Die Autoren des Handbuches für Religionspädagogik forderten 1973 eine Öffnung der Religionspädagogik, denn - so wurde festgestellt -, die Religionspädagogik habe einen Nachholbedarf an humanwissenschaftlichen und empirischen Fragen.(1) Religionspädagogik müsse bei der grundlegenden und allgemeinen Frage des Menschen ansetzen. Welche Frage ist das? Günter Stachel, einer der Herausgeber, antwortete: "Es ist die Frage nach dem Sinn des Lebens ..."(2) Die Schülerfrage nach der Existenz Gottes wird damit zur religionsunterrichtlichen Aufgabe: "Fragen nach dem Woher und Wohin, dem Wozu und Warum, nach dem Sinn und Wert des Lebens ein(zu)üben. "(3) Ein Vierteljahrhundert später muss sich die Religionspädagogik fragen, ob sie damit ihren Ausgangspunkt und ihren Gegenstand, den Menschen vor Gott, adäquat erfasst hat? Das Thema der Festschrift reflektiert diese Spannung und einzelne Autoren setzen daher hier mit ihren Überlegungen ein: den Fragen des Menschen; dem Verhältnis von Sinnfrage und Gottesfrage sowie allgemeiner Religiosität und christlichem Glauben.
Die Gottesfrage beschäftigt auch den Jubilar. (4) In seinen Ausführungen versucht er den Spannungsbogen zwischen Pädagogik und Theologie, zwischen humanwissenschaftlichen Erkenntnissen und vor allem systematischtheologischen Fragestellungen durchzuhalten. In ähnlicher Weise finden wir in dem vorliegenden Sammelband sowohl Ansätze zum Verständnis der Glaubensentwicklung als auch grundlegende theologische Klärungen. Der Jubilar wird viele seiner eigenen Ansätze bestätigt finden, aber vor allem sein Interesse, religionspädagogisches Fragen und Forschen von einem soliden theologischen Fundament aus zu betreiben und daher - anders als in der jüngeren Geschichte der Religionspädagogik - verstärkt eine engere Verbindung zur Theologie zu suchen, wiedererkennen. Gerade die Gottesfrage erweist sich als ein fruchtbares Thema für einen solchen Dialog. Auch davon zeugen die einzelnen Beiträge.
Die Autorinnen und Autoren haben von ihrem jeweiligen beruflichen Ort in der Schule, Gemeinde, Kirche und Universität aus zu dieser Festschrift beigetragen. Daher finden sich Darstellungen und Überlegungen zur Gottesfrage und der Entwicklung der Gottesvorstellung aus fast allen Bereichen der Theologie.
Gottfried Adam hat sein berufliches Engagement nie auf den unmittelbaren Lehr- und Forschungsbereich der Universität beschränkt. Auch in dieser Festschrift kommen die verschiedenen Bereiche religiöser Bildung in den Blick: vom Lied im Religionsunterricht über Berichte aus der Konfirmandenarbeit bis hin zu hochschuldidaktischen Überlegungen. Es ist ein buntes und vielfältiges Werk geworden, mit dem die Autorinnen und Autoren den Jubilar ehren wollen, aber auch - wie es viele Beiträge zum Ausdruck bringen - ihm für Begegnungen und Anregungen danken. "Kommunikative Theologie" nennt dies Matthias Scharer.
Die Festschrift spiegelt daher auch die vielfältigen Seiten des beruflichen Engagements von Gottfried Adam wider, aber auch seine Offenheit auf Menschen zuzugehen, ihre Anliegen aufzugreifen und sie mit seinen Überlegungen zu konfrontieren. Viele haben davon profitiert. Von ihm kann man daher lernen, dass das Wahrnehmen von Fragen anderer Menschen verändern kann. Dann kann es passieren (vgl. den Beitrag von Garcia Sobreira-Majer), dass ein Religionslehrer in seinem Unterricht nach der Gerechtigkeit und den letzten Dingen fragt. Es kann passieren, dass er sich einlässt auf Fragen seiner Schülerinnen und Schüler und dass sie dabei auf die Frage nach Gott stoßen.
