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Inklusion und Fremdheit Abschied von einer pädagogischen Leitideologie
Inklusion und Fremdheit
Abschied von einer pädagogischen Leitideologie




Philipp Singer

Transcript
EAN: 9783837642889 (ISBN: 3-8376-4288-7)
484 Seiten, paperback, 15 x 23cm, Mai, 2018

EUR 49,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Führt Inklusion wirklich zu einer größeren Wertschätzung behinderter Menschen? Der Imperativ der Inklusion führt den gesellschaftspolitischen und pädagogischen Diskurs an, wobei der Inklusionsbegriff immer schillerndere Ausmaße annimmt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt erscheint.

Unter Bezugnahme auf Bernhard Waldenfels' Begriff der Fremdheit zeigt Philipp Singer, wie sich die gut gemeinten inklusionspädagogischen Appelle in ihr Gegenteil verkehren. Neben einer intensiven Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen des pädagogischen Inklusionsbegriffes liefert er in sozialpolitisch-kritischer Absicht die wissenschaftliche Grundlage zur Diskussion über einen nicht ausschließenden Umgang mit Fremdheit im Kontext von Behinderung.

Philipp Singer (Dr. phil.), geb. 1982, promovierte als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. 2016 erhielt er den »Preis für gute Lehre an den staatlichen Universitäten in Bayern«. Der Diplom- und Sonderpädagoge arbeitet an einer Förderschule in Regensburg.
Rezension
Erst zu Beginn des 21. Jhdts. wurde der Inklusionsbegriff in Deutschland flächig thematisiert und erfuhr durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ("Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen", 2006 / 2009 von der BRD ratifiziert) eine erhebliche Aufwertung. Inklusion ist ein gesellschaftliches Leitthema, das weit über das Bildungs- und Schulsystem in fast alle gesellschaftlichen Teilbereiche ausstrahlt. Aufgrund gesetzlicher Verankerung verfügt der Inklusionsdiskurs über eine starke Legitimation und große Deutungsmacht. Andererseits ist Inklusion - vor allem in Bezug auf die Form ihrer Umsetzung - auch umstritten. Inklusion als gesellschaftliche Vorstellung beruht auf humanistischen Werten und Normen wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Selbstwert, Teilhabe und Partizipation. Inklusion ist, … wenn alle mitmachen dürfen, … wenn keiner mehr draußen bleiben muss, … wenn Unterschiedlichkeit zum Ziel führt, … wenn Nebeneinander zum Miteinander und Ausnahmen zur Regel werden, … wenn anders sein normal ist. Dabei beschränkt sich Inklusion keinesfalls auf Schule. Innerhalb des Bildungssystems soll eine chancen- und bildungsgerechte und weniger selektionsorientierte Schule für ausnahmslos alle Schüler entstehen. Inklusiver Unterricht ist kultur-, sprach- und gendersensibel und begreift Heterogenität nicht als Belastung, sondern als Chance und Bereicherung. Das Thema Inklusion ist das z.Zt. bildungspolitisch und schulpädagogisch meist-, kontrovers- und gereizt-diskutierte Thema; leidenschaftlich engagiert, mit nicht selten hohem moralischen Anspruch und bisweilen massiv klagend durchzieht die Inklusionsdebatte mittlerweile nicht nur die (schul-)pädagogisch interessierte Öffentlichkeit sondern die gesamte Gesellschaft. Der Autor dieses Buchs bezweifelt, dass Inklusion wirklich zu einer größeren Wertschätzung behinderter Menschen führt; die gut gemeinten inklusionspädagogischen Appelle verkehren sich in ihr Gegenteil.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung | 9

1.1 Entwicklung der Fragestellungen der Arbeit | 9
1.2 Begründung der Fragestellungen und methodisches Vorgehen | 18
1.3 Thesen der Arbeit | 25
1.4 Aufbau der Arbeit | 32

2 Der pädagogische Inklusionsbegriff | 41

2.1 Problemfelder des (sonder-)pädagogischen Inklusionsdiskurses | 43
2.1.1 Entwicklung des pädagogischen Inklusionsbegriffes im deutschsprachigen Raum | 43
2.1.2 Verkürzung des pädagogischen Inklusionsverständnisses | 44
2.1.3 Begriffliche Unklarheiten und nebulöses Diskursfeld | 45
2.1.4 Moralisierung des pädagogischen Inklusionsdiskurses | 51
2.1.5 Verhältnis der Heil- und Sonderpädagogik zum pädagogischen Inklusionsbegriff | 54
2.1.6 Bildungspolitische Umdeutungen | 63
2.1.7 Bewertung und Zusammenfassung | 64
2.2 Abgrenzung vom soziologischen Begriffsverständnis | 67
2.3 Die Theorie der pädagogischen Inklusionsidee | 73
2.3.1 Übergeordnete Zielsetzungen des inklusionspädagogischen Ansatzes | 76
2.3.2 Zur Begründung des inklusionspädagogischen Ansatzes | 88
2.3.3 Theoretische Grundannahmen des inklusionspädagogischen Ansatzes | 99
2.3.4 Zusammenführung: Beurteilung der Theorie „Normalität der Verschiedenheit“ | 126
2.4 Beurteilung der Theorie der Inklusion im Vergleich zur Theorie der Integration | 139
2.4.1 Theoretische Verortung des Inklusionsbegriffes durch Hinz | 140
2.4.2 Vergleich der Integrations- und Inklusionstheorie | 145
2.4.3 Fazit zum theoretischen Vergleich von Integration und Inklusion | 175
2.5 Fazit und Zusammenfassung | 178

