, Gemeinde und Familie im Blick. Dass diese Orte ihre jeweils eigenen Lernbedingungen, Lernchancen und Lembehinderungen zur Wirkung bringen, liegt auf der Hand. Fraglich ist indessen die genauere Vermessung der unterschiedlichen Lerntopographien. Fraglich ist unter anderem auch das wechselseitige Verhältnis dieser Lernorte. Unbestreitbar erscheint es aber, dass religiöses Lernen um seine Chancen gebracht wird, wenn es einseitig nur jeweils einem dieser Lernorte zugewiesen wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die vorfindliche religiöse Sozialisation und das bewusst institutionalisierte religiöse Lernen immer weiter auseinander treten, immer weniger unvermittelt zusammen gehören - eine Folge nicht nur des beklagbaren Traditionsabbruchs, sondern unvermeidlicher funktionaler Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft. Für die Kirchen bedeutet das, dass religiöse Bildung als explizites und integratives Handlungsfeld zusätzlich zu Verkündigung, Kasualpraxis und Seelsorge immer größere Bedeutung gewinnt. Eine Kirche, die sich in ihren Binnenverhältnissen nicht auch als Bildungsgemeinschaft versteht, wird keine öffentliche Bildungsverantwortung wahrnehmen können. Das Lernen in der Gemeinde wird nicht hinter den pädagogischen und didaktischen Modernisierungsgewinnen professioneller Bildungsinstitutionen wie der Schule hinterherhinken dürfen - es sollte sich aber auch nicht an den Standards eines Lernens orientieren, das sich immer stärker bloßen Effizienzkalkülen unterwirft.
Friedrich Schweitzer nimmt zunächst das gesamte "Gefüge" religiöser Bildung und Erziehung an den unterschiedlichen Lemorten in den Blick, um Wege aus der von ihm konstatierten Krise öffnen zu können. Herbert Lindner ordnet gemeindliche Lernprozesse einem kybernetischen und organisationssoziologischen Kontext zu. Unterschiedliche Praxisfelder werden sodann ausgeleuchtet: Jugendarbeit von Ulrich Schwab, Kindergärten von Frieder Harz, neue Wege der Konfirmandenarbeit am niedersächsischen Beispiel von Friedhelm Voges (aus württembergischer Sicht kommentiert und ergänzt von Martin Hinderer). "Gemeindepädagogik" ist nicht ohne ostdeutsche Erfahrungen zu denken: Peter Lehmann bietet eine Bestandsaufnahme im Rückblick auf 30 Jahre gemeindepädagogische Ausbildungspraxis, Hanna Kasparick untersucht neue Perspektiven am Beispiel der gemeindlichen Arbeit mit Kindern.
Impulse für die Praxis richten sich auf die Kooperation zwischen Schule und Gemeinde (Volker Elsenbast) sowie auf die Ausbildung von Ehrenamtlichen (Axel Klein).
Zum Thema des Heftes passt schließlich die Besprechung des "Handbuchs Konfirmandenunterricht" als besonderes Buch durch Gottfried Bitter.
Bernhard Dressler / Friedrich Schweitzer
Inhaltsverzeichnis
Thema: Gemeinde - Ort des Lernens?
Friedrich Schweitzer
"Das ganze Gefüge stimmt nicht mehr!" oder: Gibt es eine Krise der Gemeindepädagogik?
Herbert Lindner Lernen in der Gemeinde. Neue Perspektiven für die Gemeindepädagogik
Ulrich Schwab
Evangelische Jugendarbeit zu Beginn eines neuen Jahrhunderts. Bilanz und Perspektiven
Frieder Harz
Kindergarten als Ort religiösen Lernens
Friedhelm Vages
Konfirmandenunterricht im 4. Schuljahr: Auch ohne Wunderwirkung empfehlenswert. Was aus dem "Hoyaer Modell" geworden ist
Martin Hinderer
KU3 in Württemberg. Konzeption, erste Erfahrungen und offene Fragen
Peter Lehmann
Vom Lernweg eines Dozenten. Rückblick auf etwa 30 Jahre Arbeit in der gemeindepädagogischen Ausbildung
Hanna Kosparick
Über die Kunst des Fragens. Der erneuerte Rahmenplan und die gemeindliche Arbeit mit Kindern in Ostdeutschland
Impulse für die Praxis
Volker Eisenbast
Schule und Gemeinde - Relationen und Perspektiven Axel Klein Arbeit mit Ehrenamtlichen
Das besondere Buch
Gottfried Bitter
bespricht: Handbuch für die Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden
Buchbesprechungen