Viele Personen haben am Zustandekommen dieser Festschrift mitgewirkt. Ihnen allen ist zu danken: den Autorinnen und Autoren sowie dem unermüdlich tätigen Redaktionsteam am systematisch-theologischen und am religionspädagogischen Institut der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien.
Die Herausgeber
Ulrich Körtner und Robert Schelander
1 "Es soll eine Religionspädagogik dargestellt werden, die offen ist gegenüber Entwicklungen in Theologie, Erziehungswissenschaft und in den Sozial- bzw. Humanwissenschaften." Handbuch der Religionspädagogik (hg.v. Erich Feifel u.a.), Bd.1, Zürich u.a. 1973, S.16.
2 Günter Stachel, Religiöse Erziehung als offene Frage, in: ebd. S. 21-33, hier S. 23.
3 Ludwig Volz, Der Religionsunterricht an der Sekundarstufe 1, in: ebd. S. 347-358, hier S. 354.
4 Vgl. u.a. Erziehung zur rechten Zeit? Überlegungen zu einer religionspädagogischen Kairologie anhand der Gottesfrage, in: Gottfried Adam, Glaube und Bildung. Beiträge zur Refigionspädagogik I, Würzburg 21994, S. 227-241.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hans-Ferdinand Angel
Die Religionspädagogik und das Religiöse. Überlegungen zu einer "Theorie einer anthropologisch fundierten Religiosität"
Martin Bolz
Kinder, Kinder. Reflexionen zur religionspädagogischen Praxis
Ruth B. Bottigheimer
The Rivalry of the Testaments in the Transmission of Biblical Culture to Children
Anton A. Bucher
Kind und Bibelbild. Entwicklungspsychologische Aspekte
Michael Bünker
Der liebe Gott und der Computer. "Godgames" als Anregungen für den Religionsunterricht?
Johannes Dantine
Religionsunterricht vor dem Umbruch?
Alfred Garcia Sobreira-Majer
"Keine Hölle für niemand?" Mit Schüler/innen nach den letzten Dingen fragen
Susanne Heine
Gott und Mensch. Zur Relation von Personwerdung und Denkprozessen
Ernst Hofhansl
Das Angebot der Wirklichkeit. Evangelische Diasporagemeinden und Aufgaben der Zukunft
Roland Kadan
"Befiehl du deine Wege" nach Auschwitz. Versuch einer Neudichtung
Hans Volker Kieweler
Die Kritik an der Gottesvorstellung Babylons bei Deuterojesaja
Berthold W. Köber
Jesus - der Heilige Gottes. Die Heiligkeit Jesu im Zeugnis der Synoptiker in ihrer Bedeutung für Theologie und Glauben
Ulrich H.J. Körtner
Gott, Mensch und Welt. Grundbegriffe Systematischer Theologie
Rainer Lachmann
"Und Gott versuchte Abraham" - Gen 22, eine Geschichte für Grundschulkinder?
Wolfgang Langer
Der unbekannte Gott - ganz nahe. Hermeneutik des Lebens als religionspädagogisches Prinzip
James Alfred Loader
Das Haus Elis und das Haus Davids: wie Gott sein Wort zurücknehmen kann
Kurt Lüthi
Exodus - Befreiung. Ein Konzept zur Systematischen Theologie
Reinhold Mokrosch
Läßt sich Glaubensentwicklung als Antwort auf Gottes Offenbarung verstehen?
Dávid Németh
Sinnfrage und Gottesfrage. Religionspädagogische Reflexionen
Helmar-Ekkehart Pollitt
Religionsunterricht in der Postmoderne. Perspektiven der Fortbildung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern
Wilhelm Pratscher
Das Gottesbild des Zweiten Klemensbriefes