3 Der pädagogische Diskurs um Heterogenität und Fremdheit | 185

3.1 Einführung | 185
3.2 Der pädagogische (Integrations- und Inklusions-)Diskurs um Heterogenität | 190
3.2.1 Vergleich des Heterogenitäts- und Inklusionsdiskurses | 191
3.2.2 Heterogenität als relative Verschiedenheit im pädagogischen Inklusions- und Integrationskonzept | 200
3.2.3 Diskursinterne Kritik am Verständnis von Heterogenität als relative Verschiedenheit | 206
3.2.4 Zusammenfassung | 214
3.3 Zur Diskussion der radikalen Fremdheit im heil- und sonderpädagogischen (Inklusions-)Diskurs | 216
3.4 Fremdheit im inklusionspädagogischen Ansatz | 223

4 Radikale Fremdheit und der Ordnungsbegriff bei Waldenfels: Kritik an der inklusionspädagogischen Ordnungsvorstellung | 227

4.1 Der Begriff der Ordnung | 228
4.1.1 Topographie des Fremden | 229
4.1.2 Genealogie von Ordnung als Ansatzpunkt | 232
4.1.3 Klassische und moderne Ordnungsformation | 235
4.1.4 Formen des Ordnungsersatzes: Kritik an der Inklusion als Gesamt- und Grundordnung | 237
4.1.5 Ordnung als Prozess der Selektion und Exklusion | 244
4.1.6 Die Kontingenz von Ordnung: Ordnung im Potentialis | 252
4.2 Kritik an der inklusionspädagogischen Ordnungsvorstellung | 258
4.3 Fremdheit und Verschiedenheit | 265
4.3.1 Der Weg von der Ordnung hin zum Fremden: Fremdes als Außerordentliches | 265
4.3.2 Der Unterschied zwischen Verschiedenheit und Fremdheit | 268
4.3.3 Überschreitung von Ordnungsgrenzen und die Asymmetrie von Eigenem und Fremdem | 277
4.3.4 Die Kontingenz der inklusionspädagogischen Perspektive | 282
4.4 Der Ordnungsbegriff als Dekategorisierungsgebot? Zur Unvergleichlichkeit des Fremden | 285
4.5 Zusammenfassung | 291

5 Fremderfahrung im Kontext von Behinderung: Kritik an der inklusionspädagogischen Prämisse
der „Normalität der Verschiedenheit“ | 295

5.1 Fremdheit und Behinderung | 297
5.1.1 Normale und strukturale Fremdheit: Behinderung als strukturale Fremdheit | 297
5.1.2 Behinderung als leibliche Erfahrungsweise von Selbst, Anderen und der Welt | 301
5.1.3 Das Verhältnis von Normalem und Anomalem: Behinderung als Anomalie | 309
5.1.4 Fremdartigkeit im Kontext von Behinderung | 314
5.1.5 Zusammenfassung | 320
5.2 Grundzüge der Fremderfahrung und der Konzeption der Responsivität | 322
5.2.1 Verflechtung von Eigenem und Fremdem | 322
5.2.2 Fremdheit im Eigenen | 326
5.2.3 Der Anspruch des Fremden | 328
5.2.4 Momente der responsiven Antwortlogik | 333
5.2.5 Zusammenfassung und Kritik an der inklusionspädagogischen Grundordnung der „Normalität der Verschiedenheit“ | 346
5.3 Das Phänomen der Aufmerksamkeit als Einfallstor des Fremden | 349
5.4 Die „sozialen Reaktionen“ im Kontext von Behinderung | 356
5.4.1 Begriff und Formen der „sozialen Reaktionen“ | 358
5.4.2 Determinanten und Entstehung der „sozialen Reaktionen“ | 361
5.4.3 Interkultureller Vergleich der „sozialen Reaktionen“ | 363
5.4.4 Erklärungsansätze der „sozialen Reaktionen“ | 366
5.4.5 Strategien zur Einstellungsänderung | 371
5.5 Fremderfahrung im Kontext von Behinderung | 376
5.5.1 Auffallen und Aufmerken im Kontext von Behinderung | 377
5.5.2 Einschätzung der „sozialen Reaktionen“ und der inklusionspädagogischen Blickhaltung | 386
5.5.3 Das Phänomen der Behinderung zwischen Attraktion und Repulsion | 396
5.5.4 Beurteilung der Erklärungsansätze der „sozialen Reaktionen“ aus der Perspektive der Phänomenologie des Fremden | 402
5.6 Zusammenfassung (5.3-5.5) | 405
5.7 Abschließende Kritik am inklusionspädagogischen Ansatz | 410
5.7.1 Der inklusionspädagogische Ansatz zwischen Aneignung des Fremden und Entgrenzung von Eigenem und Fremdem | 411
5.7.2 Zum Gefährdungspotential der inklusionspädagogischen Sichtweise auf Fremdheit | 417

6 Resümee und Ausblick | 425

6.1 Diskussion des methodischen Zugangs der Analyse und Einschränkungen der Arbeit | 425
6.2 Resümee | 430
6.3 Ausblick: Zum Umgang mit Inklusion und Fremdheit in intersubjektiver, diskursiver und disziplinärer Hinsicht | 447

Literatur | 461
Danksagung | 481