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Medikalisierte Hoffnung? Eine ethnographische Studie zur reproduktionsmedizinischen Praxis
Medikalisierte Hoffnung?
Eine ethnographische Studie zur reproduktionsmedizinischen Praxis




Charlotte Ullrich

Transcript
EAN: 9783837620481 (ISBN: 3-8376-2048-4)
356 Seiten, paperback, 15 x 23cm, August, 2012

EUR 33,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In Deutschland begeben sich immer mehr Paare mit unerfülltem Kinderwunsch in medizinische Behandlung. In einer ethnographischen Fallstudie untersucht Charlotte Ullrich auf Grundlage von teilnehmender Beobachtung, qualitativen Interviews und Dokumenten die Behandlungspraxis einer reproduktions- und einer alternativmedizinischen Klinik – und zeichnet nach, wie der Kinderwunsch im Therapieverlauf in ein medizinisches Problem transformiert wird.

Dimensionen der Analyse sind: Positionierungen und Strategien des medizinischen Personals und der Paare, organisatorische Abläufe und der Einsatz von Technik. Gleichzeitig wird aufgezeigt, wie Tendenzen der Medikalisierung in den gesellschaftlichen Kontext und die Lebenswelt der Paare eingebettet sind.
Rezension
Die In-Vitro-Fertilisation (IVF), eine zu Anfang in den 1980er Jahren höchst umstrittene Technologie, gilt inzwischen als inzwischen als etablierter Bereich der Medizin. Ca. 4 Mio. Menschen sind mittlerweile mittels IVF geboren worden. IVF erscheint heute als eine "normale" Variante des Weges zum eigenen Kind. Die Reproduktionsmedizin hat aber u.a. Debatten ausgelöst über den Eingriff in den menschlichen Reproduktionsprozess, die Möglichkeit der Fragmentierung von Mutter- und Vaterschaft, die Möglichkeit der Veränderung menschlichen Erbguts und der wissenschaftlichen Verwendung von Embryonen sowie die Kommerzialisierung des Körpers und seiner Teile. In der Perspektive der Frauen- und Geschlechterforschung wird die IVF als Medikalisierung von Frauen durch eine männerdominierte Medizin gesehen. Diese Studie stellt die Frage, was es überhaupt bedeutet, wenn biomedizinische Angebote zunehmend nachgefragt werden.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagworte:
Biomedizin, Ethnographie, Kinderwunsch, Medizinsoziologie, Reproduktionstechnologie
Adressaten:
Soziologie, Ethnologie, Medizin, Kulturwissenschaften, Ethik sowie die interessierte Öffentlichkeit

Autoreninfo:
Charlotte Ullrich (Dr. rer. soc.) ist Postdoktorandin am Forschungskolleg »Familiengesundheit im Lebensverlauf« an der Hochschule Osnabrück. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Geschlechterforschung, Medizinsoziologie und Qualitative Methoden.
WWW: homepage.ruhr-uni-bochum.de/Charlotte.Ullrich

Interview
... mit Charlotte Ullrich

1. »Bücher, die die Welt nicht braucht.« Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Weil sich immer mehr Paare für eine Kinderwunschbehandlung entscheiden. Allein in Deutschland sind seit 1996 rund 160.000 Kinder nach reproduktionsmedizinischer Behandlung geboren worden. Diesem Absatzerfolg steht eine mit unter 20 Prozent eher geringe ›Baby-take-home‹-Rate gegenüber. Wie andere biomedizinische Technologien auch fordert die Reproduktionsmedizin nicht nur die einzelnen Paare, sondern auch die Gesellschaft heraus. Dies bedarf einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Mein Buch eröffnet einen Blick auf die Komplexitäten und Ungleichzeitigkeiten von Medikalisierungsprozessen. Mit medizin-, technik- und körpersoziologischen Ansätzen wird eine soziologische Perspektive auf die Reproduktionsmedizin stark gemacht. Die Transformation des unerfüllten Kinderwunsches in ein medizinisches Problem wird dabei sowohl hinsichtlich der Selbstkonzepte, Deutungsmuster und Handlungsstrategien der zentralen Akteure untersucht, wie auch hinsichtlich der Logiken und Mechanismen des Behandlungsablaufs.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Während eine Vielzahl von Studien über biomedizinische Diskurse und Wissensbestände vorliegt, ist es in großen Teilen eine offene empirische Frage, wie diese – auch vermittelt in der und durch die Behandlungspraxis – in der Lebenswelt ankommen. Mit der Anlage als ethnographische Fallstudie bildet das Buch einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke. Es untersucht dabei Veränderungen in der Arzt-Patient-Beziehung, dem Krankheits- und Gesundheitsverständnis und dem Umgang mit medizinischen Machbarkeiten.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Das Buch versteht sich als ein soziologischer Beitrag zu einer Debatte, die die biomedizinische Forschung und Praxis kritisch begleitet. So wendet es sich an alle, die fragen, was es bedeutet, wenn biomedizinische Angebote zunehmend nachgefragt werden. Spannend wäre eine Diskussion mit Personen, die den Erfolg der Reproduktionsmedizin anders erklären – wie zum Beispiel allein als Interessensdurchsetzung der Medizin oder Antwort auf die Nachfrage von Paaren mit einem ›übertriebenen Kinderwunsch‹.

