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Das hybride Subjekt Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne
Das hybride Subjekt
Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne




Andreas Reckwitz

Suhrkamp
EAN: 9783518298947 (ISBN: 3-518-29894-1)
709 Seiten, kartoniert, 11 x 18cm, Juni, 2020

EUR 35,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Transformation der Subjektordnungen stellt sich als ein Prozess dar, der vergangene Widersprüche und Defizite nur um den Preis kittet, neue Widersprüche und neue Defizite hervorzubringen. Soziologische Aufklärung bedeutet, genau zu sehen, wie dies geschieht - um klüger mit den immer neuen Subjektivierungsprogrammen umgehen zu können, denen wir uns aussetzen und denen wir ausgesetzt werden.
Rezension
Wodurch zeichnet sich das moderne Subjekt aus? Gilt es zu unterscheiden, zwischen dem Subjekt der bürgerlichen Moderne, dem der industriellen Moderne und dem der Spätmoderne? Welche Faktoren bewirkten eine Transformation der einzelnen Subjektkulturen in den Phasen der Moderne? Spielten bei diesen Prozessen ästhetische (Gegen-)Bewegungen eine zentrale Rolle? Welches waren bzw. sind die Codes der Subjektkulturen in der Moderne? In welchen Spannungsverhältnissen bewegt(e) sich das Subjekt der Moderne?
Fundierte Antworten auf diese Fragen zur Gesellschaft und Kultur der Moderne findet man in der soziologischen Habilitationsschrift „Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne“ von Andreas Reckwitz (*1970). Die 2006 als Buch veröffentlichte Forschungsarbeit ist 2020 erstmals als Taschenbuch im Suhrkamp Verlag in einer vom Autor überarbeiteten Neuauflage erschienen. Außerdem erhält diese Ausgabe ein aufschlussreiches Vorwort von Reckwitz, in dem er die theoretischen Bezüge zwischen seinem Buch zu seinen bekannten beiden Werken „Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“(2012) und „Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne“(2017) verdeutlicht. Der Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologe an der Humboldt-Universität zu Berlin zählt gegenwärtig - zusammen mit Hartmut Rosa - zu den führenden Soziologen der Bundesrepublik. Auch zu aktuellen politischen Debatten nimmt Reckwitz aus kultursoziologischer Perspektive immer wieder differenziert Stellung, zum Beispiel in seiner Schrift „Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“(2019) oder in Beiträgen zu gesellschaftlichen Aspekten der Corona-Pandemie.
In seiner historisch-systematischen Studie „Das hybride Subjekt“ entwickelt er die These, dass das Subjekt der Moderne, das er als ein „Dispositionsbündel“ begreift, ein „Hybridphänomen“ ist. Die „hybride Moderne“ setzt sich ihm zufolge aus drei - über verschiedene Eigenlogiken verfügende - Formationen zusammen: der bürgerlichen Moderne (ca. 1800-1900), der organisiert-industriellen Moderne (ca. 1900-1970) und der Postmoderne (ca. ab 1970). In seinen ‚späteren‘ Werken bevorzugt er den Begriff „Spätmoderne“. Nach Reckwitz erfordern die drei Phasen der Moderne die Ausbildung von zu ihnen passenden Subjektkulturen, nämlich die des „bürgerlichen Subjekts“, die des „Angestelltensubjekts“ und die des „postmodernen Subjekts“. Als „kulturelle Supercodes“ der Subjektkulturen identifiziert er jeweils „Moral/Souveränität“, „Sozialität/Attraktivität“ und „Expressivität/Markt“. Seine kulturtheoretische Matrix gewinnt der Wissenschaftler durch die Auswertung von historischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Einzelanalysen zu ausgewählten sozialen Praktiken. Dabei fokussiert er drei „Subjektivierungsorte“: Arbeit, Intimität, d. h. persönliche Beziehungen, sowie Technologien des Selbst wie Medien und künstlerisch-ästhetische