Es ist überraschend und erfreulich zugleich, auf wie viel Zustimmung der neuerdings stärker beachtete Zusammenhang von Bildung und Diakonie vielerorts stößt. Es scheint sich fast von selbst zu verstehen, dass Diakonie ohne Bildung ihrem Auftrag nicht gerecht werden kann und dass Bildung ohne Diakonie dem christlichen Verständnis von Mensch und Wirklichkeit widerspricht. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass eine kontinuierliche oder gar breite Diskussion zwischen Bildungstheorie in Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik einerseits und der diakonischen Theoriebildung andererseits nicht gegeben ist.
Auf diese widersprüchliche Situation ist das vorliegende Heft bezogen. Es will informieren über noch zu wenig bekannte Diskussionsbemühungen wie etwa die Bildungsforen in der Diakonie (Uwe Mietzko). Es will erinnern an zumeist vergessene geschichtliche Zusammenhänge von Bildung und Diakonie, die beispielhaft in der Figur J.H. Wicherns erkennbar werden (in unterschiedlicher Perspektive: Gottfried Adam und Ralf Koerrenz). Es will aufmerksam machen auf den Perspektivenwechsel in der Arbeit mit Kindern (Annegrethe Stoltenberg), mit behinderten Menschen (Werner Fack/Rüdeger Baron) und mit alten Menschen (Michael Schibilsky), der auch weitreichende Implikationen und Anstöße für das Bildungsverständnis insgesamt einschließt. Und es will theologischen und pädagogischen Fragen Raum geben, die nicht zuletzt in der Praxis selbst aufbrechen (am Beispiel der Erziehungsberatungsstellen, Gerald Kretzschmar).
Auch die Beiträge Aus der Praxis für die Praxis sind auf das Thema des Heftes bezogen und bieten mit den Erfahrungen mit Diakonischem Lernen in einer evangelischen Schule (Regine Walter) und aus der Fortbildung (Beate Hofmann) wichtige Impulse.
Im Brennpunkt steht diesmal Jürgen Habermas, der sich als Friedenspreisträger zu der ihm fehlenden "religiösen Musikalität" bekannt hat (Henning Schröer).
Als Besonderes Buch bespricht Frauke Büchner Heide Rohses "Unsichtbare Tränen".
Während der Drucklegung dieses Heftes hat uns die traurige Nachricht erreicht, dass unser Freund, Kollege und langjähriger Mitherausgeber Henning Schröer nach schwerer Krankheit verstorben ist. Wir sind deshalb besonders glücklich, einen seiner letzten Texte in diesem Heft abdrucken zu können.
Friedrich Schweitzer
Inhaltsverzeichnis
Im Brennpunkt
Henning Schröer
Religiös unmusikalisch!?
Thema: Bildung und Diakonie
Gottfried Adam
Pädagogik und Diakonie. Analysen und Überlegungen zu einem facettenreichen Verhältnis
Rolf Koerrenz
Diakonisches Lernen - strukturelles Lernen. Bausteine einer sozialpädagogischen Lesart Johann Hinrich Wicherns
Michael Schibilsky
Bildung - am Beispiel Altenarbeit
Annegrethe Stoltenberg
Von der Barmherzigen Sara-Lisa und anderen. Bildung und Diakonie am Beispiel der kirchlichen Kindertagesstätten in Hamburg
Werner Fack/Rüdeger Baron
Bildung und Behinderung. Wie unterstützt das Sonderschulwesen die Normalisierung des Lebens mit behinderten Menschen
Uwe Mietzko
Bildungsforen in der Diakonie
Gerald Kretzschmar
Kooperation: Ja - ldentifikation : Nein.
Kirchentheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Gemeinde und organisierter Diakonie dargestellt am Beispiel ,Erziehungsberatungsstelle'
Aus der Praxis - für die Praxis
Regine Walter
Diakonie als Bildungsinhalt und Profil einer Schule. Erfahrungen am Evangelischen Firstwald-Gymnasium in Mössingen
Beate Hofmann
Diakonie und Bildung in der Fortbildung: Praxiserfahrungen
Das besondere Buch
Frauke Büchner
bespricht: Heide Rohse, Unsichtbare Tränen. Effi Briest, Oblomow, Anton Reiser, Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, lwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und Neuem Testament
Buchbesprechungen