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Digitaler Nihilismus Thesen zur dunklen Seite der Plattformen Übersetzung aus dem Englischen von Petra Ilyes und Andreas Kallfelz
Digitaler Nihilismus
Thesen zur dunklen Seite der Plattformen


Übersetzung aus dem Englischen von Petra Ilyes und Andreas Kallfelz

Geert Lovink

Transcript
EAN: 9783837649758 (ISBN: 3-8376-4975-X)
242 Seiten, kartoniert, 15 x 23cm, August, 2019

EUR 24,99
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Selfie-Kult, Narzissmus und Internetsucht können als Ausdruck von Sinnentleerung und Entfremdung im digitalen Kapitalismus gedeutet werden. Geert Lovink (*1959) identifiziert im sechsten Band seiner Internetchroniken, der in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Digitaler Nihilismus. Thesen zur dunklen Seite der Plattformen“ vorliegt, eine „Technotraurigkeit“(S. 11) bzw. „programmierte Traurigkeit“(S. 79-103) infolge der Nutzung von sozialen Medien. Wie seine anderen netzkritischen Analysen „Zero Comments: Elemente einer kritischen Internetkultur“(2008), „Das halbwegs Soziale. Eine Kritik der Vernetzungskultur“(2012) oder „Im Bann der Plattformen. Die nächste Runde der Netzkritik“(2017) ist auch Lovinks neuestes Werk wieder im Bielefelder transcript Verlag erschienen.
Mit seinem jüngsten Buch gelingt dem niederländischen Medientheoretiker und Internetaktivisten anhand von Fallstudien eine aufschlussreiche Psychopathologie der Social-Media-Plattformen. Lovinks Untersuchungen belegen, wie soziale Medien unser Innenleben umformatieren und Algorithmen unser Verhalten modifizieren. Seiner radikalen Netzkritik liegt die sozialphilosophische Prämisse zugrunde, dass das Soziale gegenwärtig bereits mit dem „Technosozialen“ identisch sei. Angesichts von Lovinks schonungsloser Diagnose der digitalen Revolution stellt man sich zu Recht die Frage, wie man selbst in der „smarten Diktatur“ (Harald Welzer) mit ihren Überwachungsmechanismen agieren soll.
Lovink, der 2010 am „Quit Facebook Day“ seinen Facebook-Account löschte, plädiert im letzten Kapitel seines Buches für den „Aufbau der Avantgarde der Allmende“(S. 213-233), genauer einer „minimalen Allmende“(S. 220). Darunter versteht er „eine Reihe impliziter sozialer Praktiken und Vereinbarungen, […] eine Form des sozialen Vertrags (meta-smart oder über-smart!), die in unsere gewohnte Sphäre driftet und sich dann in das kollektive Unbewusstsein sedimentiert“(S. 220f.). Dazu hätten sich Leserinnen und Leser gerade angesichts der Dominanz des Neoliberalismus in der „post-dekonstruktivistischen Zeit“(S. 232) konkretere Vorschläge gewünscht.
Lehrkräfte der Fächer Philosophie, Ethik, Deutsch oder Politik werden durch Lovinks Ideologiekritik der Social-Media-Plattformen geradezu aufgefordert, mit Schülerinnen und Schülern in ihrem Unterricht die psychosozialen Auswirkungen von Facebook, Twitter oder Instagram zu problematisieren. Jedes Buchkapitel des Netzkritikers wird mit einer Batterie aussagekräftiger Zitate eingeleitet, die einen produktiven Zugang zu einzelnen Aspekten von Social Media ermöglichen. Manche der von Lovink formulierte Erkenntnisse zum Nihilismus oder zur Psychopolitik im digitalen Zeitalter finden sich zum Beispiel auch im Werk des Philosophen Byung Chul-Han, was die Dringlichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der omnipräsenten Digitalisierung unterstreicht.
Fazit: Das Buch „Digitaler Nihilismus“ von Geert Lovink sollte von allen Nutzerinnen und Nutzern sozialer Medien gelesen werden. Es leistet aufgrund seiner fundierten Netzkritik einen wichtigen Beitrag zur Debatte über den Plattformkapitalismus.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Verlagsinfo
Geert Lovink
Digitaler Nihilismus
Thesen zur dunklen Seite der Plattformen

Facebook, Twitter, Instagram, Tinder und Co. – all das Klicken, Scrollen, Wischen und Liken lässt uns am Ende sinnentleert zurück. Traurigkeit ist zum Designproblem geworden, die Höhen und Tiefen der Melancholie sind längst in den Social-Media-Plattformen kodiert. Geert Lovink bietet eine kritische Analyse der aktuellen Kontroversen, die sich um Social Media, Fake News, toxische virale Meme und Online-Sucht drehen. Er zeigt: Die Suche nach einem großen Entwurf darf als gescheitert gelten – und hat zu einer entpolitisierten Internetforschung geführt, die weder radikale Kritik übt noch echte Alternativen aufzeigt.
Wir sind aufgerufen, die künstliche Intimität von Social Media, Messenger-Apps und Selfies zu akzeptieren, denn Langeweile ist die erste Stufe der Überwindung des »Plattform-Nihilismus«. Und dann, wenn der Nebel sich lichtet, können wir daran arbeiten, die Datenfresser-Industrien in ihrem Kern zu treffen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Danksagung 7
Einleitung: Die Gesellschaft des Sozialen 9
Kapitel 1: Die Überwindung des desillusionierten Internets 27
Kapitel 2: Die Ideologie der Sozialen Medien 43
Kapitel 3: Epidemie der Ablenkung – Von der digitalen Utopie zur Entzauberung des technosozialen Raums 59
Kapitel 4: Programmierte Traurigkeit 79
Sad by Design: Fallstudien 89
Keine Melancholie für dich 94
So Sad Today 97
Trauer über den Kommunikationsverlust 101
Kapitel 5: Medien Netzwerk Plattform – Drei Architekturen 105
Die ewige Wiederkehr der Medienfrage 108
Netzwerke als Systeme Zweiter Ordnung 111
Der neue Kommunikationsstandard: Plattformen 114
Benjamin Brattons The Stack 117
Von Social-Media-Alternativen zu Stacktivismus 122
Kapitel 6: Von Registrierung zu Auslöschung – Über technische Gewalt 129
Von Registrierung zu Auslöschung 131
Leben ist Sabotage 133
Italienische und deutsche Visionen von Autonomie 137
IBM und die restlose Erfassung 138
Die Soziologie der Listen 145
Datenkommunismus nach der Digitalisierung 147
Kapitel 7: Chronischer Narzissmus – Technologien des minimalen Selfies 157
Kapitel 8: Maskendesign – Ästhetik des Gesichtslosen 171
Kapitel 9: Meme als Strategie – Europäische Ursprünge und Debatten 187
Die Memesis-Debatte von 1996 191
Tanz den Techno Viking 199
They Say We Can’t-Mem 201
Kommunikationsdesign und memetische Temporalität von Memefest 206
Meme als dialektische Bilder 208
Kapitel 10: Vor dem Aufbau der Avantgarde der Allmende 213
Von der Allmende zur Infrastruktur 217
Wer wird die Allmende bauen? 222
Bibliographie 235