Ausdrucksformen. So gelingt es Reckwitz überzeugend, gesellschaftliche Entwicklungen wie Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen, die Omnipräsenz der Popkultur, die Entstehung der queer-Bewegung oder die Ausprägung von „Computer-Subjekten“ kulturtheoretisch einzuordnen. Insbesondere demonstriert er in seiner Untersuchung zur Gesellschaft der Moderne von Ende des 18. Jahrhunderts bis zum beginnenden 21. Jahrhundert den Einfluss kreativer, ästhetischer Bewegungen wie Romantik, Avantgarde oder Counter Culture auf die Transformation von Subjektkulturen. Lehrkräfte der Fächer Geschichte, Politik und Ethik erhalten durch das Buch einen hervorragenden Überblick über historische Entwicklung des Subjekts in der Moderne.
Fazit: Mit seiner Monographie „Das hybride Subjekt“ leistet Andreas Reckwitz einen zentralen systematischen Beitrag zur soziologischen Aufklärung über Spannungsfelder unserer Kultur und Gesellschaft. Wer auf der Höhe des aktuellen soziologischen Diskurses sein möchte, dem sei die Lektüre der tiefschürfenden Forschungsarbeit unbedingt empfohlen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
In welche Richtung formt die moderne Gesellschaft den Menschen? In welcher Weise wird das moderne Individuum »subjektiviert«? In seinem grundlegendem Buch, das thematisch in einer Reihe mit Die Erfindung der Kreativität und Die Gesellschaft der Singularitäten steht, unternimmt Andreas Reckwitz eine Tour de Force durch die Kultur- und Sozialgeschichte des Westens vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart und beleuchtet die widersprüchlichen Anforderungen zwischen Selbstdisziplinierung, Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung, denen das moderne Subjekt gegenübersteht. Am Ende wird deutlich: Das Subjekt der postmodernen Gegenwart ist ohne die Geschichte der Bürgerlichkeit und ohne die kulturellen Bewegungen von der Romantik bis zur Counter Culture der 1960er Jahre nicht zu verstehen. Innere Balance findet es freilich genauso wenig wie seine historischen Vorläufer.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Neuauflage 7
Die Frage nach dem Subjekt in der Moderne 21
1. Subjektanalyse und Kulturtheorie: Zur Rekonstruktion
von Subjektkulturen 45
1.1 Subjektformen und sozial­kulturelle Praktiken 46
1.2 Die gesellschaftlichen Räume der Subjektkulturen 63
1.3 Die Transformation von Subjektkulturen 86
2. Bürgerliche Moderne und Romantik:
Das moralisch­souveräne Allgemeinsubjekt und
das expressive Individualsubjekt 111
2.1 Die Subjektordnung der Bürgerlichkeit: Moralität und Selbstregierung (18. Jahrhundert) 123
2.2 Das romantische Subjekt: Ästhetische Individualität
und das Erleben der Welt im Innern (1800­1820) 213
2.3 Die Hegemonie des bürgerlichen Subjekts:
Die Distinktion gegen das Primitive und der Dualismus zwischen Öffentlichem/Männlichkeit und Privatem/ Weiblichkeit (19. Jahrhundert) 249
3. Ästhetischer Modernismus und organisierte Moderne: Avantgarde­Subjekt und nach­bürgerliches Angestelltensubjekt 282
3.1 Das transgressive Subjekt der Avantgardebewegungen (1890­1930) 295
3.2 Die organisierte Moderne und das Angestelltensubjekt:
Social ethics und die Ästhetik des Visuellen (1920­1970) 341
4. Die kulturrevolutionäre counter culture und die Formation der Postmoderne: Gegenkulturelles Subjekt
und konsumtorisches Kreativsubjekt 443
4.1 Die counter culture als Kulturrevolution: Das Subjekt
des entgrenzten Spiels des Begehrens (1960­1980) 452
4.2 Das Subjekt der Postmoderne als ästhetisch­ökonomische Doublette (seit 1980) 499
Auf dem Weg zu einer dekonstruktiven Kulturtheorie
der Moderne 625
Literaturverzeichnis 636
Namenregister 691
Sachregister 695
Ausführliches Inhaltsverzeichnis 705