5. Ihr Buch in einem Satz:
Das Buch untersucht, was passiert, wenn ein Paar sich für eine medizinische Behandlung seines Kinderwunsches entscheidet und eröffnet einen neuen Blick auf Medikalisierungsprozesse.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung | 7

1 Einleitung | 9

1.1 Reproduktionsmedizin im Kontext | 15
1.2 Argumentationsgang der Arbeit | 27

2 Die soziale Konstruktion von Krankheit und Gesundheit | 31

2.1 Krankheit und Gesundheit als soziale Phänomene | 32
2.2 Krankheit als soziale Abweichung | 36
2.3 Krankheit und Gesundheit aus Sicht der Akteure | 42
2.4 Zwischenfazit und Forschungsperspektiven | 54

3 Akteure, Techniken und Körper in der medizinischen Behandlungspraxis | 59

3.1 Medizin als Profession | 60
3.2 Die Arzt-Patienten-Beziehung | 69
3.3 Techniken in der medizinischen Praxis | 74
3.4 Körper, Leib und Medizin | 80
3.5 Zwischenfazit und Forschungsperspektiven | 89

4 Forschungsdesign | 93

5 Krankheit unerfüllter Kinderwunsch? | 107

5.1 Medizinische und gesetzliche Regulierungen der Reproduktionsmedizin | 109
5.2 Der unerfüllte Kinderwunsch und seine Behandlung aus Sicht der Paare | 114
5.2.1 Ambivalenzen des Kinderwunsches | 115
5.2.2 Hierarchisierte Elternschaft | 121
5.2.3 Reproduktive Gesundheit als Instrument | 125
5.2.4 Die Entscheidung für eine medizinische Behandlung | 132
5.3 Der unerfüllte Kinderwunsch und seine Behandlung aus ärztlicher Sicht | 138
5.3.1 Der unerfüllte Kinderwunsch als Gegenstand medizinischer Behandlung | 139
5.3.2 Der unerfüllte Kinderwunsch als Forschungsgegenstand | 150
5.3.3 Ausweitung und Grenzen der medizinischen Behandlung | 159
5.4 Zwischenfazit | 168

6 Die Struktur der Kinderwunschbehandlung | 173

6.1 Die Transformation des Kinderwunsches in ein medizinisch behandelbares Problem | 174
6.1.1 Die ärztliche Sicht auf die Paare | 175
6.1.2 Erstberatungsgespräch und Diagnoseschritte | 183
6.1.3 Diagnose zwischen Beratung und Behandlung | 189
6.2 Die Dynamik des IVF-Behandlungsverlaufs | 195
6.2.1 Die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte | 196
6.2.2 Der Blick der Paare auf die Behandlungsschritte | 207
6.3 Reproduktive Gesundheit als Aufgabe der Paare | 214
6.4 Vom Wunsch des Paares zur Behandlung der Frau? | 231
6.5 Zwischenfazit | 243

7 Die Arbeit der Paare an der Verlaufskurve | 249

7.1 Einflussnahme auf die Behandlung | 250
7.1.1 Strategien der Wissensaneignung | 250
7.1.2 Grenzen medizinischen und ärztlichen Wissens | 263
7.1.3 Einflussnahme auf den Behandlungsverlauf | 268
7.1.4 Vertrauen in die behandelnden Ärztinnen und Ärzte | 274
7.2 Behandlungsbezogene Arbeit | 279
7.3 Alltagsarbeit der Paare | 294
7.3.1 Vereinbarkeit der Behandlung mit Alltag und Beruf | 295
7.3.2 Umgang mit der Behandlung im engeren sozialen Umfeld | 300
7.4 Biographie- und Beziehungsarbeit | 306
7.5 Zwischenfazit | 317

8 Fazit und Diskussion | 321

Literatur | 333
Tabellenverzeichnis | 349
Sachregister | 351