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Verlust
Ein Grundproblem der Moderne
Andreas Reckwitz
Suhrkamp
EAN: 9783518588222 (ISBN: 3-518-58822-2)
463 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Oktober, 2024
EUR 32,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
„Kann der Fortschrittsanspruch der westlichen Moderne noch aufrechterhalten werden, wenn die Erfahrungen, Erinnerungen und Antizipationen von Verlusten so mächtig werden, wie wir es gegenwärtig erleben?“
Rezension
Andreas Reckwitz (*1970) zählt gegenwärtig - zusammen mit Hartmut Rosa - zu den führenden Soziologen der Bundesrepublik. Der Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin erlangte auch in der Öffentlichkeit Bekanntheit durch seine Werke „Das hybride Subjekt“(2006/2020), „Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“(2012), „Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne“(2017) und „Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“(2019). In seinen Arbeiten liefert der renommierte Wissenschaftler eigene Gesellschaftstheorien mit speziellen Begrifflichkeiten und differenzierte soziologische Analysen der Krisen bzw. Spannungsfelder der Spätmoderne. Leitbegriffe seiner Soziologie sind „Subjekt“, „Kreativität“, „Kontingenz“ und „Singularisierung“.
Als neuen zentralen Begriff zur soziologischen Beschreibung der Spätmoderne sieht er in seinem Buch den Begriff „Verlust“ an, so lautet auch der Titel des Werks mit dem Untertitel „Ein Grundproblem der Moderne“. Erschienen ist der Band wie die oben genannten Bücher von Reckwitz im Suhrkamp Verlag. Als Ergänzungsband zu seiner „Gesellschaft der Singularitäten“ begreift der Wissenschaftler sein Werk „Verlust“. Mit ihm verfolgt er die Intention, eine „kritische Analytik der modernen Verhältnisse“ zu geben, dabei sollen nun die negativen Seiten der modernen Gesellschaft beleuchtet werden. Dazu nimmt er auf zahlreiche konkrete Phänomene und Entwicklungen Bezug, deren Konnex zum Thema „Verlust“ unmittelbar einleuchten, zum Beispiel Zukunftspessimismus, Nostalgie- und Retrotrends, Verzichtspraktiken, Aufstieg des Rechtspopulismus oder Resilienzfetischismus. Ein „potenzieller Sprengsatz“ gegenwärtiger Gesellschaft ist für Reckwitz der „Widerspruch zwischen Fortschrittsversprechen und Verlusterfahrungen“. Zur Analyse der einzelnen soziologischen Entwicklungen entwirft Reckwitz eine eigene Verlust-Semantik, zum Beispiel spricht er von „Verlustreduktion“, „Verlustpotenzierung“, „Verlustvisibilisierung“ und „Verlustbearbeitung“.
Das Hauptproblem von Reckwitz` Analyse der Spätmoderne ist allerdings die Ausblendung der Relevanz materieller Faktoren in dieser. Dieses zeigt sich an der Nicht-Beachtung von Werken der älteren und neueren Kritischen Theorie, die explizit die Verlusterfahrungen sozialer Gruppen problematisiert haben. Die von Reckwitz beschriebenen Phänomene der gegenwärtigen Gesellschaft lassen sich analytisch präziser mit den Sozialphilosophien der älteren Kritischen Theorie und ihrer Kapitalismus- und Gesellschaftskritik erfassen. Lehrkräfte der Fächer Politik und Ethik werden durch das vorliegende Buch jedenfalls motiviert, sich in ihrem Fachunterricht mit Gesellschaftstheorien oder der Gesellschaft der Spätmoderne problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Andreas Reckwitz` Buch „Verlust“ weist anschaulich auf die Dialektik der Moderne hin, deren Ursache und deren aktuelle Auswirkungen verdienen, Gegenstand eines öffentlichen Diskurses zu werden.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Andreas Reckwitz
Verlust
Ein Grundproblem der Moderne
Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen. Verluste bedrängen die westlichen Gegenwartsgesellschaften in großer Zahl und Vielfalt. Sie treiben die Menschen auf die Straße, in die Praxen der Therapeuten und in die Arme von Populisten. Sie setzen den Ton unserer Zeit. Während sich die Formen ihrer Bearbeitung tiefgreifend verändern, scheinen Verlusterfahrungen und Verlustängste immer weiter zu eskalieren. Wie ist das zu erklären? Und was bedeutet es für die Zukunft?
Andreas Reckwitz leistet Pionierarbeit und präsentiert die erste umfassende Analyse der sozialen und kulturellen Strukturen, die unser Verhältnis zum Verlust prägen. Unter dem Banner des Fortschritts, so legt er dar, wird die westliche Moderne schon immer von einer Verlustparadoxie angetrieben: Sie will (und kann) Verlusterfahrungen reduzieren – und potenziert sie zugleich. Dieses fragile Arrangement hatte lange Bestand, doch in der verletzlichen Spätmoderne kollabiert es. Das Fortschrittsnarrativ büßt massiv an Glaubwürdigkeit ein, Verluste lassen sich nicht mehr unsichtbar machen. Das führt zu einer der existenziellen Fragen des 21. Jahrhunderts: Können Gesellschaften modern bleiben und sich zugleich produktiv mit Verlusten auseinandersetzen? Ein wegweisendes Buch.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Verlust als Grundproblem der Moderne 9
Erster Teil
Was sind und wie wirken Verluste?
1 Verlust als soziales Phänomen 37
2 Zeitstrukturen, Emotionen, Arenen 82
Zweiter Teil
Die Verlustparadoxie der Moderne
3 Der Fortschrittsimperativ und seine Folgen 120
4 Zwischen Verlustreduktion und Verlustpotenzierung 161
5 Wie die Moderne die Verluste unsichtbar macht 199
6 Wie die Moderne die Verluste bearbeitet 231
Dritter Teil
Verlusteskalation in der Spätmoderne
7 Fortschrittsverlust 295
8 Verlustschübe 328
9 Doing loss 373
Ausblick: Die Moderne reparieren? 410
Dank 425
Literaturverzeichnis 426
Register 451
Ausführliches Inhaltsverzeichnis 460
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